Klaus M. G. Giehl

Die Methode Cortés


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schüttelte sie, sich fangend, den Kopf, „Mir ist es gerade eiskalt den Rücken herunter heruntergelaufen, als stünde ein Gespenst hinter mir und würde mir darüber blasen.“

      „Liebe Frau, das steht nicht hinter, sondern vor ihnen!“, lachte ich, auch, um ein wenig das Verfängliche aus der Situation zu nehmen, denn offensichtlich war, dass ich die Dame überwältigt haben musste. (Wie bereits angedeutet ist meine Wirkung auf viele Frauen vehement, um dies gelinde zu formulieren. Aber egal. Die Frau jedenfalls antwortete auf meinen „kleinen Scherz“:)

      „Sie sind lustig! Nein, wirklich. Ich dachte eben, mir fährt ein Gespenst mit seiner kalten Hand über den Rücken.“

      Mir gefielen die metaphorischen Gaben dieser Dame und ich war versucht, ihr vorzuschlagen, mit meinem warmen Händchen liebend gern ein sensorisches „Gegenfeuer“ zu legen, wo auch immer sie dies wünsche (die Frau sah in der Tat gut aus; hellbraune Haare, bezaubernde Brüste und überaus stramme Schenkel). Ich beließ es aber bei meinem initialen Scherz und fragte sie schlicht, ob sie sich wieder beruhigt habe oder ob ich sie gleich reanimieren müsse. Säuerlich das Gesicht verziehend bejahte sie den ersten und verneinte den zweiten Teil meiner Frage – und präsentierte mir die Rechnung, nachdem ich meine „Players“ letztlich geordert hatte. Mit Vergnügen zahlte ich, sah der Dame noch ein letztes Mal auf diesen prachtvollen Schritt (begnadet, einfach begnadet!), und verabschiedete mich schweren Herzens.

      Im Wagen zündete ich mir eine Zigarette an und fuhr los. Wie immer hatte ich das Fenster offen und die Klimaanlage auf höchste Stufe gestellt. Ich mochte es, von vorne kühl beblasen zu werden. Doch als ich so genüsslich an meiner Zigarette zog und langsam und kühl behaucht in meinem „Crown Victoria“ über die Straßen schwebte, lief es mir auf einmal kalt den Rücken herunter. Ich hatte an Cortés denken müssen, und an meine Kündigungen. An die Kündigung heute. Und an die Kündigung damals, 2005, als ich in Austin verlassen hatte.

       Wie es aussah, hatte ich das Schiff meines Berufes wirklich gründlich verbrannt, damals, 2005. Nichts mehr zu retten war dann gewesen! Hatte ich jetzt, mit meiner Kündigung bei Ming Li, schon wieder ein Schiff verbrannt? Das Schiff, das mir die letzte Möglichkeit hätte geben können, in meinen Beruf zurückzukehren?

      Ich warf meine Zigarette aus dem Fenster und zündete mir eine neue an.

       Nein. Das war nicht vergleichbar. Damals hatte ich meinen Beruf als unabhängiger Forscher geschmissen. Jetzt hatte ich nur folgerichtig gehandelt, nachdem ich verstanden hatte, dass im zweiten Glied zu forschen nichts für mich sei, und in eine unabhängige Position zurückzukehren mir unmöglich bleiben würde. Mein jetziger Entschluss war also lediglich die notwendige Konsequenz aus einer Reihe von Ereignissen –, die mir die Anwendung der Methode Cortés „beschert“ hatte.

      Ich inhalierte den Rauch meiner Zigarette tief.

      Hatte mir die Methode Cortés wenigstens etwas Positives gebracht? Einen Benefit? Ja, wie ich vor kurzem festgestellt hatte: Sie hatte mich meiner eigentlichen Essenz näher gebracht: der Freiheit. Das Kalte war verschwunden, doch meine Zigarette schmeckte schal. Ich warf auch sie aus dem Fenster und dachte: Und die solltest du jetzt genießen: Deine Freiheit!

      Endlich zuhause bereitete ich mir ein köstliches Abendessen: Lachsbaguette mit Kaviar, Paté–Schnitten mit Olivencreme und Kapern, als Beilage einen herrlich überreifen Cœur de Lion und einen exquisiten spanischen Cava. Zur optischen Untermalung meines Dîners sah ich mir auf „Google Earth“ einige meiner Reiseziele an. Klar war, dass mein weiteres Leben eine Reise werden würde.

      8 Auf der Alm

      Im Sommer 2069, irgendwo

      Viele Kinder tanzten froh im Kreis. Ringelreigen. Andere klatschten in die Hände. Beglückt. Im Takt. Und die Ente Jakob watschelte in der Mitte und freute sich. So sehr! So sehr! Von einem Beinchen auf das andere hüpfte sie und flatterte mit den Flügeln.

