Marianne Kaindl

Sechs Katzen und ein Todesfall


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nahm überhaupt kein Ende, es wuchs in den Himmel, ich konnte kein Penthouse ganz oben entdecken. Da habt Ihr Menschen es halt auch leichter als wir – was sehr weit weg ist, sehen wir sowieso nur unscharf. Dafür sind wir topp darin, etwas wahrzunehmen, das sich bewegt. Sogar dann, wenn es ziemlich weit weg ist. Das Hochhaus bewegte sich aber nicht.

      Zu allem Unglück war auch noch die Eingangstür geschlossen.

      Aber: Coco – du bist eine Ermittlerin, du recherchierst in einem Mordfall! Naja, also genaugenommen: Eine Privatdetektivin. Ermittler sind ja eigentlich nur die Offiziellen. Ich bin inoffiziell. Wie Miss Marple, nur jünger und schöner. Aber genauso klug.

      Da kann ich doch nicht bei der ersten kleinen Schwierigkeit aufgeben!

      Ich streckte mich also, machte eine Yoga-Übung, die Katzenbuckel heißt, oder so ähnlich (wegen der Gelassenheit und der Erleuchtung) und wartete auf meine Chance.

      Die kam auch bald, und zwar auf Stöckelschuhen. Zuerst hörte und sah ich ja nur die Schuhe. Sie waren knallgelb und sehr schön. Ich schaute an den Schuhen hoch. Die Frau hatte Beine, wow! Das musste ich auch als Katzen-Frau zugeben. Merlin, der ein Mann ist, wenn auch ein kastrierter, wäre an ihr hochgesprungen vor Begeisterung. Da bin ich ganz sicher. Ich strich ihr um diese tollen Beine herum und setzte mein harmlosestes Katzenkinder-Gesicht auf.

      Die Frau bückte sich zu mir herunter. „Oh, du süßer kleiner Liebling“, schnurrte sie. „Wem gehörst du denn? Möchtest du zu deinem Frauchen?“

      Ich folgte ihr ins Haus und in den Aufzug. Das wäre schon mal geschafft. Das Penthouse ist im obersten Stockwerk, ist klar. Die Dame mit den Wahnsinns-Beinen stieg aber schon im 7. Stock aus und ich mit ihr, weil ich doch die Aufzugtür selber nicht aufbekomme. Kein Problem für eine gut durchtrainierte Katze! Die restlichen Treppen sauste ich hoch. Im 11. Stock war Schluss mit Treppen, und ich musste mich erst mal orientieren. Das Glück unterstützt den Tüchtigen, sagen die Menschen. Das war vermutlich der Grund dafür, dass ich die Tür mit dem Frummelmann-Messingschild ziemlich schnell entdeckte. Einfach den Flur hinunter, und da war sie schon, die Eingangstür zur Frummelmannschen Wohnung.

      Doch gleich wurde mein scharfer Verstand auf die nächste Probe gestellt: Wie sollte ich in die Wohnung kommen? Auch dafür fand sich eine Lösung, und zwar schneller als ich gedacht hatte. Eine ältere Frau schlurfte über den Flur und klingelte an der Tür der Nachbarwohnung. Eine andere ältere Frau öffnete.

      „Die Kopperfelds haben schon wieder die Handwerker!“, schimpfte die erste sehr laut. Und die zweite sagte noch lauter: „Manchmal bin ich froh, dass ich nicht mehr so gut höre! Ich sag’s Ihnen – die Kinder von diesen Kopperfelds! So eine ungezogene Bande habe ich …“

      In dem Moment schlüpfte ich sachte, ganz sachte, unbemerkt, zwischen den Beinen der Frau durch, lief geradeaus ins Wohnzimmer, glücklicherweise stand die Balkontür offen, ich rannte hinaus und hangelte mich von dort unter Lebensgefahr über ein Klettergerüst, an dem Efeu rankte, auf die Penthouse-Terrasse des Mordopfers. Ein Fenster war gekippt, ich landete auf einem Klodeckel.

      Ich war drin.

      Während polizeiliche Ermittler einfach nur zum Handy greifen und ganz cool „Ich brauch‘ dann mal die Spurensuche“ sagen, muss ich alles selber machen. Und zwar unter erschwerten Bedingungen. Denn die Spurensuche war ja schon da und hat wahrscheinlich die meisten Spuren eingetütet und mitgenommen.

      Aber: Es geht um das Leben und das Glück meines Frauchens!

      Und irgendetwas findet man immer, sagt die weise Purzel. Ich hoffe, sie hat Recht.

      Also los!

      Ich sprang vom Toilettendeckel, wobei das iPhone an meinem Halsband ein bisschen schlackerte, dann inspizierte ich das Bad. Es war absolut sauber. Kein Härchen irgendwo, kein Kalkfleck auf einer Fliese.

