Bernd Schremmer

Adam und Eva


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trug sie fortan immer bei sich.

      Zippora sammelte Früchte, bewässerte den Hausgarten, half der Mutter beim Fellgerben. Eva machte Töpfe, kochte Hirsebrei, briet Fleisch von Hühnern und Felltieren, die Kain von der Jagd heimbrachte. Lebuda hütete das Feuer und umsorgte ihren Sohn, den sie geboren und den sie Abe genannt hatte. Kain aber gefiel der Name nicht, er sah das Kind scheel an. Und alsbald baute er für Lebuda eine zweite Hütte, auf der anderen Seite der Wiese, er wollte nicht länger, wenn er morgens aufwachte, als erstes Abels Sohn sehen und den Namen hören, den Lebuda und Großmutter Eva so liebevoll aussprachen, wenn sie den Kleinen wuschen, ihn fütterten, mit ihm spielten.

      Die Zeit aber verging, und Zippora wurde ebenfalls schwanger, und sie gebar, nachdem neunmal der Mond gewechselt hatte, einen Jungen, da war bei Kain die Freude groß. Gemeinsam nannten sie ihren Sohn Henoch. Und Kain baute eine dritte Hütte, für sich, für Zippora und seinen Sohn.

      Kain war der einzige Mann in Eden, Eva aber war die Mutter der Mütter. Ihre Hütte war nun das Haupthaus. Sie teilte die Arbeit ein, sie kochte für die Familie, sie säte und pflanzte im Hausgarten, und sie gestaltete die Festtage.

      Im Frühjahr feierten sie das Wiedererwachen der Natur. Nach dem großen Regen feierten sie die Wiederkehr der Sonne. Eva und Zippora stimmten Lob- und Danklieder an zu Ehren des himmlischen Vaters, der das Wetter machte. Bitja erzählte, jeweils mit kleinen Ergänzungen, die Geschichte vom Engel, der von der Sonne das Feuer gebracht hatte.

      Niemand sprach mehr von Adam, aber ein jeder dachte an ihn. Wo er wohl sei? Wie es ihm wohl gehe? Ob er sich in der Wüste vielleicht verirrt habe? Und auch an Abel dachten sie, zumal Lebuda, die ihrem Sohn, wenn sie mit ihm allein war, von seinem Vater erzählte: dass er bald zurückkehren und sich über ihn freuen werde. Im Stillen dachte sie oft: Ach, wenn Abel doch wüsste, dass er einen Sohn hat, er wäre sicher schon längst wieder heimgekehrt.

      Hin und wieder ging Eva zu Bitja auf die Weide am Wüstenrand, und sie ging auch zu Kain auf seinen Acker, so wie es früher Adam getan hatte, um nach dem Rechten zu sehen.

      Eines Tages sagte Kain: „Ich verstehe dich nicht, Mutter. Mehr als zehn Jahre sind jetzt vergangen, und du blickst noch immer in die Wüste. Glaubst du wirklich, er kommt noch einmal wieder? Glaubst du an Wunder?“

      „Was weißt du von Wundern, Kain?“

      „Nichts. Denn es gibt keine Wunder.“

      „Woher willst du das wissen? – Aber vielleicht hast du ja recht. Und deshalb glaube ich an Gott. Gott hat deinen Vater erschaffen. Gott wird ihn beschützen. Und eines Tages, du wirst sehen, kehrt er heim, zusammen mit Abel. Ich weiß es.“

      „Du weißt es?“

      „Ja, Kain – weil ich es fühle.“

      Da wagte Kain nicht zu widersprechen.

      Ein andermal sagte er: „Und wenn nun Vater doch etwas zugestoßen ist? Was wissen wir von der Wüste? Wir hätten ihn nicht ziehen lassen dürfen.“

      „Wenn ich mich recht erinnere“, sagte Eva, „dann hast du damals nichts gesagt, um ihn zurückzuhalten. Ja, du warst sogar stolz darauf, dass nun du der Mann warst, dem die Sorge für Leib und Leben der Familie anvertraut war.“

      „Das ist nicht wahr. Ich war nicht stolz.“

      „Ach, Kain, vielleicht erinnerst du dich nur nicht genau genug. Weil du im Stillen froh warst, dass dein Bruder Abel nicht mehr da war.“

      „Das ist nicht wahr! Ich habe Abel geliebt.“

      „Und ich liebe ihn immer noch.“

      Da schwieg Kain und blickte verlegen beiseite.

      „Manchmal denke ich, es ist damals etwas passiert zwischen euch. Du hattest vielleicht Streit mit deinem Bruder, und daraufhin ist er weggegangen von uns.“

      Kain wurde rot im Gesicht, aber nicht vor Wut.

      „Manchmal denke ich sogar, es könnte noch etwas Schlimmeres geschehen sein.“

      Kain wurde aschfahl im Gesicht.

