Nadja Christin

Fatalis


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noch nicht so viel über sie. Wie man sie töten kann und wo man am sichersten vor ihnen ist. Meine Kinder spielten draußen, als die Sammler ihnen ihre jungen, unschuldigen Seelen entrissen.«

      Venustas’ Stimme wird immer leiser, mehr denn je, hat Micki das Bedürfnis, sie zu umarmen, damit ihre Trauer vergeht. Er ballt seine Hände zu Fäusten und beherrscht sich.

      »Die Sammler gehen nicht gerade vorsichtig zu Werke dabei«, fährt sie fort und schluckt kurz, »die… die Leichen sahen aus, als wären sie von innen explodiert, als hätte etwas sie mit einer riesigen Kraft von innen geboxt. Ihre Einzelteile hat man noch in einer halben Leuga gefunden. Es war ein schreckliches Blutbad. Ich höre heute noch ihre Schreie, sie haben das Unheil auf sich zukommen sehen. Mein Mann ist über diese Schandtat wahnsinnig geworden, er zog aus, um nach den Übeltätern zu suchen. Weit ist er nicht gekommen, seine Überreste fand ich am nächsten Tag. Halb aufgefressen von Dämonen und verkohlt von der hellen Scheibe, die bis dahin unser einziger Feind war.«

      Sie hebt trotzig den Blick und reibt sich kurz über die Nase.

      »Wie auch immer, seit dem jage ich, zusammen mit einigen anderen, die Schattenwesen, aber vor allem die Seelensammler. Ich töte alle, die ich finden kann. Irgendwann habe ich die Mörder meiner Familie erwischt, oder sie sind schon längst tot, wer weiß das schon.«

      Sie dreht sich um, ihr langer, dick geflochtener Zopf aus schwarzem Haar, schwingt leicht hin und her auf ihrem zarten, schmalen Rücken. Micki starrt verwundert auf ihren Hinterkopf, er versteht die Welt nicht mehr.

      Ich hoffe, denkt er grimmig, das hier ist nur ein bizarrer Albtraum. Ich wünsche mir, das ich gleich aufwache, das David mich weckt oder Vogelgezwitscher, oder eine Explosion, oder irgendwas anderes. Ich will nur endlich aus diesem furchtbaren Traum erwachen. Dieses Mädchen, so etwas kann auch nur meinem Gehirn entsprungen sein.

      Aber heiße Klamotten habe ich mir für sie ausgedacht, überlegt er und betrachtet grinsend Venustas’ Rückenansicht.

      Sein Blick gleitet bewundernd über ihre hohen Stiefel, in ihrem rechten steckt jetzt wieder der Dolch. Ihre schlanken Beine darüber sind nackt, sie trägt ein kurzes, dunkelbraunes Höschen, ähnlich einer Short, es scheint aus weichem Leder zu sein. Darüber ihr zarter Rücken, ein Stück nackte Haut, dann etwas, das aussieht wie eine Weste, ebenfalls aus weichem Leder. Ein Köcher, der quer über ihrem Rücken hängt, verbirgt ein paar Pfeile, Micki kann noch ihre Federn erkennen.

      Ich scheine wirklich von Vivien fasziniert zu sein, überlegt er weiter, dass ich sie mit in solch einen verrückten Traum nehme. Warum ich sie allerdings zu einer Kriegerin, ja fast schon zu einer Amazone gemacht habe, ist mir schleierhaft. Wenn ich endlich wach bin, muss ich unbedingt David danach fragen, er versteht sich auf Traumdeutung.

      Mit einem Mal fällt Micki etwas auf.

      Ich habe die Tätowierung vergessen. Dabei fand ich die doch so toll an Vivien. Warum habe ich sie in meinem Traum nur an der Amazone weggelassen? Sonst bin ich doch so versessen auf jedes noch so kleine Detail. Er schüttelt leicht den Kopf über seine eigene, scheinbare Vergesslichkeit.

      Abrupt dreht Venustas sich um und packt Micki am Arm.

      »Duck dich«, zischt sie ihm zu und zerrt ihn gleichzeitig in die Hocke.

      »Da kommen wieder welche, aber es sind zu viele, wir müssen in meine Höhle«, grimmig presst sie die Lippen zusammen.

      Micki grinst sie an.

      »Damit hätte sich die Frage, gehen wir zu dir oder zu mir, ja wohl erübrigt, was?«

      Sie wendet ihren Kopf, blickt ihn an. Sie scheint kein Wort verstanden zu haben, als redet er in einer fremden Sprache.

