Lisa Schoeps

Poet auf zwei Rädern


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Dinge, die wir beide vorher noch niemanden anvertraut hatten. Micha sprach von seinen Träumen, sich die Welt mit mir gemeinsam anzusehen, der Sehnsucht nach einem Nest, einer eigenen Familie. Der Bürde, dass er sich immer für alle verantwortlich fühlte.

      Ich sprach über meine Träume und Ängste. Der Angst verlassen zu werden, nicht gut genug zu sein, nicht Wert zu sein. Es fiel mir unendlich schwer, diesen Teil meiner Persönlichkeit zu offenbaren. Mein so gut gehütetes Schutzschild etwas zu senken. Ihm vertraute ich, ihm konnte ich mich öffnen.

      Ansonsten war ich immer wenn es um mich ging ein exzellenter Schauspieler, vor allem wenn ich tief verletzt oder verzweifelt war oder Angst hatte, dass dies passiert. Es war für andere Menschen sehr schwer wahrzunehmen, wie es wirklich in mir aussah. Ich wusste auch nicht warum, gerade wenn es um mich selbst ging, konnte ich keinerlei Schwäche zeigen. Durch unsere Gespräche und seine Offenheit verblassten alte Bilder, sie verschwanden irgendwo in der dunklen Vergangenheit. Ihm konnte ich es erzählen. Nach vielen Irrtümern hatten wir einen Hafen gefunden, nichts von dem Alten und den Steinen, die man uns in den Weg legte, sollte uns aufhalten. Ein neues Lebensgefühl wuchs von Tag zu Tag. Und schließlich würde die Zeit für uns siegen.

      Meine gesamte Verwandtschaft zeichnete sich dadurch aus, dass jeder bei allem mitreden wollte. Mama hatte ihre Version der Geschichte erzählt und jeder fühlte sich berufen, seine Meinung kundzutun und mich auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen. Es zerrte an meinen Nerven. Geheimnisse und Privatleben gab es nicht.

      Moral hatte in dieser Umgebung eine eigene Bedeutung, hier in der Abgeschiedenheit der kleinen Gemeinschaft hatten Regeln überlebt, die woanders schon lange als überholt galten. Meine Tante wurde als ganz junges Mädchen verheiratet, das war Tradition. Vorher zusammenleben, miteinander schlafen, das gab es nicht, das war absolut unmöglich.

      Bei Mutter war der Krieg dazwischen gekommen. Meine Cousinen Maren und Angela verschlangen jede Nuance meiner Geschichte, sie träumten und fühlten mit mir. Sie fanden das Ganze sehr romantisch, hingen an meinen Lippen. Die beiden waren ungefähr so alt wie ich. Wir waren wie Geschwister aufgewachsen und hatten ein sehr inniges, vertrauensvolles Verhältnis.

      Sie waren bereits versprochen, kannten die Männer, die sie einmal heiraten sollten, aber mehr als ein flüchtiger Kuss war nicht möglich. Alles andere wäre unschicklich. Man traf sich beim Tanz oder in der Kirche, aber immer unter Aufsicht. Die vorherrschenden Moralvorstellungen waren streng und es gab ganz klare Regel wie man sich zu benehmen hatte. Mit meiner Beziehung zu Michael fiel ich aus dem Raster, hatte gegen die Regeln verstoßen.

      Mitte August zu meinem siebzehnten Geburtstag hatte meine Familie eine kleine Feier arrangiert. Sie hatten sich viel Mühe gegeben. Die Mädchen hatten Kuchen gebacken und Fackeln in der Wiese aufgestellt. Abends saßen wir lange im Garten, haben gegrillt und mein Onkel hatte sogar eine Flasche Sekt besorgt. Wir lachten und redeten, und erlebten einen spektakulären Sonnenuntergang über den Gipfeln der Alpen. Wie im Märchen, unsagbar schön und trotzdem blutete mein Herz heimlich. Ich war traurig, dass Micha nicht da war. Jeder Tag ohne ihn kam mir sinnlos vor. Meine Empfindungen vertraute ich wie immer dem Tagebuch an. Alle waren fröhlich, Feste waren ein willkommene Abwechslung.

      Ich entfernte mich ein Stück, setzte mich auf einen Stein und betrachtete den Himmel. Wenn man genau hinsah konnte man schon die ersten Sterne erkennen. Warum kann er jetzt nicht da sein? Ich fühlte den Schmerz der Trennung mit jeder Faser meines Herzen. Mit den verblassenden Sonnenstrahlen zeigten sich immer mehr Sterne am klaren Nachthimmel. Ruhe breitete sich aus, Frieden, der Geruch von feuchter Erde, Wald und Gras. Hin und wieder konnte man ein Käuzchen rufen hören oder das Muhen einer Kuh. Meine Tante kam zu mir und setzte sich neben mich.

