Nadja Christin

Fatalis


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von der Staffelei. Grimmig presst sie die Lippen zusammen und legt ihre Arme eng um den Körper.

      Immer noch verfolgen mich diese Augen, denkt sie, traurig. Nicht nur in meinen Träumen sehe ich sie, auch wenn ich wach bin, tanzen sie vor mir her.

      Wie letztens erst, als David mitten in der Nacht plötzlich neben ihr stand. Wenn sie ihn ansah, glühten diese bernsteinfarbenen Augen in seinem Gesicht.

      Als wenn Menschen, mit einer derartigen Färbung der Regenbogenhaut existieren würden.

      Verächtlich schnaubend wirft sie einen kurzen Blick auf das am Boden liegende Bild. Das Monster ist noch gut zu erkennen, ihr wütender Pinselstrich hat nur das Gesicht der ängstlichen Frau vernichtet.

      Die bernsteinfarbenen Augen glühen ihr entgegen, sie scheinen Vivien zu verspotten.

      Auf der Straße

      Micki geht langsam, die Hände in den Hosentaschen vergraben, wieder zurück zum Orangen.

      Ganze fünf Mal war er heute schon bei Vivien und hat die Klingel gedrückt. Sie öffnet ihm einfach nicht. Sie kommt aber auch nicht heraus, aus ihrem Schneckenhaus, da könnte er sie abfangen. Seine Verführungskünste noch mal anwenden, vielleicht springt sie bei einem weiteren Versuch darauf an.

      Micki seufzt auf, wenn ich mich bei der ganzen Sache doch so einsetzen würde, wie sonst auch, dann wäre das Ende

      schon greifbar.

      Aber wie die Dinge jetzt liegen, interessiert es mich kaum noch, ob ich meinen Auftrag erfülle, oder nicht. Ich bin nur mit halben Herzen bei der Sache, das ist nicht gut, gar nicht gut.

      Ich kann nur noch an Venustas denken, an ihre traurigen Augen und wie es ihr ergehen mag, in Nexanima.

      Bin ich dort eigentlich gestorben, oder habe ich mich in einem blauen Lichtblitz verabschiedet und keinen Krümel von mir zurückgelassen.

      Ganz in Gedanken schüttelt er heftig mit dem Kopf, ich muss unbedingt wieder dort hin, ich muss ihr sagen, dass es mir gut geht, dass ich lebe.

      Ich will ihr dringend sagen, das …

      Aber diesen Gedanken wagt Micki nicht mal in seinem Kopf, ganz still und heimlich nur für sich selbst, zu formen. Er wagt ihn nicht mal zu denken, zu groß ist die Furcht, etwas an ihm könnte ihn verraten. Auch David darf davon nichts erfahren, er würde ihn nicht verstehen.

      David, der Nüchterne und er selbst, der Gefühlsbetonte. Sie beide sind so verschieden, wie man nur sein kann. Trotzdem verbindet sie eine Freundschaft, die nun bereits seit dreihundert Jahren anhält. Alle Höhen und Tiefen, Freud und Leid hat sie überstanden. Mehr als einmal haben sie sich gegenseitig gerettet, aus wirklichen Gefahren oder aus den Fängen einer Frau.

      Sie standen gegenseitig für sich ein, als es zur Gerichtsverhandlung kam.

      Das Urteil war hart, aber die Alternative, nicht akzeptabel.

      Einhundert Jahre als Fatalis, durch die Welt zu wandern, war entschieden dem Tode vorzuziehen.

      Was bedeutet diese Strafe schon.

      Sie sind Schicksalbestimmer, bekommen ihre Aufträge und erledigen sie auf angemessene Art und Weise.

      Ihnen stehen verschiedene Fähigkeiten zur Verfügung: Das überaus gute, ja fast schon unwirkliche, Aussehen und die formvollendete Höflichkeit.

      Die Möglichkeit, auf ihre Verführkünste zurückzugreifen, erleichtert ihnen die Arbeit bei Frauen ungemein. Selbst Männer lassen sich ohne Zaudern auf beide ein, zu perfekt ist ihr Benehmen, unübertrefflich, ihr Verhalten.

      Micki, der weichere von ihnen, versucht immer die emotionale Schiene zu fahren, David hingegen macht die Damenwelt mit Sex glücklich.

      Darüber hinaus, lässt er nichts an sich heran kommen, Micki nimmt einen Auftrag schon mal persönlicher.

