Z. Bär

Ina


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erkennen? „Glauben sie mir Sir. Das tut er nicht.“ Sebiha schüttelte seinen Kopf: „Woher haben sie nur diesen Pessimismus? Was hat er gesagt? – Vielleicht müssen sie nur etwas mehr Geduld haben und es noch einmal versuchen.“ Es noch einmal versuchen! Natürlich! Der nächste Versuch würde sie vielleicht in ein Krankenhaus befördern. Sie lehnte sich vor, hätte ihn anspucken können aber sie tat es nicht: „Seine Antwort, Sir, passt farblich zu meinen Augen.“ Man hörte, wie sehr sie sich zusammenreissen musste um diese Worte in angemessener Lautstärke hinauszubringen. Kadir änderte seine Sitzposition, Madam Sebiha starrte schockiert in ihr Gesicht und Sebiha hielt seine Hand bei seinem Mund und verzog keinen einzigen Muskel in seinem Gesicht. „Ihr Talent ist noch nicht ausgereift. – Sie werden noch einige Fehlschläge hinnehmen müssen“, seine Ruhe machte Ina rasend. Sie umklammerte ihr Glas. Fühlte wie ihr das Blut in den Kopf schoss, ihr ganzer Körper verkrampfte sich, ihr Herz raste. Dann überkam es sie. Mit einem Ruck sprang sie auf, drehte sich und schleuderte ihr Glas gegen die Mauer. Madam Sebiha zuckte zusammen, ebenso ihre Tochter, die aus lauter Schreck einen Schritt zurück machte und sich hinter ihrem Vater in Schutz begab. Ina wandte sich kochend vor Wut sofort wieder Sebiha zu: „Noch nicht ganz ausgereift?!“ Sie ging die Treppe hinauf in das Wohnzimmer, durchquerte den Raum und den nächsten, dann kam sie zu dem Ausgang und ging hinaus, durch das Tor auf die Strasse. Ging in irgendeine Richtung. Ohne die kleinste Ahnung welcher Weg sie zur nächsten U-Bahn führte, ging sie der Strasse entlang, passierte bewachte Tore, Häuser, Bäume, Kreuzungen, noch mehr Häuser und wieder eine Kreuzung. Ging lange dem Verlauf der Strasse entlang. Aber offenbar hatte sie sich für die falsche Richtung entschieden. Eine Bank auf die sie sich setzen konnte. Später würde sie jemanden nach dem Weg fragen. Sebiha’s selbstgefällige Art ärgerte sie. Er hätte sie fragen können ob sie Interesse hat. Er hätte ihr das Angebot machen müssen. Aber er besprach es mit Nilia. Wieder einmal wurde ihr deutlich, dass alle anderen für sie Entscheidungen trafen, dass sie sich allem und jedem zu fügen hatte. Man handelte mit ihr, wie mit einer Ware. Was sie wollte war egal, es interessierte niemanden! Sie versuchte sich zu beruhigen. Es hatte keinen Sinn sich über diese Tatsache zu ärgern. Sie konnte ohnehin nichts daran ändern. Sie hatte sich zu fügen. Sie spielte mit ihren Fingern, bog ihre Fingernägel hinunter und liess sie wieder los, sodass ein klackendes Geräusch entstand während sie nach Atem rang und sich zu beruhigen versuchte.

      Schritte näherten sich. Ina musste ihren Kopf nicht heben, um zu erkennen, dass es Kadir war. Er setzte sich neben sie: „Falsche Richtung?“ Er holte sie aus ihren Gedanken zurück in die Realität. Ina biss sich auf die Oberlippe: „Nicht ganz Sir. – Ich bin nicht mehr in Sebiha’s Nähe“, sie beherrschte sich, versuchte ihre Stimme in angemessenem Ton zu halten und liess ihren Blick auf dem Baum auf der anderen Strassenseite ruhen: „Sind sie gekommen um ihn zu verteidigen?“ Ein entschiedenes: „Nein“, kam von Kadir zurück. Er betrachtete sie von der Seite und fuhr nach einer Weile fort: „Willst du darüber reden?“

       „Nein“, ihre Antwort war ebenso entschieden, dass es keinen Diskussionsspielraum gab. Er blieb neben ihr sitzen und wartete. Minuten vergingen. Wieso war er ihr gefolgt? Nach einigen Minuten holte er Luft, um etwas zu sagen. „Nicht! Lassen sie es!“ Also atmete er wieder langsam aus, ohne etwas zu sagen. Das erste Mal hatte sie das Gefühl, dass er sich beherrschen musste, um nichts zu sagen. Er respektierte ihren Wunsch nicht zu sprechen. Als sie sich eine Träne wegwischte, betrachtete er sie von der Seite, presste den Kiefer zusammen und blickte dann weg. Wer sonst, ausser ihren wenigen Freunden, respektierte jemals ihre Wünsche? „Das stand ihm nicht zu! – Nilia ein Angebot für mich zu machen als wäre ich eine Katoffel!“ Und wieso fauchte sie jetzt ihn an? „Und ihnen stand es nicht zu, mich in sein Haus zu bringen!“

       „Miss Ina. Erlauben sie mir ein Gespräch?“ Ina sah auf, es war Dea Sebiha. „Natürlich Madam. Er ist ihr Bruder“, wozu bat Dea überhaupt darum? Dea lächelte: „Ich möchte mit ihnen sprechen Miss Ina.“ Ina war verwirrt, weshalb wollte sie mit ihr sprechen? Sie blickte ihr fragend entgegen. Dea warf ihrem Bruder einen langen Blick zu, der ihm zu verstehen gab, dass er gehen musste. Er stand auf und ging die Strasse zurück. Ina sah ihm nach, liess ihren Blick etwas weiter schweifen und erkannte Botschafter Sebiha am Ende der Strasse einsam auf einer Bank sitzen. Dea Sebiha setzte sich neben sie und wandte sich ihr zu: „Mein Mann hat mich gebeten mit ihnen zu sprechen.“