      Bei meinem Frauchen stehen bunte Fläschchen mit schillernden Flüssigkeiten auf dem Badewannenrand. Hier: nichts. Bei meinem Frauchen hängt an einem Haken ein Geschenkband, an das sie Kämmchen zum Haare-Hochstecken geklemmt hat. Hier: nichts. Bei meinem Frauchen gibt’s bunte, ungebügelte Handtücher. Hier: je ein weißes Handtuch auf einem silbernen Halter rechts und links vom weißen Waschbecken. Auf einem silbernen Halter über der Badewanne nochmals zwei weiße Handtücher. Kein Fleckchen drauf, keine Lippenstift- oder Makeup-Spur. Nichts. Strahlend-weiß, wie aus der Waschmittelwerbung.

      Nachdem ich im Bad nichts Verdächtiges bemerkt hatte, wollte ich dessen nähere Umgebung erkunden. Vom Bad aus kam ich direkt in ein großes Schlafzimmer mit einer riesigen Fensterfront.

      Das Schlafzimmer war ebenfalls in Weiß gehalten. Weißer Schrank mit raumhohem Spiegel. Weißes Bett, weißer Bettbezug, weißer Kissenbezug, weiße Tagesdecke. Nur zwei kleine Kissen in Hellviolett boten einen zarten Farbkontrast. Auf dem weißen Teppichboden gab’s keinen einzigen Fleck, und er roch durchdringend nach Teppichbodenshampoo. Auf dem weißen Schreibtisch gegenüber dem Bett lag absolut gar nichts. Auf dem Schreibtisch meines Frauchens gibt es ein Sammelsurium von Stiften, Kerzen, Büchern und Arbeitsmaterialien, und natürlich stehen da auch Drucker, Telefon, Monitor, Tastatur und dieses Gerät, das die Menschen fälschlicherweise Maus nennen. Hier: Gar nichts.

      Ich schlenderte hinaus in den Flur. Also, ich war schon ein bisschen frustriert. Wie soll man da Spurensuche betreiben, wenn absolut überhaupt gar nichts herumliegt?

      Von dem kleinen Flur ging eine kurvige Treppe hinunter in einen anderen Raum, ein Stockwerk tiefer. Wie Sie wissen, sind kurvige Treppen meine Spezialität. Sie werden sich auch bestimmt nicht wundern, wenn ich Ihnen erzähle, dass der Boden in dem Raum, in den ich jetzt hinuntersauste, weiß gefliest war und dass der Tisch aus geraden weißen Beinen und einer durchsichtigen Glasplatte bestand. Um ihn herum standen drei Stühle. Ein vierter lag umgeworfen am Boden.

      Ein breiter Durchgang verband das Esszimmer mit dem Wohnzimmer. Ich glaube, das liegt direkt neben dem Wohnzimmer der älteren Frau, von wo ich aufgebrochen bin, aber vielleicht täuscht mich auch mein Orientierungssinn.

      Vor der weißen Couch war ein großer Kotzfleck, der schlecht roch. Weiße, blaue und schwarze Kissen lagen auf dem gefliesten Boden, ebenfalls mit Kotze befleckt. Der Couchtisch (ganz in Weiß) war umgeworfen, ebenso die weißbeschirmte Stehlampe. Die Schubladen der weißen Kommode waren aufgerissen und ganz offensichtlich durchwühlt worden. Stifte, Scheren und Kleber lagen kreuz und quer in einer Schublade, die Papiere in einer anderen waren durcheinander geschmissen. Auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer, der ebenfalls weiß war, lagen unordentlich Kabel. Vermutlich hatte die Spurensicherung den Laptop, zu dem sie wohl gehörten, mitgenommen. Auf den weißen Teppich und die Couch waren schwarze Striche aufgemalt.

      Nur die abstrakten Gemälde an der Wand – geometrische Figuren in Schwarz und Blau auf weißem Hintergrund, das Ganze in schwarzen Rahmen – die hingen exakt und gerade, wie sie vermutlich hingen, als Franz F. noch lebte.

      Ich inspizierte den Platz unter der Couch, die schief im Raum stand. Alles von der Spurensicherung abgeräumt. Wenn da überhaupt etwas gelegen hatte.

      Ich löste mein iPhone vom Halsband und machte ein paar Aufnahmen vom Tatort.

      Apropos iPhone: Wo war eigentlich das Handy des Ermordeten? Ein Festnetztelefon gab es in der ganzen Wohnung nicht, es musste also irgendwo ein Handy geben. Ich suchte es überall, konnte es aber nicht finden. Schließlich ging mir ein Licht auf: Natürlich, das hatte die Polizei ganz sicher auch mitgenommen. Im „Tatort“ tun sie das auch immer, sie müssen ja rekonstruieren, mit wem das Opfer als letztes telefoniert hat.

      Ich stromerte durch den Raum, schnüffelte an Couch, Fliesen und Teppich, aber ich konnte nichts Interessantes mehr finden. So wanderte ich weiter in die Küche. Inzwischen hatte ich ordentlich Hunger bekommen. Vielleicht gab es da eine Kleinigkeit für mich – denn auch eine Miss Marple des 21. Jahrhunderts braucht ab und zu etwas zu essen.

      Die Küche war natürlich weiß und aufgeräumt. Nur das Edelstahl-Becken hatte Wasserflecken. Nein, das stimmte so nicht. Ich schnupperte. Es war Wasser, und da war ein ganz leichter Geruch, ein bisschen süßlich, ein bisschen nasekitzelnd und ziemlich interessant.

      Die