Lisa Schoeps

Poet auf zwei Rädern


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sie solle den Mund halten. Ich vermisste die Nähe die wir früher zueinander hatten. Wäre gerne mit ihm in die Werkstatt oder in den Wald gegangen. Wäre gerne mit ihm allein gewesen. Unsere Beziehung war inzwischen fürchterlich kompliziert. Wir konnten nicht mehr unbefangen miteinander reden.

      Sie war enttäuscht, weil ich schon so früh wieder ging. Ich lehnte höflich den Kuchen ab den sie mir einpacken wollte. Begriff sie nicht was sie da von sich gegeben hatte? War ihr überhaupt bewusst, wie sehr sie mich verletzte? Erwartete sie das ich sie tröstete? Ich verstand ihre Welt nicht. Der Graben war dadurch nur noch ein Stückchen mehr gewachsen.

      Auf der Fahrt zum Krankenhaus, verfolgten mich die Szenen des Tages. Mutter, der Heiratsantrag, Sabines Bedenken.

      Heute Morgen hatte ich mein Kleid ausgepackt, aber nicht angezogen, den zarten Stoff befühlt und es dann in den Karton zurückgelegt.

      Ich dachte an unsere glücklichen Tage. An den Hut von Oma Helene. Erneut an den Tag als Michael mich gefragt hatte ob ich ihn heiraten möchte. Es überkam mich eine tiefe Traurigkeit, ich fragte mich mal wieder: Warum? Die Verzweiflung umklammerte mich wie ein eisernes Korsett.

      Kapitel 6

      Die Wochen vergingen, außer ein paar schwer interpretierbaren Lauten konnte Micha nichts von sich geben. Es gab so Vieles, über das wir reden mussten und es ging nicht. Ich vermisste unsere Gespräche. Fühlte mich schrecklich alleingelassen und einsam.

      Michael wirkte inzwischen so, als würde er alles was um ihn herum vorging erfassen. Sein Verstand schien wieder voll zuarbeiten, darin lag eine ungeahnte Grausamkeit des Schicksals. Er war in sich gefangen. Erst wenn einem ein Gut wie die Sprache genommen wird, wird einem so richtig bewusst, wie wertvoll es ist. Unsere Kommunikationsform war einseitig, ich redete und Micha sah mich an.

      Es brachte mich fast um mitzuerleben, wie der Mensch, den ich am meisten liebte, durch einen Unfall ins Kleinkindalter zurückgeworfen wurde. Seine Verzweiflung war so offensichtlich, dass man sie greifen konnte. Er konnte das, was in ihm vorging nicht artikulieren. Er litt, seelisch und körperlich. Die Zeit hatte keine Bedeutung mehr, wurde körperlos und dahin schwimmend, seitwärts gleitend, ohne Anfang und ohne Ende. Seine Augen spiegelten die immer gleiche Frage, wozu lebe ich noch, obwohl ich doch besser tot wäre. Er hatte trotz der starken Schmerzmittel Schmerzen und Fieber. Wegen des Beckenbruchs konnte er sich noch immer kaum bewegen. Der heilte nur sehr langsam. Er war hilflos. Mir hallten, ungewollt, die Worte meiner Mutter im Gedächtnis „Mädel du bist noch so jung, und der Kerl kann nicht mehr sprechen und nicht laufen, wird es wahrscheinlich nie wieder können, wird ein Pflegefall bleiben, du verbaust dir dein ganzes Leben“.

      Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich schob den Gedanken ganz schnell beiseite. Schluckte ein paar Mal heftig, wischte mir über die Augen, kämpfte um meine Fassung. Bleierne Angst und Traurigkeit waren meine ständigen Begleiter, sie überlagerten alle anderen Gefühle, zeitweise war mir ganz übel davon. Wenn ich ihn ansah, keimten auch in mir Zweifel auf. Zweifel, ob wir mit der neuen Situation auf Dauer zurechtkämen.

      Groteskerweise half es mir in seiner Nähe zu sein, denn dann war ich mir zumindest sicher, dass er lebt.

      Ich erzählte ihm von meinem Tag. Die positiven Dinge, nichts von meinen eigenen Ängsten, war fröhlich, versuchte ihn zum Lachen zu bringen. Ich las aus den Büchern vor, die er liebte. Jeden Tag aus den gesammelten Werken von Lord Byron. Seine poetischen Texte waren im Lauf unserer Beziehung zu einem Teil von ihr geworden. Sie stammten aus seinen Briefen und Tagebüchern, wir hatten oft stundenlang darüber gesprochen, was wohl in einem tieferen Sinne gemeint war. Diese Gespräche gehörten nur uns. Es hatte sich zu einem Spiel zwischen uns entwickelt. Er lächelte, vielleicht auch weil die Erinnerung einen kurzen Moment die brutale Wirklichkeit überlagerte.

