Juna Aveline B.

Wege des Himmels


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ist von der Größe, den vielen Möglichkeiten und der Freiheit, aber dagegen die andere Hälfte, die die Freunde in der Heimat vermisst, die sich einsam fühlt. Eine Hälfte, die für Doktor Bergmann schwärmt, die bei ihm Zuflucht, Wärme und Aufmerksamkeit findet, die so selten geworden sind in ihrer Welt, und eine andere Hälfte, die sich über die erste Hälfte lächerlich macht, die sieht, dass diese Schwärmerei hoffnungslos und peinlich ist.

      Wie soll das bloß weitergehen???

      Irgendwann muss ich einfach aufräumen in meinem Leben. Irgendwann muss ich mich entscheiden – diese oder jene Hälfte. Irgendwann werde ich eine Entscheidung treffen… nur wann und welche?

      Freitag, 07. Dezember 2007

      Ich bin aufgewühlt, durcheinander, verwirrt. Ich komme mir vor wie ein dreizehnjähriger Teenie, der zum ersten Mal verliebt ist.

      Ich komme direkt vom Zahnarzt-Termin bei Doktor Bergmann. Und eigentlich hatte ich ihm als kleines Nikolaus-Geschenk die Joshua-Kadison-CD gebrannt. Die Hülle hatte ich mit einem kleinen Schleifchen und einem Schokoladen-Nikolaus verziert. Nichts besonderes, aber ich hoffte, dass es doch als kleine Geste gut bei ihm ankommt.

      Aber… Ich habe mich nicht getraut, ihm die CD zu geben. Warum? Weil er mir von einem kleinen Jungen erzählt hat, der bei ihm in Behandlung ist. Der Junge war heute Vormittag bei ihm zur Nachkontrolle. „Bisher hatte er auch schreckliche Angst vor dem Zahnarzt, aber heute war er ganz tapfer und viel entspannter wie bisher“ erzählte Doktor Bergmann mit einem verträumt abschweifenden Blick. „Es war ja auch nur eine Nachkontrolle, aber bis zum Ende hielt er ganz still. Und als ich mich verabschieden wollte meinte er, dass er nur wegen mir kaum noch Angst habe und holte ein kleines Tütchen aus seiner Jackentasche und streckte es mir entgegen. Er war so schüchtern, dass er sich nicht traute mich anzuschauen oder etwas zu sagen. Also fragte ich ihn, ob das für mich sei, und der Junge nickte nur stumm. Ich nahm also die Tüte und warf einen kurzen Blick hinein. Ich schaue mir nämlich Geschenke lieber alleine und in Ruhe an, aber ich war so neugierig, was mir der Junge geschenkt hatte. Stellen Sie sich vor, Frau Sommer, es war eine selbstgebastelte Nikolaus-Kerze. Ich habe mich wirklich riesig gefreut und der Anblick des Jungens war einfach goldig, wie er so schüchtern dastand.“

      Doktor Bergmanns Augen hatten richtig angefangen zu leuchten, wodurch sie umso tiefer, umso wundervoller wirkten.

      Und ich hatte die gebrannte Joshua-Kadison-CD in meiner Tasche. Natürlich konnte sie mit der selbstgebastelten Kerze eines kleinen Jungen nicht mithalten. Ich kam mir auf einmal so dumm und dämlich vor. Ein Glück, dass Doktor Bergmann nicht über meine Pläne Bescheid wusste, wie gut, dass ich ihm die CD nicht gleich zur Begrüßung gegeben hatte – trotzdem, am Liebsten wäre ich vor Scham im Erdboden versunken! Wie hatte ich nur denken können, dass ich die einzige war, die ein Nikolausgeschenk für Doktor Bergmann hatte, der Meinung sein, es sei nichts Großartiges, aber doch etwas Besonderes. Aber in Wahrheit war mein Nikolausgeschenk weder einzigartig noch besonders. Je länger ich darüber nachdachte, umso mehr fing ich an, mich zu schämen, mich über meine eigene Dummheit zu ärgern.

      Zum Schluss packte ich einfach nur schnell meine Tasche und meine Jacke, verabschiedete mich kurz und versuchte möglichst ruhig – tatsächlich wohl eher fluchtartig – das Behandlungszimmer zu verlassen.

      Zu allem Übel hatte Björn darauf bestanden, mich abzuholen. Was lieb gedacht war, machte mir den Weg vom Behandlungszimmer zum Wartezimmer, wo Björn lustlos in einer Autozeitschrift blätterte, zur Hölle. Ich blieb kurz auf dem Flur stehen, atmete tief durch und versuchte klar zu werden im Kopf. Björn sollte auf gar keinen Fall merken, wie verwirrt ich war. Nur gut, dass Björn nach einem anstrengenden Zahnarzttermin nicht unbedingt das freudigste Lächeln von mir erwartete. Ich trat in die Tür zum Wartezimmer, bemühte mich trotz allem um ein möglichst unbeschwertes Lächeln und meinte „Hi Björn! Ich bin fertig. Kommst du?“

      Er sah kurz zu mir auf, lächelte auch kurz, legte die Zeitschrift zurück, griff nach seiner Jacke und folgte mir zum Empfang, wo ich mir noch schnell den nächsten Termin aufschreiben ließ.