       „Hat er nicht den Mut es selber zu tun?“ Dea schlug ihre Augen auf: „Würden sie ihm denn zuhören? – Aus Erfahrung weiss er, dass ein Bote manchmal besser ist, um ein Missverständnis zu beseitigen. – Darf ich sprechen Ina?“ Ihre Stimme hatte etwas Anmutiges, etwas Vertrauenerweckendes und Einfühlsames. Sie war sympathisch. „Dazu benötigen sie nicht meine Erlaubnis, Madam.“

       „Aber ihre Aufmerksamkeit Ina.“ Sie sahen einander an. Wie Recht Dea doch hatte. Alle Worte waren sinnlos, wenn sie keinen Zuhörer fanden. „Bitte Madam Sebiha. Sie haben meine ungeteilte Aufmerksamkeit.”

       „Mein Gatte hat mir alles erklärt. – Es war nicht seine Absicht, ihnen etwas aufzuzwingen und er bedauert zutiefst, dass sie seinetwegen Gewalt von General Nilia....“ Ina hob ihre Hand und fiel ihr ins Wort: „Darüber werden wir nicht sprechen! Das geht weder sie, noch ihren Mann, noch Kapitän Kadir etwas an.“ Es schien, als hätte Ina sie aus dem Konzept gebracht. Dea richtete ihren Blick auf den Boden und dachte nach. „Aber, worum geht es dann Miss Ina?“ Ina hatte sich mittlerweile wieder unter Kontrolle, sie sprach in angemessenem Ton: „Es geht um mich Madam. Um meine Interessen.“ Dea liess diese Worte einen Augenblick auf sich wirken: „Ich denke, mein Mann ging davon aus, dass sie kein Interesse am Militär haben. Ich glaube, er wollte ihnen eine Alternative bieten.“ Ina schluckte leer, ehe sie antwortete: „Er kennt mich nicht und noch weniger kennt er meine Interessen, Madam. Er hat mir auch keine Alternative geboten. Er hat eine Tatsache geändert, mit der ich mich bereits abgefunden hatte.“ Eine, für die sie die letzten drei Jahre auf die Rekrutenschule gegangen war. Eine, für die sie die letzten drei Jahre benötigt hatte, um sich damit abzufinden. Dea's zartes Gesicht wirkte aufgeschlossen und verständnisvoll: „Er hätte es mit ihnen besprechen sollen. – Geht es darum Ina?“ Darum und um viel mehr. Konnte Dea es verstehen? Würde Sebiha es verstehen können? „Ihr Gatte, Madam, hat etwas getan, das bisher General Nilia vorbehalten war. – Er gab mir zu verstehen, dass nichts meine Entscheidung ist und er keinen Wert auf meine Wünsche legt!“, Ina rieb ihre Finger aneinander. Weshalb war sie so nervös? Die Frau neben ihr dachte lange nach: „Mein Mann ging mit Sicherheit davon aus, dass Nilia es mit ihnen besprechen würde.“

       „Weshalb tat er es nicht selbst?“ Auf diese Frage hatte Déa Sebiha keine Antwort. „Ich habe keine Lust die vorübergehende Lösung für seine Langeweile zu sein!“ Nun erhielt sie einen verständnislosen Blick. „Aus einer Laune heraus kam er darauf, dass er sich eine neue Gehilfin nehmen könnte. Bei Quendresa! Wie kam er auf die Idee, dass ich das seien könnte?! Dass ich das geringste Interesse daran haben könnte?! Was habe ich getan, dass er mir das zumutet?!“ Sebiha’s Gemahlin schwieg lange. „Mein Mann glaubt, dass sie Talent haben, das beim Militär verschwendet wäre.“

       „Wieso?! Weil ich den Fehler machte und bei der Abschlussfeier mit ihm gesprochen habe?! – Ja, es ist äusserst Interessant, sich einen Abend lang mit mir zu unterhalten! Die Tuma die von einem Verräter aufgezogen wurde. Es ist spannend zu sehen, was für eine Person das ist! Ich kenne diese Art von Seranern! Aber nach wenigen Wochen ist jegliches Interesse verloren! Und dann?!“

       „Jetzt werfen sie meinen Gatten in eine Kiste. Eine falsche Kiste möchte ich anmerken Miss Ina. – Nicht aus einer Laune heraus entschied er sich einen neuen Gehilfen zu nehmen. Sie wären seine erste Gehilfin.“ Eine Kiste. Das waren ihre Worte, die sie Seibha gegenüber verwendet hatte. „Er überlegte es sich sehr intensiv. Vielleicht kommt es ihnen so vor, als sei es eine Laune, weil es so schnell ging. Doch er fürchtete, dass sie umgehend in den Militärdienst eintreten würden. Daher verschwendete er nicht unnötig Zeit. – Aber es ist nicht in seinem Willen, ihnen einen Posten aufzuzwängen den sie nicht wollen. Es ist ihre Entscheidung Ina.“ Ein Windstoss brachte die Kronen der Bäume in Bewegung. Einige Blätter fielen in kreisenden Bewegungen zu Boden. „Nein Madam. Es ist Nilia’s Entscheidung. Und er hat sie bereits getroffen“, Ina nahm das dunkelrote Blatt, das neben sie auf die Bank gefallen war zwischen ihre Finger. Es war grösser als ihre flache