Lisa Kuppler

O Du Fröhliche


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eigener Schwanz fegte über den Boden. Sie stemmte die Hände in die Hüften und hob das Kinn.

      »Ich heiße Jonna!«

      »Es sind die Raunächte. Und da tanzen Trolle Tango!« Mit dem rechten Fuß donnerte ihre Mutter auf den Waldboden, dass die Baumkronen ringsum erzitterten und ihre weiße Pracht sich auf sie beide ergoss.

      Jonna schüttelte sich und riss den linken Fuß nach vorn, kniff ihre Augen zusammen.

      »Ha!« Ihre Mutter wich einen Schritt zur Seite.

      Doch sie folgte ihr, Spiegelbild der Bewegung – so leicht entkam sie ihr nicht! Dicht stand sie nun vor ihrer Mutter, starrte ihr ins Auge, und ihre Mutter starrte zurück.

      »Warum können wir nicht einfach Weihnachten feiern wie alle anderen auch?«

      »Weihnachten!« Mit einem großen Schritt stürmte ihre Mutter auf sie zu, und sie wich zurück.

      »Weihnachten!«

      Noch ein Schritt rückwärts, dem Vorwärtsdrall ihrer Mutter geschuldet.

      »Nur Menschen feiern Weihnachten.«

      Wütend funkelte ihre Mutter sie an, als wäre schon die Frage ein Verrat an der Trollheit im Allgemeinen und ihrer Familie im Besonderen.

      Leise sandte sie einen Seufzer in den winterlichen Wald und versuchte es mit einer neuen Taktik. Sie kreuzte die Beine und schlug die Wimpern nieder.

      »Aber – aber die Kerzen – die haben ein so schönes Licht – und die Kekse, die sehen so lecker aus …«

      »Ah – und die Geschenke, nicht wahr?«

      Ein weiterer entschiedener Schritt ihrer Mutter nach vorn trieb sie weiter zurück.

      Klar, die Geschenke waren auch nicht zu verachten.

      »Ach, die sind nicht so wichtig.«

      Dieses Mal spürte sie die Bewegung ihrer Mutter, noch bevor sie den Seitwärtsschritt sah, und blickte sie triumphierend an, während sie dem Schritt folgte. So leicht ließ sie sich nicht abschütteln!

      Da legte ihre Mutter den Kopf zurück und lachte, dass die Äste der Birken erzitterten.

      »Nun hast du doch mit mir getanzt!«

      Und schon schlang ihre Mutter den rechten Arm um sie und streckte die linke Hand nach ihrer Hand aus. Immer noch lachte sie und klang dabei so – heiter, so zuversichtlich, so abstoßend fröhlich.

      Sie warf einen Blick auf die Spuren, die sie im Schnee hinterlassen hatten. Tangoschritte. Da gab es kein Leugnen. Sie seufzte. Und da entschlüpften ihr die Worte, die sie für sich hatte behalten wollen.

      »Aber ich kann doch gar nicht tanzen.«

      Das Lachen verstummte.

      »Und wie nennst du dann das, was wir gerade getan haben?«

      »Das?« Sie schaute von ihrer Mutter weg auf den verräterischen Schnee.

      »Trollgetrampel.«

      »Du nennst deine Mutter einen Trampel?«

      »Nein!« Sie nagte an ihrer Unterlippe. Immer schaffte die es, dass alles sich um sie drehte!

      »Du nennst dich einen Trampel?«

      Sie schwieg.

      Eine Hand schloss sich um ihr Kinn, zwang sie, den Kopf zu drehen, bis sie direkt in das Auge ihrer Mutter sah. Wut glomm darin.

      Sie schloss die Augen. Wenn dieser verdammte Waldboden sich doch nur einmal unter ihren Füßen auftun könnte! Einmal. War das zu viel verlangt? Einmal verschwinden können. Einfach so.

      »Tröllchen. Sieh mich an.«

      Wieso klang die Stimme ihrer Mutter so sanft? Das war bestimmt ein übler Trick. Sie kniff die Augenlider fester aufeinander.

      Finger strichen über ihre Wange. »Jonna.«

      Sollte sie es riskieren? Sie blinzelte – auf, zu. Hm. Sie riskierte es erneut. Auf, zu, auf, zu – auf.