      Micki verdreht die Augen nach oben und flüstert:

      »Ach, vergiss es einfach.«

      Ohne ein weiteres Wort, zerrt sie ihn hinter sich her. Geduckt laufen sie an dem Steinwall vorbei, bis zum nächsten.

      Micki fällt auf, das es hier scheinbar keine Vegetation gibt, kein Baum, kein Strauch, überhaupt nichts Grünes. Langsam beginnt er es anzuzweifeln, dass er sich in seinem eigenen Traum befindet. Allmählich beschleicht ihn die Angst, es könnte auch eine Realität sein.

      Eine ziemlich bescheuerte, zugegeben, aber es könnte auch alles die Wirklichkeit sein.

      Niemals würde es in seinem Traum kein Grün geben, er ist ein Naturbursche, er liebt die Wälder, Büsche, Bäume, den Duft von Gras. Seine Träume schäumen sonst über, vor lauter Pflanzen.

      Wo bin ich hier nur reingeraten, denkt er, während das Mädchen ihn weiter von Steinwall zu Steinwall zerrt.

      Ganz plötzlich befinden sie sich in einer Art Höhle, hier ist es noch dunkler und es stinkt fürchterlich.

      Venustas geht langsam, sich an den Wänden entlang tastend, voran. Sie hat seinen Arm losgelassen und erwartet wohl einfach, dass er ihr folgt.

      Unschlüssig bleibt er an die Wand gelehnt stehen.

      Soll er einem Trugbild, seiner Traumvorstellung einfach in eine unbekannte, dunkle Höhle folgen? Warum sollte er so unvernünftig sein? Urplötzlich flammt etwas auf, sie hat einen dünnen Stock angezündet und hält ihn an eine in Pech getauchte Fackel.

      Wie hat sie nur so schnell Feuer gemacht, fragt sich Micki verwundert, sonst scheint hier doch alles im Mittelalter stehen geblieben zu sein. Dann sieht er die Lösung, der dünne Stock wirkt wie ein übergroßes Streichholz. Auf dem Boden der Höhle liegen noch ein paar Hölzer, unangezündet, als Vorrat. An ihrer Spitze klebt eine rote, undefinierbare Masse.

      »Das ist getrocknetes Blut von Seelensammlern«, flüstert Venustas ihm zu, die seine neugierigen Blicke bemerkte.

      »Es entzündet sich bei schneller Reibung an einer rauen Oberfläche«, sie lächelt ein bisschen schüchtern.

      Für Micki sieht sie einfach nur bezaubernd aus, er könnte auf der Stelle sein Herz an sie verlieren.

      Reiß dich zusammen, schimpft er mit sich selbst, sie ist nur ein Trugbild, ein Schattenspiel, eine Vision, sie existiert nur in deiner eigenen verfluchten Fantasie.

      Hoffe ich jedenfalls, setzt er vorsichtig hinzu, denn wenn das hier sich als Realität herausstellt, wie bin ich hier hin gekommen und wie, zum Teufel, komme ich hier bloß wieder weg?

      Die Realität

      David löst sich von seinem Buch und blickt aufmerksam zu seinem Freund.

      Micki liegt auf dem Sofa, er wälzt sich unruhig von einer Seite auf die andere.

      »Na, Kumpel«, flüstert David, »hast wohl schlechte Erinnerungen zu verarbeiten.«

      Er seufzt kurz, es hört sich alt an.

      »Da müssen wir alle durch, die einen früher, die anderen eben später.«

      David zuckt kurz mit den Schultern, als habe ihm Micki geantwortet, dann vertieft er sich erneut in sein dickes Buch.

      Nach ein paar Sätzen bemerkt er, dass er den Inhalt nicht mehr registriert, die geschriebene Geschichte interessiert ihn nicht mehr.

      Genervt wirft er das Buch von sich, es landet, mit einem dumpfen Knall in der gegenüberliegenden Wohnzimmerecke. Micki, auf dem Sofa, dreht heftig seinen Kopf von links nach rechts, dann liegt er wieder halbwegs ruhig da.

      David presst seine Handballen gegen die Augen, aus seinem muskulösen Körper erklingt ein drohendes, gefährliches Knurren. Aber bevor das unheimliche Geräusch zu einem wütenden Schrei anschwellen kann, unterbricht sich David selbst.

      Er will weder sich, noch Micki verraten, zu blutig würde das Ende werden, wenn die Menschen hinter ihr Geheimnis kämen.

      David steht auf, stellt sich vor das Fenster und blickt hinaus. Die Wahl der Wohnung war perfekt, denkt er bei sich, von hier aus kann man fast die gesamte Siedlung überblicken. Vor allem das