      „Du bist traurig, er fehlt dir“, sagte sie mitfühlend, sie legte den Arm um mich. Sie hatte mich die letzten Wochen leiden sehen, mitbekommen, wie ich mich in mich selbst zurückzog und traurig war.

      „Ja, heute besonders.“

      „Schau da oben ist eine Sternschnuppe, du kannst dir etwas wünschen.“

      Ich versuchte zu lächeln.

      „Lass den Kopf nicht hängen, manchmal gehen Herzenswünsche in Erfüllung.“

      Sie drückte mich, irgendwie verstand sie mich. Wir waren allein. Ich war nicht müde, die anderen hatten sich nach und nach verabschiedet oder waren ins Haus gegangen.

      „Schau mal, wer dort an der Brücke auf dich wartet“, sagte sie aufmunternd.

      Im fahlen Lichtschein der Sterne konnte ich kaum etwas erkennen. Ich strengte meine Augen an, denn die Dunkelheit schluckte alle Konturen. Langsam erhob ich mich und lief in die Richtung. Dann rannte ich und dann lag ich in seinen Armen.

      „Hallo Kleines“, hörte ich ihn flüstern, „Happy Birthday!“

      Ich war ganz aufgeregt und überrascht. Er hielt mich fest und küsste mich. Ein Wunschtraum war in Erfüllung gegangen. Er war da. Mein Herz hüpfte wie verrückt, ich hatte ihn so schrecklich vermisst. Er war den ganzen Abend gefahren um mit mir ein paar heimliche Augenblicke zu verbringen. Meine Tante und er hatten ihr Geheimnis gut gehütet, die Überraschung war ihnen Vollendens gelungen.

      „Ich habe dich so sehr vermisst.“ Seufzte ich.

      „Ich dich auch.“

      Ich hielt mich an ihm fest wie eine Ertrinkende, atmete seinen Duft ein, fühlte mich in seinen starken Armen geborgen, kniff mich in den Arm um mich selbst davon zu überzeugen, dass es nicht nur ein schöner Traum war. Ich legte den Kopf an seine Brust. Es war ein wunderschöner lauer, warmer Sommerabend, und der Himmel hing nun voller Geigen. Die Zeit sollte still stehen.

      Ein Hüsteln riss uns aus der Tiefe unserer Gefühle, Brigitte stand ein Stück entfernt, „Wenn deine Mutter uns sehen könnte würde sie mit keinem von uns jemals wieder ein Wort sprechen. Aber sie muss es ja nicht wissen. Macht aber keine Dummheiten.“

      Ich war etwas verlegen, fühlte mich ertappt. Sie lächelte, sie war zu unserer Mitwisserin geworden.

      Micha versicherte ihr, sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Sie hatte ihn angerufen und ihn gebeten, zu kommen, sie konnte es nicht mehr mit ansehen, wie ich vor Liebeskummer verging.

      Brigitte hatte sich eine Zigarette angezündet und die Glut leuchtete kurz auf, als sie daran zog. Genauso lautlos wie Brigitte erschienen war, war sie auch wieder verschwunden.

      Wir setzten uns auf das Geländer der Brücke. Micha war still, kramte in seiner Tasche und zog ein kleines Päckchen hervor, ein Geschenk!

      „Los pack es aus!“

      Behutsam versuchte ich die Schleife in der Dunkelheit zu entknoten, es war schwierig. Es dauerte, meine Hände zitterten. Zum Vorschein kam ein kleines rotes Samtkästchen. In ihm war ein schmaler Goldring mit einem winzigen Diamanten, er funkelte im Sternenlicht. Michael nahm den Ring und stecke ihn mir an den Finger und fragte, „Willst du mich heiraten?“

      Mir rollten die Tränen übers Gesicht. Ich liebte ihn und ich hatte noch nie in meinem Leben vorher soviel gespürt wie mit ihm.

      „Ja, am liebsten morgen!“

      Ich konnte es immer noch nicht fassen. Träumte ich?

      „Wenn du achtzehn bist.“

      Das war noch ein Jahr, ein Jahr warten. Eine Ewigkeit. Er lächelte mich an und hatte sein Gesicht im nächsten Moment in meinen Haaren vergraben. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf, ob er es bereits Sabine erzählt und wie sie darauf reagiert hatte. Michas Mutter gehörte nicht gerade zu meinem Fanclub. Sie hielt unsere Beziehung zu dieser Zeit für einen großen Fehler. Er erschien meine Gedanken zu erraten.

      „Ich habe es ihr bereits erzählt, sie versteht es. Und ich glaube, sie akzeptiert es.“

      „Ich hoffe es. Ich weiß wie wichtig es dir ist.“

      Wir sprachen auch über meine Eltern und wie sie darauf reagieren würden. Ich konnte mir den Ärger in den buntesten Farben ausmalen.

      Vater