      „Was soll denn geschehen sein?“

      „Ich weiß es nicht. Vielleicht habt ihr euch geprügelt.“

      „Du glaubst, ich hätte Abel erschlagen?“

      „Erschlagen? Aber nein, Kain. Du bist mein Sohn. So etwas würdest du niemals tun.“

      Eva war über das Wort „erschlagen“ mehr erschrocken, als sie sich anmerken ließ. Sie hatte das Wort vorher gar nicht gedacht. Warum, so fragte sie sich, hatte Kain es ausgesprochen? Weil er wusste, dass sein Vater vergebens aufgebrochen war, um Abel zu suchen?

      Sie wollte den Gedanken vergessen, aber es war wie schon früher, manche Gedanken, manche Worte kehrten immer wieder, gaben im Kopf keine Ruhe.

      So kam es, dass Eva begann, häufiger spazieren zu gehen.

      Und den Töchtern, zumal Lebuda, fiel es auf.

      „Was ist mit dir?“ fragte Lebuda eines Nachmittags die Mutter. „Du bist in letzter Zeit so unruhig. Du gehst so oft umher, am Fluss entlang, durch den Wald, über die Wiesen, so als suchtest du etwas.“

      „Aber nein, Kind. Was sollte ich suchen?“

      Eva fand, es war nicht recht, dass sie Lebuda etwas verschwieg, aber wohin würde es führen, wenn sie ihr von ihrem Gespräch mit Kain erzählte?

      Aber auch Bitja fiel auf, dass die Mutter öfter als früher unterwegs war.

      „Du wartest auf den Engel, habe ich recht?“ sagte sie. „Dass er dir Nachricht bringt von Vater und von Abel.“

      „Aber, Kind“, sagte Eva. „Was für ein Engel denn? Und was für eine Nachricht?“

      „Das weiß ich nicht. Das weiß man nie vorher, bevor einem ein Engel erscheint.“

      Darauf wusste Eva nichts zu erwidern. Die Tochter, die nun schon bald dreißig Jahre alt war, wurde in ihrer Phantasienwelt immer wunderlicher. Und doch manchmal auch hellsichtiger als die anderen.

      Eva beschloss, ihre Suche aufzugeben. Nirgendwo, weder im Wald noch auf einer der Wiesen noch in der Felsengrotte, hatte sie Spuren oder Anzeichen gefunden, die auf etwas Vergrabenes hindeuteten. Für irgendwelche Spuren war es inzwischen wohl längst zu spät. Außerdem erschien ihr der Gedanke, je öfter sie ihn dachte, gar zu ungeheuerlich. Kain war ihr Sohn!

      Und so kehrte sie wieder zu ihrer alten Hoffnung zurück, zu ihrem Gefühl, dass Adam ganz sicher irgendwann mit Abel heimkehren werde. Was wusste sie schon von den Hindernissen und Beschwernissen, denen ein Reisender im Lande Nod begegnete.

      Aber auch Kain war nicht entgangen, dass die Mutter anders als früher lange Zeit wieder und wieder durch Eden gestreift war. Und Eva ihrerseits war nicht entgangen, dass Kain sie dabei wieder und wieder beobachtet hatte, mit unruhigen Blicken, wie ihr schien, ohne sie zu fragen, was sie denn umtreibe. Wenn sie bei den Mahlzeiten alle beisammensaßen, kam es immer öfter vor, dass Eva, wie ohne jeden erkennbaren Anlass, plötzlich vom Vater, vom Großvater, vom Oheim erzählte. Kain schwieg meistens dazu. Eva vermerkte es wohl, sagte aber nichts. Und ihre Enkel, Henoch und Abe, hörten zwar zu, stellten aber kaum je eine Frage zu den beiden Abwesenden, die sie freilich nicht kannten. Das schmerzte Eva im Stillen, aber ihre Liebe zu den Enkeln war viel zu groß, als dass sie es ihnen verargt hätte. Abe und Henoch, nun schon kräftige, wohlgestaltete Jungen, packten inzwischen fleißig mit zu bei den anfallenden Arbeiten, lösten Bitja auf der Weide und Kain auf dem Acker ab und wetteiferten wohl auch um die Gunst und das Lob der Großmutter, was Eva durchaus gefiel; ihr Wort besaß, wie sie wusste, besonderes Gewicht, war sie doch die einzige in der Familie, die von Gott, dem Herrn, erschaffen worden war.

      Und so verging die Zeit. Nichts geschah. Evas Gedanken aber waren jeden Tag bei Adam und Abel.

      Da ereignete es sich eines Nachmittags – Eva breitete mit Zippora und Bitja auf der Wiese gerade die gegerbten Felle aus, und Lebuda reinigte die Feuerstelle