      »Jonna. Du bist kein Trampel.«

      Sicher. Sie starrte hinab auf ihre riesigen Füße. Was bitte sollte man damit anderes sein?

      »Jonna, Kind.« Ihre Mutter schüttelte den Kopf, umfasste sie fester und wirbelte sie herum, schritt und sprang mit ihr über die Lichtung, deren Schnee im Sternenlicht funkelte, und das Funkeln spiegelte sich im Auge ihrer Mutter. Es war ein ganzer Funkenregen, der dort tanzte, wild und unbekümmert und so herrlich, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als zu tanzen und zu lachen und atemlos zu werden und weiter zu tanzen.

      Das Lachen hallte weit durch den Wald und lockte alle anderen Trolle herbei. Bald war die Lichtung voller tanzender Trolle, die lachten und den Schnee aufstieben ließen, so dass er mit ihnen tanzte, sie in glitzernden Funken umhüllte und ihnen die Augen mit Sternenlicht füllte.

      Erst kurz vor Morgengrauen fand der Tanz ein Ende, und die Trolle verstreuten sich im Wald. Doch ihr Lachen hallte noch immer von einem Winkel des Waldes zum anderen, und am lautesten hallte es auf der Lichtung nach, auf die leise neuer Schnee fiel, der darauf wartete, dass der Tanz der Trolle ihn aufwirbele und zum Funkeln bringe. Und die Trolle sehnten den Anbruch der Dunkelheit herbei und schickten ihr Gelächter voraus durch den Wald, und die mit der größten Ungeduld und dem lautesten Lachen war Jonna.

      Das Weihnachtsessen

      Thea Eickmeyer

      ~ 24.12.1895 ~

      »Noch ein bisschen Auflauf, Karl?«

      Karl nickt und lächelt. »Danke, Frau Siebold.«

      Sie füllt ihm auf und er isst tapfer; nur Hilde weiß, dass er keinen Fisch mag. Wahrscheinlich würde er heute auch Pferdedung essen, wenn es verlangt würde, um ihre Eltern gnädig zu stimmen.

      Später am Abend ziehen sich die Männer ins Arbeitszimmer ihres Vaters zurück. Sie kann sich kaum konzentrieren und zerschlägt beim Abräumen des Geschirrs versehentlich einen Teller.

      Was, wenn ihr Vater nein sagt?

      Dann steht Karl in der Tür; er strahlt übers ganze Gesicht. Es ist, so fühlt es sich an, der schönste Abend ihres Lebens.

      ~ 24.12.1896 ~

      Der erste Heiligabend im eigenen Haus, als Mann und Frau.

      Sie hat den ganzen Nachmittag in der Küche verbracht. Als er zum Esstisch kommt, riecht er Fisch. Auflauf, wie bei ihren Eltern.

      »Hilde, du weißt doch …«

      »Ich weiß.«

      In weiteren Schüsseln sind Braten und Kartoffeln, er bemerkt es erst jetzt.

      »Es macht dir doch nichts aus? Heiligabend esse ich Fischauflauf, immer schon. Weihnachten ohne Fischauflauf wäre wie Weihnachten ohne Christbaum.«

      Nach einem kurzen Moment des Zögerns schiebt er den Braten beiseite und nimmt von dem Auflauf.

      »Du magst doch keinen Fisch.«

      Er lächelt. »Jetzt schon und nur zu Weihnachten.«

      ~ 24.12.1897 ~

      »Lass das Abräumen, das kann ich doch tun!«

      Es ist rührend, wie Karl sich um sie bemüht, seit er weiß, dass sie ein Kind erwartet.

      »Ich bin nicht krank«, wehrt sie lachend ab, doch er will nichts davon hören.

      Zu guter Letzt einigen sie sich, zusammen abzuräumen und gehen anschließend ins Wohnzimmer. Als sie sitzen, legt er zärtlich eine Hand auf ihren Bauch, küsst ihre Wange. Ihr wird warm, nicht nur vom Feuer im Kamin.

      »Ich liebe dich, meine Hilde.«

      Der Christbaum leuchtet dieses Jahr besonders hell. Alles