Juna Aveline B.

Wege des Himmels


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der Arbeit, mit meiner Abschlussarbeit von mir abfallen, um neuen, schöneren Gefühlen Platz zu machen.

      Ich weiß, ich werde einschlafen wie immer. Aber morgen wird eine neue Sonne aufgehen.

      Sonntag, 09. Dezember 2007 – 2.Advent

      Björn ist zum Fußballgucken in die FCK-Kneipe – allein - und trifft sich dort mit Andreas, einem Arbeitskollegen und Freund. So kann ich mich wenigstens in Ruhe meinem Tagebuch widmen, ohne jeden Moment damit rechnen zu müssen, dass er zur Tür hereinkommt und mich grübeln sieht. Das Grübeln scheint echt zu einer meiner Lieblingsbeschäftigungen geworden zu sein …

      Fast vier Monate bin ich nun hier in Berlin und langsam scheint es sich wirklich zu zeigen, wer zu meinen wirklichen Freunden gehört und wer nicht, Denise und Melanie.

      Ich hatte gedacht, dass auch Carolin dazu gehört – aber das scheint nicht der Fall zu sein. Jetzt habe ich sie und ihren Verlobten Thorsten schon so oft gefragt, ob sie uns nicht einmal in Berlin besuchen kommen wollen, zumindest für ein Wochenende. Sie könnten natürlich auch bei uns übernachten. Bisher kam aber nie eine Reaktion. Und jetzt schrieb mir Carolin in einer E-Mail, dass sie vielleicht in den Weihnachtsferien zu uns kommen könnten. Und das obwohl ich ihr doch bereits geschrieben hatte, dass Björn und ich über Weihnachten in der Pfalz bei unseren Familien sind. Am Samstag, den 22. Dezember fahren wir nach Ludwigshafen. Björn fährt dann im neuen Jahr wieder zurück nach Berlin während ich einige Tage länger bleibe, weil ich am 04.01. und 10.01. meine letzten zwei Klausuren schreibe.

      War es einfach nur eine Unachtsamkeit ihrerseits oder habe ich irgendetwas falsch gemacht? Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass sie schreibt, Thorsten und sie könnten uns in den Weihnachtsferien besuchen kommen, wobei sie eigentlich weiß, dass wir gar nicht in Berlin sind zu der Zeit. Warum ist das alles so kompliziert geworden zwischen uns? Oder bin ich einfach nur kompliziert geworden?

      Ich weiß noch, wie wir uns in der 12. Klasse kennengelernt haben, dadurch dass wir die gleichen Leistungskurse gewählt hatten. Carolin und Thorsten, die damals schon ein Paar waren, Rebecca, Patrick und Andreas, die auch in den selben Leistungskursen waren, sowie Markus, das war die Clique, die mich ohne Fragen oder Bedingungen aufgenommen hat und sich um mich gekümmert hat. Es war genau die Zeit, in der mit meinem Exfreund Marc die Beziehung zur Hölle wurde. Carolin und Rebecca gaben mir den Rückhalt, den ich brauchte, nahmen mich mit, wenn sie abends etwas unternahmen und banden mich voll in ihre Clique mit ein. Oft machten wir Spieleabende bei Rebecca. Und irgendwann überkam mich ein leises Gefühl, dass sie mich mit Markus verkuppeln wollten. Ich verstand mich wirklich gut mit ihm, aber verliebt war ich nicht. Aber wenn ich nun zurückdenke, glaube ich, dass er ein wenig in mich verschossen war. Als Susanne mich mit Björn bekannt machte und ich schließlich mit ihm zusammen kam, war Markus ziemlich wütend – offensichtlich war er eifersüchtig, aber das merkte ich damals nicht. Vielleicht wollte ich es auch nicht merken. Denn wenn Markus nicht so schüchtern gewesen wäre, wenn er mich einfach einmal geküsst hätte, vielleicht wäre ich dann mit ihm zusammen gekommen.

      Ich bin verwirrt. Ich sollte so etwas nicht denken. Ich bin mit Björn zusammen. Seit mehr als fünf Jahren.

      Was ist nur mit mir los?

      Werde ich langsam total irre im Kopf? Langsam wird mir echt alles zu viel. Das Gefühlschaos wegen Doktor Bergmann und Björn, dazu noch mehr Gefühlschaos wegen Carolin. Ich habe wirklich große Lust, mich ins Bett zu verkriechen, mir die Decke über den Kopf zu ziehen und die nächsten 50 Jahre nicht mehr da raus kommen.

      Ich muss hier raus, frische Luft schnappen, dabei kann ich besser denken. Auch intensiver fühlen. Das ist das wichtigste momentan. Ich komme zurzeit mit Denken nicht weiter. Ich will nur noch fühlen.