      Den Ulysses fand ich immer sehr langatmig, Micha mochte ihn und es ist ein dickes Buch. Es beschreibt einen einzigen Tag in Dublin, im Leben von Leopold und Molly Blum, sowie Stephen Dadelus. So ähnlich wie Homers Odysseus, nur modern. Den 16. Juni 1904. In achtzehn Episoden werden minutiös alle Geschehnisse, Gefühle, Gedanken der Protogonisten erzählt. Am Ende hat man das Gefühl Leopold Blum besser zu kennen als sich selbst. Das Zitat von James Joyce „Es gibt keine Vergangenheit, keine Zukunft, alles verläuft in einer ewigen Gegenwart.“ Erschien mir in unserer jetzigen Situation außerordentlich passend. Henry Millers, ‚Im Wendekreis des Krebses’ war ein anderes Buch das wir beide sehr mochten. Es besticht durch seine außergewöhnliche Vielfalt der Sprache. Ein Buch, das einen in seinen Bann zieht mit Millers ganz eigenem Stil von aufeinander folgenden Tagebucheinträgen. Er beschreibt stark überzeichnet dargestellte Alltagssituationen. Seine allgemeinen philosophischen Überlegungen über das Leben machen das Ganze amüsant und leicht lesbar.

      Micha mochte es, wenn ich ihm vorlas, es zerteilte seinen Tag, nahm ein Kleinwenig von der Einförmigkeit, dem immer selben Ablauf, dem immer selben Blick an die Zimmerdecke, den wiederkehrenden Ritualen und den langen einsamen Stunden, gefangen in der Bewegungslosigkeit und Einsamkeit. Wir sprachen mit Blicken miteinander. Damit hielten wir den Funken Hoffnung am Leben, dass wieder bessere Zeiten kommen würden.

      Die Schwestern bemerkten meine Verzweiflung, wenn ich aus dem Zimmer kam und machten mir Mut. Es war bewundernswert was diese Menschen tagtäglich leisten. Und welch menschlichem Elend sie gegenüberstehen. Sie versicherten mir immer wieder, dass es ihm hilft wenn er weiß, dass er nicht allein ist.

      Doch die Zeiten des Zweifels wurden immer häufiger, in denen ich mir überlegte wie soll das weiter gehen, wie schaffen wir das? Wie kann ich auf Dauer für uns beide Sorgen. Bin ich dem Ganzem gewachsen? In mir vernahm ich Stimmen, die ich nicht hören wollte, Selbstmitleid, Zweifel, Aussichtslosigkeit.

      Wenn ich mich den Gedanken hingab, stockte mir der Atem. Ich dachte an unser verwinkeltes, halbrenoviertes Haus und an ein Leben im Rollstuhl und daran nicht mehr miteinander sprechen zu können. An die schwerverständlichen einzelnen Wortfetzen, die er bislang hervorbrachte. Ich überlegte wie das Morgen aussehen sollte.

      Nachts war ich starr vor Angst und Panik, wusste nicht, woher ich noch weitere Kraft mobilisieren sollte, um für ihn eine Stütze zu sein. Immer öfter fragte ich mich, ob ich auf Dauer in der Lage war, mit einem Mann, der sich im Stadium eines Kleinkindes befand, den Rest meines Lebens zu verbringen. Ich hasste mich für meine Zweifel, ich kam mir verwerflich vor. Und doch waren auch diese Gedanken Bestandteil meiner nächtlichen Zwiegespräche.

      Ich versuchte sie wegzuschieben, sie zu verdrängen. Meine Seele wollte sich zurückziehen, zurück in eine heile Welt. Du bist anders dachte ich, ein Feenwesen. Ich fing wieder an zu zählen, mir Dinge die ich gesehen hatte ganz genau ins Gedächtnis zurückzuholen. Das beruhigte mich. In meiner Phantasie wurde alles gut. Meine verwirrten Gedanken bewegten sich nur schwerfällig. Sie ist wieder da die unheilbare Wunde, sie brennt und schmerzt. Meine Angst vor der Einsamkeit wuchs, die Zweifel meldeten sich immer lauter zu Wort. Ich wog noch 48 kg bei 175cm Größe, verlor immer mehr Gewicht, meine Kleidung schlabberte lose um meinen Körper. Ich war müde, schrecklich müde. Ich nahm jeden Morgen all meine Kraft zusammen um aufzustehen und weiterzumachen. Und setzte ein Lächeln für den Rest der Welt auf.

      Doch das Ende war nah, ich war nur noch überfordert und übermüdet, am Ende meiner Kräfte. Existenzangst beherrschte mein Leben. Am liebsten wäre ich davongelaufen, ich wünschte mir nichts sehnlicher, als endlich Ruhe zu finden. Ich wollte schlafen, einen klaren Kopf bekommen.

      Meine Finanzmisere, erkannte ich, konnte ich nicht allein in den Griff bekommen, trotz meiner diversen Nebenjobs. So bin ich dann doch über meinen Schatten gesprungen und bat meinen Vater um Unterstützung. Nach einem langen, inneren Kampf mit mir selbst habe ihn angerufen und mit ihm vereinbart, dass wir uns in seiner Werkstatt treffen. Zu meinen Eltern nach Hause wollte ich nicht, ich hätte meine Mutter nicht ertragen, nicht nach unserem letzten Treffen. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich einem neuerlichen Streit mit ihr standgehalten hätte oder ob die dünne Wand, die mein Innerstes vor der Außenwelt verbarg, zerbersten würde.

      In der Werkstatt kam ich mir deplatziert, verloren vor. Wir haben uns angesehen.

      „Hallo“,