Lisa Schoeps

Poet auf zwei Rädern


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erzählen es ihnen gemeinsam, wenn du wieder zu Hause bist“, unterbrach er liebevoll meinen Gedankenfluss.

      Micha war schrecklich nervös an dem Tag als er offiziell um mich bei meinen Eltern anhielt. Ich dachte an ihre Reaktion. Sie hatten wohl geahnt, was kommen wird, denn ich hatte den Ring seit meinem Geburtstag nicht mehr abgelegt. Sie trugen es mit Fassung, waren nicht gerade begeistert gewesen. Konnten aber nichts dagegen tun. Für uns war die Entscheidung unwiderruflich. Vater fing sich am schnellsten und nahm mich in den Arm und wünschte uns Glück.

      Mutter war ungewöhnlich still und wirkte wie eine Puppe, sie wünschte uns auch Glück, aber es war mechanisch, hölzern, es kam nicht von Herzen. Und sie sagte, ich würde hoffentlich wissen, worauf ich mich einlasse.

      Dann kam wieder alles anders, eigentlich wollten wir gleich nachdem ich achtzehn wurde, noch im Herbst desselben Jahres heiraten, aber wir hatten im Frühsommer, kurz bevor ich achtzehn wurde, unser Traumhaus gekauft und waren danach im Sommer zusammengezogen. Als Gegenleistung hatte ich meinem Vater versprochen, dass ich erst meine Ausbildung beende, bevor ich ‚irgendwelche Dummheiten‘ mache, wie er es ausdrückte.

      Wir hatten den ganzen Sommer, Herbst und Winter über renoviert. Der Hochzeitstermin wurde auf das nächste Frühjahr verschoben, weil alles zusammen zu hektisch war. Gemeinsam hatten wir beschlossen, dass wir im Juli des darauf folgenden Jahres heiraten und danach wollten wir zusammen mit dem Motorrad zum Nordkap fahren.

      Ein denkwürdiger Tag. Jetzt war Mutter ungemein erleichtert und zugleich enttäuscht, dass alles abgesagt war. Es wäre ihr großer Auftritt als Brautmutter gewesen. Anfangs wollte sie die Organisation der Feier übernehmen. Allein der Gedanke daran war ein Alptraum, sie hätte ihr Fest organisiert und wir wären ihre Statisten gewesen.

      Sie war sehr enttäuscht, um nicht zu sagen zutiefst verletzt als ich ihr sagte, dass ich ihre Hilfe nicht haben wolle. Sie sprach wochenlang kein Wort mit mir. Diskutierte die Ungeheuerlichkeit jedoch mit jedem anderen, mit dem sich die Gelegenheit dazu bot. Schimpfte über meine Undankbarkeit und meine schlechte Wahl. Sie verletzte mich damit ein weiteres Mal, ohne es zu bemerken. Mutter machte kein Hehl daraus, dass sie davon überzeugt war, das Michael nicht gut genug für mich war. Nachdem sie aber einsehen musste, dass sie es mir nicht ausreden konnte, hatte sie sich mit dem Gedanken arrangiert.

      Wir saßen zusammen im Garten und tranken Kaffee, wir sprachen über die geplatzte Hochzeit, über Michael und die Geschehnisse der letzten Wochen. Gegenüber meinen Eltern schönte ich seinen Zustand so gut ich es konnte.

      Meine Mutter redete und redete, ich hörte nicht richtig zu. Ihr Erzählen kannte keinerlei Systematik und Methode, wechselte mühelos von einer sachbezogenen Erläuterung, zu ihren Phantasiegeschichten, zur Realität die nur in ihrer Welt existierte. Wir hatten uns alle über die Jahre daran gewöhnt und übten Nachsicht.

      Mein Blick und meine Gedanken wanderten umher.

      An einem Ast des großen alten Apfelbaums war immer noch meine Schaukel befestigt. Inzwischen war sie verwaist, keiner benutzte sie mehr. Das Lachen aus Kindheitstagen war erloschen. Hier hatte ich oft mit den Nachbarskindern oder meinen Cousinen gespielt, wenn sie zu Besuch waren. Das Brett hatte Moos angesetzt und das Holz war ganz silbern. Sie bewegte sich ein wenig im Wind. Ich dachte an die glücklichen Stunden, wie ich ganz hoch hinauf geschwungen war, um dann zu fliegen. Von der Schaukel zu springen, wenn sie sich auf dem höchsten Punkt befand, was für ein Spaß. Auf den Knien und Händen zu landen, zu hoffen, dass kein Steinchen sich im Gras verbarg. Den Moment des Schwebens auszukosten. Wegen der Grasflecken ausgeschimpft zu werden, vor allem sonntags.

      Beim Gedanken daran bekam ich Gänsehaut. In die Kirche konnte man nicht mit grünen Knien gehen. Da war es verboten zu schaukeln, ich tat es trotzdem, heimlich.

