Bernd Schremmer

Adam und Eva


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jetzt die Worte sprach, sah er nicht sie an, sondern Kain. Und Kain senkte sofort den Blick. Eva schoss jäh eine Hitzewelle durch den Leib.

      Der Gast schien beides zu bemerken. Und auf sein Gesicht – er sah wieder Kain an – trat ein seltsam strenges Lächeln. Doch dann, völlig überraschend, gab er seinem Gehilfen Uki einen Wink, und der sprang sogleich auf und lief zum Kastenschiff.

      Eva erschrak erneut. Was sollte jetzt kommen? Irgendwie hatte sie das Gefühl, als liefe alles nach einem genau vorgefassten Plan ab.

      Der Herr in Weiß, der neben ihr saß, beugte sich ein wenig zu ihr herüber.

      „Wir sind natürlich nicht ganz mit leeren Händen gekommen.“

      Alle am Tisch hörten es, und alle blickten wie gebannt zum Kastenschiff. Von wo Uki, der hübsche schwarze Junge mit dem lustig gekräuselten schwarzen Haar, eilenden Schrittes auch schon wieder zurückkehrte – mit einem in ein Tuch gehüllten flachen Gegenstand, den er seinem Herrn übergab.

      Der Herr erfreute sich an den rundum neugierigen Blicken.

      Er enthüllte den Gegenstand und überreichte ihn Eva.

      „Weißt du, was du jetzt in Händen hältst?“

      Eva schüttelte den Kopf. – Eine Tontafel. Mit merkwürdigen Einritzungen.

      „Das ist...“ Der Herr blickte bedeutungsvoll in die Runde. „... eine Nachricht von Adam!“

      Lange Pause.

      Und Eva sah ebenso ungläubig wie ratlos auf das flache Ding in ihren Händen.

      Der Herr und Uki tauschten vergnügte Blicke: Wir sind halt in Eden.

      „Ich weiß“, sagte er, „so etwas habt ihr noch nicht gesehen.“ Er zeigte auf die zierlichen Einkerbungen. „Das sind Schriftzeichen“, erklärte er. „Erfunden von den Ägyptern. Hübsch anzusehen. Aber nicht jedem verständlich. Ich war eurem Mann beim Einritzen natürlich behilflich.“

      Abe, ihm gegenüber sitzend, beugte sich über den Tisch.

      „Schriftzeichen sind das?“

      „So ist es. Jede Einkerbung steht für ein Wort.“

      „Interessant“, sagte Abe.

      Henoch jedoch wurde nun ungeduldig: „Nun macht es nicht so spannend. Lest vor, was uns der Großvater schreibt!“

      Eva dachte: Mein Gott, der Junge, rede nicht so! Wenn es nun doch der Herr ist!

      Und Mutter Zippora, ebenfalls erschrocken, setzte ein entschuldigendes Lächeln auf.

      Kain aber saß schweigend da, mit ausdrucksloser Miene.

      Der Herr El Haschem bat sich von Eva noch einmal kurz die Tafel aus.

      „Viel ist es nicht, was er geschrieben hat“, sagte er. „Ihr seht ja, das Täfelchen ist nicht besonders groß. Im Ägypterland gibt es... Aber das führte jetzt wohl zu weit.“ Er blickte auf die Tafel. „Ihr seht, es sind nur vier Zeilen. Die erste Zeile lautet: Es geht mir gut. Die zweite Zeile: Gott ist mit mir. Die dritte Zeile: Gelobt sei der Herr. Und die vierte Zeile: Adam.

      Er gab Eva die Tontafel zurück.

      Abermals langes Schweigen.

      „Soll ich es noch einmal wiederholen?“ fragte der Gast.

      „Nein, nein“, sagte Eva. „Es geht mir gut. Gott ist mit mir. Gelobt sei der Herr. Adam.“

      Sie drückte die Tafel an ihre Brust, als wollte sie jedes der Schriftzeichen in ihr Herz verschließen..

      Henoch, etwas spöttisch, sagte: „Welch frohe Botschaft.“

      Abe aber sagte: „Es steht geschrieben!“

      Und Bitja, die wie so oft ihren kleinen Engel in Händen hielt, sagte dankbar-erleichtert: „Jetzt wissen wir es.“

      Danach setzten sie alle das unterbrochene Mahl fort. – Und anschließend saßen sie noch lange am Feuer bis in den Abend hinein. Der Reisende aus der Stadt Ur wusste viel zu berichten von Ländern und Leuten, von Gebirgen, Flüssen und Städten im morgenländischen Erdkreis.