      Beide stimmen darin überein, das ein gutes Los ihnen lieber ist, als Verderben, Angst und Pein über die Menschen zu bringen.

      Gutes Schicksal macht eindeutig mehr Spaß.

      Micki, ganz in seinen Erinnerungen versunken, grinst vor sich hin. Wenn die obersten Dämonen sie damals nicht erwischt hätten, würden beide immer noch in der Menschenwelt wüten. Sie töteten damals viel mehr Frauen, Männer und Kinder, als sie fressen konnten. Es war die reine Begierde, die Lust aufs Abschlachten, mehr nicht.

      Lächelnd erinnert sich Micki an alten Zeiten. Er und David haben richtige Wettbewerbe abgehalten, wer von ihnen würde es schaffen die meisten Leute umzubringen, Kinder zählten doppelt.

      David war ihm haushoch überlegen, immer wieder hat er seinen eigenen Rekord gebrochen, vor allem durch die vielen toten Kinder. Es gab nicht wenige unter ihnen, die einfach aus Angst starben. Mit einem Blick auf sein monsterhaftes Aussehen und ihre armen, kleinen Herzen versagten den Dienst.

      Man ist als Semibos schon eine furchterregende Erscheinung, aber auch er selbst sieht nicht besser aus.

      Wenn Micki die Verwandlung zulässt, ähnelt er David nur darin, dass er genau so einen Cauda wie der Semibos trägt. Der Rest von ihm ist völlig anders.

      Er ist ein Bestiola, eine Art halbes Insekt. Sein Kopf verwandelt sich in den einer riesigen Ameise, mit Fühlern auf dem Kopf und langen, spitzen Mundwerkzeugen, die alles was sich darin verfängt unbarmherzig zermahlen.

      Es wachsen ihm drei zusätzliche Augen auf der Stirn, die Finger verbinden sich und werden zu einer einzigen scharfen Kralle. Sein Oberkörper, ist wie bei David, vergleichbar mit dem eines sehr muskulösen Mannes, allerdings so fest wie ein schwarzer Chitinpanzer, alles unterhalb der Gürtellinie ist wiederum menschlich.

      Wenn Micki in seine Ausweichgestalt schlüpft, wenn er für seine Umwelt zum Mann wird, trägt er, wie der Semibos auch, den Cauda locker um die Hüften gelegt und seine wahre Erscheinung ist hinter einem trüben, dunstigen Schleier verborgen.

      Manchmal unterhalten er und David sich darüber, was sie tun sollen, wenn ihre Strafe endlich beendet ist.

      Sie können nicht erneut an der Stelle beginnen, an der sie aufgehört haben. Das unkontrollierte Morden muss ein Ende haben. Werden beide nochmal erwischt, droht ihnen die Höchststrafe, der Tod.

      Bis heute sind sie zu keiner Einigung gekommen, wie ihr Dasein nach der hundertjährigen Sühne aussehen soll. Immerhin sind noch drei Jahre abzusitzen, bevor sie frei sind.

      *

      Micki schließt die Wohnungstür auf und wirft sich ärgerlich auf das Sofa. David sieht lächelnd von seinem Buch auf.

      »Na, wieder kein Glück gehabt?«

      Micki schüttelt stumm mit dem Kopf.

      »Das wird schon werden«, beruhigt David ihn und vertieft sich erneut in seinen dicken Wälzer.

      »Nein, das glaube ich nicht. Diesmal nicht, Kumpel.«

      Fragend hebt David den Blick.

      »Aber, das… das ist noch nie vorgekommen.« Er klappt lautstark das Buch zu und meint eindringlich.

      »Das darf es nicht geben, Micki. Wir müssen unsere Aufträge zu Ende führen. Das weißt du doch.«

      »Ja, ich weiß es«, Micki lehnt sich zurück und legt beide Hände über die Augen.

      David betrachtet ihn nachdenklich.

      Was ist nur los mit ihm, seit er aus diesem Traum erwachte, ist er ganz anders als sonst. Früher hätte es das nicht gegeben, ein Auftrag ist ein Auftrag, und ihre Mission, oder eher ihr Befehl lautet, ihn in jedem Fall auszuführen, egal wie.

      Unvermittelt flüstert Micki:

      »Willst du sie für mich übernehmen?«, er nimmt die Hände herunter und sieht David grinsend an.

      »Nur aus alter Freundschaft.«

      Jetzt