      Neben dem Sitzplatz war das gehackte Holz an der Wand des Schuppens aufgestapelt. Ordentlich in mehreren Reihen. Ein Stück abseits stand der massive Hackblock, an ihm lehnte die Axt. Auf dem Land standen solche gefährlichen Gegenstände einfach herum, es kümmerte keinen. Kinder lernen sehr früh, mit der Gefahr umzugehen. Das Gras war akkurat geschnitten, in einem Beet Blumen, daneben der Gemüsegarten und zwischen Pfählen gespannt die Wäscheleinen. Alles wirkte aufgeräumt, hatte seinen Platz. Ein Stück entfernt sah ich ein paar Leute mit ihren Pferden in der Sandbahn. Sie übten, verschiedene Gangarten, Hufschlagfiguren. Ich würde auch mal wieder gerne reiten, kam es mir in den Sinn.

      Worte in ihrem Erzählstrom weckten meine Aufmerksamkeit. Aus heiterem Himmel, meinte meine Mutter, es wäre für alle Beteiligten am besten gewesen, wenn er gleich gestorben wäre. Mit schriller Stimme fuhr sie fort, „dann müsste er auch nicht so leiden. In dem Zustand in dem er sich jetzt befindet, ist er doch nur eine Belastung für sich selbst und alle Anderen, und nachdem was du erzählst, wird es wohl auch nicht mehr so werden wie vorher….“

      Es war die Art, wie sie darüber sprach, so distanziert, so gleichgültig, genauso wenig beteiligt wie wenn sie darüber sprach, dass der Kaffee schon wieder teurer geworden sei. Sie war es die ich so verletzend empfand. Jedes ihrer Worte traf mich wie ein Feuerpfeil.

      „Hör auf Mama, du verstehst doch gar nicht worum es geht“, unterbrach ich sie schockiert.

      „Du willst nur die Wahrheit nicht hören…“, entgegnete sie mir. Dann hörte ich ihr nicht mehr zu, auch das hatte ich als Kind gelernt. Ich hätte schreien können, sie plapperte einfach weiter. Traurigkeit übermannte mich, ich dachte daran, wie sehr wir für unsere Beziehung kämpfen mussten. Dachte an Sabine und ihre Zweifel, alles kam wie in einem Flashback zurück. Ich dachte an eine Szene die ich vor ungefähr eineinhalb Jahren zwischen Micha und seiner Mutter belauscht hatte.

      Sie saßen am Küchentisch, sahen beide sehr ernst aus, Sabine hatte Michas Hände in ihre genommen. Ich war neugierig und nutzte die Chance ihr Gespräch zu belauschen, indem ich in der Tür stehen blieb, so dass sie mich nicht sehen konnten.

      „….Mama ich liebe sie, ich will sie heiraten. Ich möchte Kinder mit ihr.“

      „Micha, bitte, komm auf den Boden der Tatsachen, sie ist noch so blutjung, sie ist noch nicht einmal mit der Schule fertig. Natürlich glaubt sie dich zu lieben, aber irgendwann ist es vorbei. Sie ist fast acht Jahre jünger als du. In ihrem Alter bedeutet das noch Welten. Es ist schön, sich von seinen Gefühlen treibenzulassen, aber bitte schalte deinen Verstand ein. Du bist der Erwachsene von euch beiden, du trägst die Verantwortung. Du bist der erste wirkliche Mann in ihrem Leben, sie bewundert dich jetzt.

      Sie ist hochintelligent und eine der besten Schülerinnen. Sie hat eine großartige Zukunft vor sich, die kannst du ihr nicht verbauen. In fünf Jahren sieht die Sache anders aus. Kinder in die Welt zu setzten bedarf eines großen Verantwortungsgefühl. Denke daran was Tom passiert ist. Kinder sollten keine Kinder bekommen, ich weiß wovon ich spreche. Als du auf die Welt kamst war ich siebzehn, so alt wie sie jetzt.

      Ich will nicht, dass ihr eines Tages aufwacht und feststellt das ihr einen großen Fehler gemacht habt. Dass ihr euch gegenseitig hasst. Ich habe in meinem Leben genügend Hass erlebt und ich möchte nicht, dass du leidest.“

      Sie redete auf ihn ein wie auf ein krankes Pferd.

      „Mama wie du schon festgestellt hast, sie liebt mich und ich sie auch, sie ist der erste Mensch, bei dem ich mich wirklich zu Hause fühle. Es stimmt einfach alles. Die Geschichte muss sich nicht zwangsläufig wiederholen. Wir haben ein halbes Jahr gewartet bis wir miteinander geschlafen haben...“

      Ich machte mir Gedanken, ob Sabine mich wirklich gehasst hatte oder ob sie einfach ein Stück mehr besorgt war als alle Anderen. Sie ist eine tolle Frau, heute kann ich nachvollziehen, was sie damals sagen wollte.

      Meine Mutter redete immer noch, redete wie ein Wasserfall. Selten war das, was sie erzählte, von Klarsicht kontrolliert. Es war nichts Neues. Ich hatte einen dicken Klos im Hals. Mein Vater saß ruhig dabei, geistesabwesend, er dachte sich seinen Teil, sagte aber nichts, hatte er ihr auch nicht zugehört?

      Hat er sich über die Jahre dieselbe Taktik zugelegt um ihrem nicht enden wollenden Redefluss zu entkommen?

      Ich