Juna Aveline B.

Wege des Himmels


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von verschieden Investmentfirmen über Anlagestrategien in und Zukunftsaussichten von indischen Geldanlageprodukten anzuhören. Dazu gab es natürlich auch die passende Verköstigung, indisches Fingerfood für die Kunden. Frau Schmesser nutzte natürlich die Gelegenheit, um mir zu zeigen, wie mein Stand als Praktikantin bei ihr war. So durfte ich an diesem Abend die Organisation der Garderobe übernehmen.

      Vielleicht ist es nicht schlecht, Veranstaltungen dieser Art mitzubekommen, mir das oberflächliche Geschwätze dieser Menschen anzuhören, jederzeit perfekt Lächeln zu müssen. Es ist so anstrengend sich über Nichtigkeiten zu unterhalten. Es laugt einen wirklich aus. Jedenfalls merkte ich so einmal mehr, dass ich in diese Gesellschaft nicht passe. Unter dem Pöbel, wie man diese Gesellschaftsschicht einst nannte, fühle ich mich wohler als unter dem Klerus.

      Ich war so froh, als ich heimkam und Anisha und Filou auf den Arm nehmen konnte. Die Futterumstellung scheint gewirkt zu haben. Das Erbrechen ist besser geworden. Sie bekommt jetzt vorerst nur kleinere Portionen und dafür lieber öfters am Tag soweit das möglich ist. Sie hat wohl wirklich einen empfindlichen Magen. Aber das ist auch gut so. Jetzt bekommen beide nur noch das bessere Futter.

      Am Mittwoch hatte ich endlich meinen Zahnarzttermin. Ich hatte Bammel ohne Ende, wie immer, das wird sich wahrscheinlich auch nicht mehr ändern. Auch wenn Dr. Bergmann auch wie immer sehr charmant war. Nicht nur das - ich habe das Gefühl, dass er sich wirklich Mühe gab, vorsichtig war und versuchte, mich zu beruhigen. Vielleicht ist er doch nicht so arrogant wie ich zunächst dachte? Ich weiß nicht, irgendwie hat er zwei Seiten an sich. Auf der einen Seite dieses Fürsorgliche, dieses Aufpasssen, mir möglichst wenig weh zu tun, aber auch diese Arroganz und Ignoranz. So hat er sich scheinbar überhaupt nicht dafür interessiert, dass sich eines der Provisorien ja gleich noch am ersten Abend verabschiedet hatte. Egal – was brauche ich mir Gedanken über seine Persönlichkeit zu machen. Hauptsache er macht seine Arbeit gut. Trotzdem bleiben meine Gedanken ständig bei ihm hängen.

      „Geht’s Ihnen gut?“ fragte er knapp zur Begrüßung.

      „Ein bisschen stressig ist es zurzeit bei mir“ meinte ich einen inneren Kampf ausfechtend. Einerseits hatte ich das Bedürfnis, überhaupt mit jemandem zu reden, noch stärker war mein Verlangen, mit Dr. Bergmann zu reden, andererseits wollte ich gerade nicht mit ihm reden, weil ich merkte, dass die Gefahr bestand, ihn zu sehr zu mögen. Er war einfach nur mein Zahnarzt.

      „Stressig?“ fragte Doktor Bergmann zurück, und seine grünblauen Augen schauten mich warm und freundlich an.

      „Ja, bei der Arbeit läuft es nicht so gut, mit der Abschlussarbeit komme ich nicht so gut voran wie gedacht und dazu ist meine Katze auch noch krank“ sprudelte es aus mir heraus. Gegen diese Augen, gegen diesen Blick war ich machtlos und alle Vorsätze dahin. Die Sorgen der vergangenen Wochen hatten sich ihren Weg gebahnt, über meine Stimmbänder, meinen Mund, meine Lippen nach draußen. Und im gleichen Moment ärgerte ich mich über mich selbst. So schlimm stand es um mich auch wieder nicht, und mit dem Gejammere war ich bei Dr. Bergmann sowieso falsch.

      „Ohje, das hört sich wirklich nicht gut an“ schaute er mich wieder mit diesem sanften Blick an. Und ich fühlte mich verstanden, ernst genommen von einem Menschen, der mir leibhaft gegenüber saß. Es war schon lange her, seit ich dieses Gefühl zuletzt hatte.

      „Aber meiner Katze geht es zum Glück schon wieder besser“ meinte ich schnell. Ich hatte mich wieder im Griff. Ich wollte keine Schwächen vor Dr. Bergmann zeigen. Und auf gar keinen Fall sollte er merken, dass er mich schwach machte.

      Doktor Bergmann ging zum Glück nicht weiter darauf ein, sondern wechselte mit einer Nachfrage zu dem unglücklichen Provisorium das Thema und verfiel in die typische Ärzte-Arroganz: „Welches Provisorium war das denn, welches Sie verloren haben?“

      „Das auf der linken Seite“

      „Das habe ja zum Glück nicht ich gemacht“ kommentierte er das Unglück knapp. Von seiner Fürsorglichkeit und Wärme war nichts mehr zu spüren. „Mit welcher Seite sollen wir anfangen?“

      Unfähig, etwas zu sagen, antwortete ich mit einem leichten Schulterzucken, was soviel bedeuten sollte wie „Fangen Sie mit der Seite an, die Ihnen lieber ist“.