      Dienstag, 11. Dezember 2007

      Ich liebe die Vorweihnachtszeit, liebe die vielen verführerischen Düfte nach Plätzchen, Stollen, Zimt, Nelken in der Luft, die Lichter am Straßenrand und in den Geschäften, die Weihnachtsbäume. Ich genieße sogar den Trubel in den Geschäften. Am Samstag, als ich Geschenke einkaufen war, habe ich mich einfach eine Zeitlang in eine Ecke des Kaufhauses gestellt und habe die Menschen beobachtet. Sie sind so verschieden. Auf der einen Seite sieht man die Gestressten, die nicht wissen, was sie ihren Liebsten schenken sollen und von Abteilung zu Abteilung hetzen, vielleicht ein Parfum für die Frau oder doch eher Schmuck, vielleicht den Ledergürtel für den Mann oder würde ihm ein neues, schickes Hemd mit Krawatte doch besser gefallen? Und die Kinder nicht zu vergessen. Eine Autorennbahn, eine neue Puppe, Bauklötze oder doch besser das neue Computerspiel oder eine Spielekonsole?

      Andererseits gibt es die Entspannten, die genau zu wissen scheinen, was sie ihren Freunden und der Familie schenken werden: Genau das Buch brauche ich bitte, es war doch das Armbändchen, was ihr beim letzten Einkaufsbummel so gut gefallen hat…

      Ich bin ein Typ irgendwo in der Mitte. Ich weiß meistens nicht so genau, was ich verschenken soll, aber stressen lasse ich mich deswegen nicht. So bin ich am Samstagmorgen durch das Kaufhaus geschlendert, habe mal hier mal dort geschaut, bis ich schließlich für Magdalena in der Schmuckabteilung fündig wurde: Ein traumhaftes Schmuckset von Swarovski – eine Halskette mit dunkelrot schimmernden Steinen besetzt und die dazu passenden Ohrringe. Die Kette hätte es auch mit blaugrauen Steinen gegeben – aber diese Farbe erinnerte mich plötzlich an die Augen von Frau Sommer. Vor meinem geistigen Auge sah ich auf einmal Frau Sommer, sie hatte mir den Rücken zugewandt und legte sich genau diese Kette an, sie drehte sich um und ich kann nicht sagen, ob ihre Augen oder die Steine der Kette mehr funkelten. Sie sah so atemberaubend aus, dass ich einen Moment lang vergaß zu atmen.

      „Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte die freundliche Stimme einer älteren Verkäuferin.

      Ich stand vor dem Schaukasten und zwang mich, mir vorzustellen, wie die dunkelrote Kette und die Ohrringe an Magdalena aussahen, wie sie ihr stehen würden – bestimmt sah sie mindestens ebenso schön aus!

      „Ja, das wäre sehr nett!“, wandte ich mich an die Verkäuferin. „Ich hätte gerne die dunkelrote Kette mit den Ohrringen. Das gibt ein Weihnachtsgeschenk für meine Freundin!“

      Die Verkäuferin lächelte. „Da wird sie sich bestimmt sehr freuen, Ihre Freundin. Und sie wird traumhaft aussehen, wenn sie den Schmuck trägt! Soll ich es gleich als Geschenk einpacken?“

      „Ja, bitte, das wäre super!“ bedankte ich mich bei der höflichen Verkäuferin, die mich irgendwie an meine Oma erinnerte. Aber meine Oma hätte bestimmt gemerkt, dass noch etwas hinter meinen Worten steckte, meine Oma hätte gehört, was ich nicht gesagt hatte. Und ich wünschte mir, sie wäre jetzt hier und wir könnten reden. Was war nur los mit mir, dass mir andauernd diese Frau Sommer in den Sinn kam?

      Da entdeckte ich im nächsten Schaukasten eine wunderbare Brosche, die meiner Oma bestimmt gefallen würde – eine Blume, die in verschiedenen Farben leuchtete, und je nachdem von welcher Seite man die Brosche betrachtete, schienen sich die Farben zu verändern. Ich bat die Verkäuferin, mir die Brosche auch noch als Geschenk zu verpacken. Die Brosche passte zu meiner Oma – denn genau wie die Brosche hatte meine Oma auch viele Facetten, die man entdeckte, je nachdem von welcher Seite man sie betrachtete.

      Nachdem ich bezahlt hatte, schlenderte ich noch ein wenig durch das Kaufhaus und hing meinen Gedanken nach. Wahrscheinlich war ich einfach etwas überarbeitet im Moment, sodass mir zu viele Gedanken durch den Kopf gingen, ich diese nicht mehr alle verarbeiten konnte. Gut, dass Marle und ich bald Urlaub hatten und wir wegfahren würden, raus aus Berlin. Im Urlaub würde sich alles wieder einrenken, wir würden viel Zeit miteinander verbringen, ich würde Zeit haben, das Geschehene der vergangenen Wochen zu verarbeiten. Und so kam mir das Stichwort Urlaub in den Sinn. Meine Eltern könnten auch mal wieder Urlaub gebrauchen! Ich würde ihnen Urlaub auf Weihnachten schenken!

      So führte mich mein nächster Weg direkt ins nächste Reisebüro.

      „An welche Reise hätten Sie denn gedacht?“, fragte mich die Verkäuferin