      „Musst du nochmal zum Zahnarzt?“ fragte Björn und es klang etwas besorgt.

      „Ja, leider“ beantwortete ich ihm knapp seine Frage.

      Ich bedankte mich noch rasch bei der Arzthelferin für den Zettel, worauf sie mir den nächsten Termin notiert hatte, und ging direkt zum Ausgang. Björn folgte mir in kurzem Abstand.

      „War es so schlimm?“ fragte er mitfühlend und sah den Grund für mein fluchtartiges Verlassen der Klinik in der für mich bestimmt schmerzhaften Behandlung. Normalerweise wäre er damit richtig gelegen. Heute nicht. Heute war es anders. Heute versuchte ich nicht vor den Schmerzen, sondern vor meiner Verwirrung wegzulaufen.

      Die Sache mit dem Geschenk verwirrte mich, viel mehr verwirrten mich aber auch meine Gefühle. Es war nicht mehr länger zu leugnen. Ich fand Doktor Bergmann nicht nur attraktiv und anziehend. Ich schien mich Hals über Kopf in ihn verliebt zu haben. Dies bezeugten zumindest meine Nervosität und die kalten Hände, jedesmal wenn ich an ihn dachte, mein Herzklopfen, jedesmal wenn ich ihn sah und die Hitze und Röte, die sich auf meine Wangen legten, jedesmal wenn er mich ansah.

      Ich saß bei Björn im Auto, es war inzwischen dunkel geworden, und schaute aus dem Fenster. Autos, die uns überholten, Straßenlaternen, die ihr schummriges Licht verbreiteten, Reklameschilder, die in den unterschiedlichsten Farben den Abend erhellten und vorüberzogen.

      Ich saß neben Björn im Auto und mir wurde klar, dass ich mich in einen anderen Mann verliebt hatte. Das, was ich nie für möglich gehalten hatte, war zur bitteren Realität geworden.

      Björn erzählte irgendetwas von seiner Arbeit, gab sich aber damit zufrieden, dass ich seinen Bericht ab und zu mit „Aha“ oder „Mhm“ kommentierte.

      Als wir schließlich zuhause waren, zog ich mir gleich meinen Schlafanzug an, versorgte zügig aber trotzdem liebevoll meine zwei süßen Racker und verkroch mich dann ins Bett. Für Björn war das nichts besonderes, immerhin war es inzwischen auch schon knapp 21 Uhr. Es kam öfters vor, dass ich mich schon um acht Uhr abends ins Bett legte, dann noch einen Film im Fernsehen schaute, um danach direkt einschlummern zu können ohne nochmals aufstehen zu müssen. Manchmal passierte es sogar, dass ich das Ende des Films gar nicht mehr mitbekam, weil ich bereits schlief. Es war selten, dass Björn einen Film mit mir zusammen sehen wollte, meist verbrachte er die Abende an seinem Computer und spielte Fußball-Manager oder er sah sich im Wohnzimmer einen anderen Film an. So ließ er mich auch heute zum Glück allein und ging in sein Zimmer.

      Und jetzt liege ich im Bett und spüre, wie sich meine Seele weiter und weiter zweiteilt. In die eine Hälfte, die mit Björn zusammen ist, die ihn nicht verletzen will und hofft, dass bald wieder alles besser läuft mit unserer Beziehung, die aber vor allem weiß, dass sie Björn nicht wegen einem anderen Kerl verlassen will, weil sie sich noch genau an den Schmerz erinnern kann, wie weh das tut.

      Und in die andere Hälfte, die das Kribbeln am ganzen Körper genießt, mit Sehnsucht an diesen Mann denkt, der so unverhofft, unerwartet, und doch genau richtig in ihr Leben trat, mit diesen wundervollen Augen, die jedesmal so groß, aufmerksam und freundlich wurden, wenn er sie ansah, dem verführerischen Mund, den wuscheligen Haaren, die während der Arbeit mit etwas Gel zurückgehalten wurden, der Stimme, die wie Musik in ihren Ohren klang, sanft, rau, samtig, kratzig.

      Aber was wusste ich schon über Doktor Bergmann? Ich wusste von drei Liedern, die ihm gefielen. Wusste, dass er scheinbar abends ab und zu ins Felix oder Maxxim ging. Nicht gerade viel. Aber musste man viel von jemandem wissen, in den man sich verliebte?

      Es war seine Art, wie er mit mir umging, wie er mich ansah, wie er mir zuhörte, die das „Ich finde ihn ganz sympathisch und gut aussehend“ in ein „Ich habe mich in ihn verliebt“ gewandelt haben.

      Und ich merke, wie die zweite Hälfte meiner Seele überhand gewinnt und beginnt, die neue Verliebtheit, die Schmetterlinge, das Kribbeln zu begrüßen und zu bejahen. Ich spüre, dass ich wieder beginne zu fühlen, dass ich