      „Egal?“ wollte Doktor Bergmann nochmals wissen, worauf ich wiederum nur ein Nicken zustande brachte. „Dann beginnen wir links. Zuerst muss das Provisorium entfernt werden, dann wird der Zahn gereinigt und schließlich das Inlay eingepasst“ erklärte er mir die bevorstehenden Behandlungsschritte. Seine Stimme wurde wieder weicher und sein Blick sanfter, wenngleich er noch immer distanziert wirkte. „Eine Betäubung brauchen wir heute nicht“ sprach er weiter.

      Auf meinen zweifelnden Blick hin versuchte er mich zu beruhigen. „Das wird nicht weh tun heute“. Und mit einem Blick in diese klaren Augen, die wie das türkisgrüne Wasser eines Korallenriffs schimmerten, wollte ich ihm glauben, aber in meinem Kopf geriet plötzlich so viel durcheinander. Es war wie ein Stromschlag, der mich durchfuhr. War es schon wieder die Panik, seine leicht raue, aber trotzdem weiche Stimme oder diese Augen, die mich weitab der Realität triften ließen. Obwohl ich bei vollem Bewusstsein war, nahm ich alles wie durch eine dicke Watteschicht wahr. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sondern nur noch aufsaugen, was um mich herum geschah.

      Doktor Bergmann begann konzentriert mit der Behandlung. Ich war mindestens genauso konzentriert. Jeder einzelne Muskel meines Körpers stand unter Strom, und das Adrenalin im Blut brachte mein Herz zum Pochen. Das grelle Licht des Behandlungszimmers blendete mich, und ich schloss meine Augen, hoffend, dass ich dadurch von der Behandlung weniger wahrnehmen würde. Lange hielt ich es nicht aus. Leicht öffnete ich meine Augen wieder. Ich konnte ihn nur anstarren, ihn, seine Augen, sein Blick, der so konzentriert war, dass er zum Glück nicht bemerkte, mit welcher Intensität ich ihn anschaute, mir das Bild einprägte und mich in ihm verlor.

      Ich muss die Augen dann wieder geschlossen haben und realisierte zunächst nicht mehr, dass die Behandlung kurz unterbrochen war, nachdem das erste Provisorium entfernt war und die Assistentin die weiteren Behandlungsschritte vorbereitete. Erst als ich wieder diese samtige Stimme mit dem leichten Kratzen hörte, schien ich wieder zu mir zu kommen.

      „Frau Sommer, Sie können den Mund ruhig einen Moment schließen und sich entspannen.“

      Ich streckte kurz meine Arme, behielt die Finger dabei aber verknotet. Dabei merkte ich, wie angespannt ich die ganze Zeit gewesen war. Meine Hände waren eiskalt.

      „Das ist schön, das Lied“ unterbrach Doktor Bergmann auf einmal die Stille und fing leise an, „Everlasting Love“ von Love Affair mitzusummen. „Das gab’s doch auch mal von Take That.“

      „Nein, Worlds Apart haben das in den 90ern mal gesungen“ verbesserte ich ihn und blickte ihn an. „Und von Gloria Estefan gibt’s auch eine Version. Das ist bestimmt einer der meist gecoverten Songs“ redete ich weiter.

      Erstaunt sah mich Doktor Bergmann an. „Sie kennen sich aber aus“ meinte er anerkennend, was keine gute Idee von ihm war, denn sofort schoss mir das Blut in die Wangen und ich senkte meinen Blick auf meine verknoteten Finger, entknotete sie, verknotete sie wieder neu.

      Scheinbar merkte er, dass es mir peinlich war, denn er erzählte auf einmal weiter.

      „Aber ich gebe zu, dass ich manche Songs von Take That gar nicht mal so schlecht finde! Back for good ist doch klasse! Und, naja, oft ist es ja so, dass Songs auch gecovert werden und trotzdem daraus ein neues Lied entsteht wie zum Beispiel Ey DJ von Culcha Candela, der Beat ist ja von Gravel Pit vom Wutang Clan.“

      Ich musste ihn einfach wieder anschauen, jetzt war ich überrascht. Aber Doktor Bergmann hatte sich schon wieder der Assistentin zugewandt.

      Auf einmal lief „Jessie“ von Joshua Kadison, und Doktor Bergmann meinte „Schade, dass man von dem Sänger nichts weiter gehört hat“.

      „Doch, von ihm gibt’s doch auch noch andere Songs. „Picture postcards from L.A.“ zum Beispiel. Aber am Schönsten finde ich „Beautiful in my eyes“. Kennen Sie die Songs nicht?“

      Er verneinte. „Dann wollen wir mal weitermachen“,