      Bonifatius und Helene standen am Rande und passten auf, dass den Kindern, allen, und der Ente Jakob nichts geschehe. Mit einem Male runzelte Bonifatius die Stirn und er fragte Helene sowohl, ob der Zug pünktlich angekommen sei, als auch, ob man den Spulwurmwelpen nochmals gesehen habe. (Bonifatius war allen Spulwurmwelpen zugetan!)

      Helene nickte versonnen. Ja, auch sie frage sich, was aus dem Spulwurmwelpen geworden sei. Die Ente Jakob kam herbeigewatschelt aus dem Kreise und erkundigte sich bei beiden, Bonifatius und Helene, was denn sie sich gefragt hätten. Bonifatius zuckte die Schultern und Helene erklärte:

      „Wir fragten uns, was aus dem Spulwurmwelpen geworden sei.“

      „Ach, der Spulwurmwelpe!“, riss das Entlein die Augen auf, und ergänzte: „Ja, das hab ich mich auch schon gefragt, was wohl aus dem Spulwurmwelpen geworden sei.“ Da hatte Jakob eine Idee. Begeistert rief er den Kindern zu: „Ihr Kin–der–lein kommet, oh kommet doch all! Zum Spulwu–u–rm–wel–pen in Hed–wi–ges Stall!“

      Jakob hatte Hedwigs Stall gemeint, ihren Namen indessen bewusst verändert, um seinem Ruf den „heiligen Reim“ zu verleihen! Die Kinder waren nun auch begeistert, und Helene auch, und Bonifatius erst! Man konnte es gar nicht glauben: Alle wollten sie auf einmal zu Hedwigs Stall. Auf die Alm. Begeistert. Und so fassten sie sich an den Händen und tanzten lustig und beschwingt Hedwig(e)s Stall entgegen. Auf ging’s, auf die Alm! Hurra, wir gehen jetzt auf die Alm!

      Endlich alle dort, strahlten sie (alle) vor Glück: Da lag sie, die Spulwurmböckin, und schleckte ihr Junges. Dem Spulwurmwelpen ging es gut! Bonifatius klatschte in die Hände, Helene schaute verzückt, und Jakob watschelte beseelt im Kreis. Der freche Fritz nun schlich sich heran auf leisen Sohlen und hob das Kleine vorsichtig an seinem Füßchen oder Schwänzchen (so genau sagen hätte man das nicht können) in die Höh. Derweil schloss sich die Spulwurmböckin ihrer vorbeiziehenden Herde an. Und der Spulwurmwelpe schrie. Minutenlang schrie der Spulwurmwelpe nach seiner Herde, doch niemand kehrte zu ihm zurück.

      Helene schnaufte schwer und sagte, sich an Bonifatius wendend:

      „Du ähnelst meinem Spulwurm.“

      Bonifatius nickte versonnen. Ja, Bonifatius war allen Spulwurmwelpen zugetan.

      Und die Ente Jakob schaute traurig in eine Röhre, die sich aus dem Boden heraus geschoben hatte, und in die Fritz den Spulwurmwelpen unterdessen hatte hineinplumpsen lassen.

      9 Vorbereitungen für den Wechsel

      St. Louis, Mai 2007

      Am Morgen nach dem Gespräch mit Ming Li begann ich mit den Vorbereitungen für mein neues Leben. Um den finanziellen Motor meiner Unternehmungen auf Touren zu bringen, brauchte ich Approbationen für meine Reiseziele. Vereinfachend war, dass die Gegenden, die ich anvisierte, europäisches Staatsgebiet oder europäische Überseeterritorien waren und ich als EU–Bürger dort einen Arztjob ausüben konnte. Als rechercheintensiv stellte sich heraus, die tatsächlich für die Homologierung von Approbationen zuständigen Ämter und geltenden Bestimmungen zu ermitteln. Letztlich bekam ich alles zusammen. Erforderlich für den Antrag waren lediglich drei bis vier Dokumente:

      (i) Eine notariell beglaubigte Kopie des Personalausweises,

      (ii) eine beglaubigte Kopie der Approbationsurkunde,

      (iii) eine beglaubigte Kopie der Ärztlichen Prüfung, und

      (iv) im Bedarfsfall eine beglaubigte Kopie der Facharzturkunde plus zertifizierte Übersetzungen sämtlicher Dokumente in der jeweiligen Landessprache.

      Ich erfuhr auch, dass die Homologierungen je nach Land zwischen einem halben und einem Jahr benötigten, was bedeutete, dass ich sie erst lange nach meiner Abreise aus St. Louis erhalten würde (die Unterlagen zur Antragsstellung hatte ich erst in der zweiten Junihälfte verschicken können). Dieses Timing missfiel mir, denn monatelang ohne Einkünfte auf die Homologierungen zu warten, hätte meine Reserven in der Schweiz