      Am anderen Morgen, gleich nach dem Frühstück, brachen der Kaufmann und sein Gehilfe auf, weiter stromabwärts gleitend, und waren bald nicht mehr zu sehen.

      El Haschem, dachte Eva, als sie zur Hütte zurückkehrte, was der Name wohl bedeuten mochte? Und ihr fiel ein, dass sie ganz vergessen hatte zu fragen, was denn ein Kaufmann sei.

      Noch etliche Tage war wieder und wieder die Rede von den beiden Besuchern. Bitja war ein wenig verstimmt, weil Herr El Haschem ihrem Engel keinerlei Beachtung geschenkt hatte. Abe malte selbstersonnene Schriftzeichen in den Sand. Zippora schwärmte vom hübschen Uki. Henoch gingen die Nilschenke und der Wein nicht aus dem Kopf. Lebuda fand es merkwürdig, dass auf dem Fluss nicht schon früher mal ein Kastenschiff gekommen war.

      Eva aber nahm jeden Morgen, jeden Abend die kleine Tontafel in die Hand und sprach für sich leise die Worte, die ihr Adam gesandt hatte. Welch ein Trost!

      Kain als einziger ging schweigend seinen gewohnten Tätigkeiten nach.

      Eines Abends aber sagte er: „Ich denke, es ist jetzt genug mit dem Gerede. Wir sollten den ganzen Unsinn vergessen. Vater Adam ein fröhlicher Zecher am Nilufer! Wer`s glaubt, wird selig.“

      Selig? – Alle sahen ihn fragend an.

      „Na, hat Uki doch gesagt: Glauben macht selig.“

      Ja, Eva erinnerte sich, so etwas Ähnliches hatte der schwarze Gehilfe gesagt, als von der Kraft und Herrlichkeit der Sprache die Rede gewesen war.

      Eva aber verbot Kain dieses Wort, aus seinem Mund hatte es ihr allzu abfällig geklungen.

      Am anderen Tag holte sie aus dem Stroh, auf dem sie schlief, die Tontafel hervor und stellte sie auf ein kleines Holzgestell, auf dem sie bisher getrocknete Früchte gelagert hatte. Und das Gestell mit der Tontafel stellte sie in eine Ecke des Hauptraums, und das Ganze schmückte sie mit Feldblumen aus. Und fortan erneuerte sie die Blumen jeden Morgen und sprach dabei leise die zweite und dritte Zeile der Tontafel. Das beruhigte sie und stärkte ihre Gewissheit, dass Adam lebte, dass er zurückkehren würde, und mochten auch noch Jahre vergehen.

      Kain aber beobachtete sie manchmal und hörte wohl, was sie vor sich hin sprach.

      Eva tat so, als bemerkte sie es nicht. Und doch wurde sie das Gefühl nicht los, dass der Besuch der beiden Männer Kain in Unruhe versetzt hatte. – Allein, sie ließ sich nicht beirren; er war ihr Sohn, und nie und nimmer mochte sie glauben, dass Kain seinem Bruder Abel etwas angetan haben könnte.

      So verging die Zeit, so vergingen die Jahre. Von den zwei Flussreisenden war längst nicht mehr die Rede. In der Ecke des Haupthauses aber stand, immer geschmückt mit frischen Blumen, die Tontafel.

      Eines Abends jedoch, als alle im goldenen Schimmer der sinkenden Sonne bei Tisch saßen, geschah es, dass plötzlich ein hochbeiniges, graubraunes Tier aus dem Wald trat, und auf ihm, zwischen zwei zotteligen Buckeln, saß, prächtig gewandet, Adam.

      Heimkunft mit Puschpusch

      Herr im Himmel, dachte Adam, welch ein freudiger Empfang. Sie stehen da, als würden sie mich nicht wiedererkennen. Habe ich mich so sehr verändert?

      Er zählte die Häupter seiner Lieben. Siehe da, es waren zwei hinzugekommen. Nicht gerade viel für all die Jahre. Aber es waren zwei stattliche Jünglinge, das Staunen auf ihren Gesichtern hatte etwas leicht Ungläubiges. Na, Hauptsache, sie lebten alle.

      Adam klopfte seinem Kamel den Hals. „Puschpusch, wie sind angekommen.“ Das Tier stampfte zweimal mit den Vorderhufen. „Du musst dich nicht wundern, dass sie so dastehen, sie haben noch nie ein Kamel gesehen.“ Er klopfte dem Tier abermals den Hals, und Puschpusch