Bernd Schremmer

Adam und Eva


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als er. Dass Abel die leichtere Arbeit hatte. Und nun auch noch, dass Abel den Mann aus dem Land Nod kennengelernt hatte und er nicht.

      „Ich denke, wir besprechen die Sache später“, sagte Adam, „wenn wir alle wieder etwas ruhiger geworden sind. Heute herrscht strahlender Sonnenschein. Da besteht keine Not. Ich bin mir sicher, gemeinsam wird uns schon etwas einfallen.“

      Am Nachmittag ging Adam lange spazieren. Auf seinem gewohntenen Weg am Flussufer entlang. Er dachte jedoch nicht über das Feuerdach nach, er suchte eine Antwort auf die Frage: Was erzähle ich heute abend? Wie mache ich es richtig, wie mache ich es möglicherweise verkehrt?

      Etliche Male blieb er stehen und hielt nach allen Seiten hin Ausschau. Vergebens. Er blickte zum Himmel. Ebenfalls vergebens. Fast war er versucht, eine Art Gespräch zu beginnen. Er dachte an die Worte des Fremdlings über Gottes unermessliche Fähigkeiten, über sein alles hörendes Ohr. Doch genau das war die Schwierigkeit: Sollte er glauben, was der Herr El-Iblis ihm über Gott offenbart hatte? Und damit war er wieder bei der Frage angelangt: Was erzähle ich heute abend?

      Die Wahrheit? Die halbe Wahrheit? Irgendetwas Erfundenes? Eines schien ihm so heikel wie das andere. Wenn er vom Baum der Erkenntnis erzählte, würden sich die Kinder wundern, dass sie von ihren Eltern noch nie etwas von ihm gehört hatten. Und vom Geheimnis des Guten und Bösen. Die beiden Wörter würden sie mit Sicherheit neugierig machen. (Streng genommen erging es ihm ja nicht anders.) Ein Geheimnis hatte nun einmal etwas Verlockendes. Wer weiß, auf was für verwegene Gedanken sie kämen. Immerhin waren sie fast erwachsene Menschen. Wenn er aber den Baum der Erkenntnis in seiner Erzählung wegließe, bekäme das Ganze keinen Sinn mehr.

      Am Abend, nachdem sie gegessen hatten, versammelten sich alle am Feuer, im lockeren Kreis um das wärmende, sacht flackernde Licht, das Lebuda sorgsam wie auch sparsam am Brennen hielt. Eva saß zwischen Bitja und Zippora, und Adam, ihr gegenüber, hatte links und rechts Kain und Abel neben sich. Ringsum zirpten die Zikaden. Über den Bäumen auf der anderen Seite des Flusses stand silbrig der halbrunde Mond. Schließlich räusperte sich Adam ein paar Mal, als hätte er eine Ewigkeit nichts gesagt.

      „Also“, begann er, „die Geschichte von dem Mann aus der Wüste. Am besten, ich fange ganz von vorne an. Also, es war einst, vor langer, langer Zeit, am sechsten Tag, nachdem Gott die Welt erschaffen hatte...“ Adam bemerkte eine leichte Überraschtheit um sich herum, das gefiel ihm. „Und die Welt“, setzte er fort, „das waren nicht nur der Himmel, die Tiere, die Pflanzen, sondern auch die himmlischen Heerscharen, das sind die Engel, die Cherubim und Dämonen, zu denen auch Satan gehört, der Erzbube, Gotteslästerer, Weltzerstörer. Fragt mich nicht“, unterbrach Adam seinen, wie er selbst fand, ohnehin viel zu breit geratenen Erzählstrom, „wozu Gott alle die Himmelsgeschöpfe benötigt, ich weiß es nicht. Als er nun, wie gesagt, am sechsten Tag fast fertig war mit seiner Schöpfung, da pflanzte er noch den Garten Eden, genau hier also, wo wir uns befinden, und dort hinein setzte er einen Mann und Frau, und er nannte sie Mensch.“

      Adam hielt kurz inne, in Erwartung etwaiger Zwischenbemerkungen oder Fragen betreffs des Mannes und der Frau oder der Heerscharen (wieso er von denen wusste), aber alle schwiegen, selbst Kain, der sonst rasch ungeduldig wurde, anscheinend war für junge Menschen nichts aufregender, als die eigene Familiengeschichte zu erfahren. Und so Adam fuhr fort.

      „Ich will die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen. Es geschah also, dass Gott den Mann und die Frau durch den Garten Eden führte, ihnen alle Tiere und alle Pflanzen zeigte, die er für sie gemacht hatte, und er sprach: Von allen Sträuchern und Bäumen im Garten dürft ihr essen, nur von einem Baum nicht...“, Adam sah, dass Eva entsetzt die Augen aufriss und die Luft anhielt, „das ist der Baum des Wissens. Denn dieser Baum, so sprach Gott, der Herr, gehört allein mir.“ Eva schloss, wie Adam mit innerem Schmunzeln sah, erleichtert die Augen.

      Nun aber meldete sich Abel: „Es gibt also einen Baum des Wissens?“

      „Hast du doch gehört“, wies Kain ihn zurecht.

      Aber Abel überhörte es. „Und wo steht der Baum?“

      „Wozu musst du das wissen? Willst wohl noch schlauer werden?“

      Adam war froh, dass er zwischen seinen Söhnen saß. Und Eva, die wohl dasselbe dachte, kam ihm liebevoll zu Hilfe: „Nun lasst mal den Vater weitererzählen. Wir wollen doch alle hören, was es mit dem Mann aus der Wüste auf sich hat.“

      Aber der Mann aus der Wüste, fand Adam, war noch nicht dran, denn er hielt es für geraten, die Kinder vorher wissen zu lassen, dass der Mann und die Frau alle Jahre Gottes Gebot immer geachtet hatten. Nicht so sehr aus Angst vor einer Strafe, sondern aus Achtung, ja aus Liebe zu Gott, dem Herrn, der sie erschaffen hatte.

      Rings im Kreis herrschte auf einmal andächtige Stille.

      Und Adam, nicht ganz unzufrieden mit sich, fuhr fort: „So lebten also der Mann und die Frau lange Jahre glücklich und zufrieden mit ihren Kindern, fünf an der Zahl, eines hübscher und gescheiter als das andere. Doch dann, eines Tages, kam zu ihnen ein Mann in einem langen dunklen Gewand, mit einem Stecken in der Hand, wie gesagt, aus der Wüste. Und der Fremdling führte den Mann, also den Vater der Kinder, in den Wald zu dem Baum des Wissens. Und er sprach: Warum esst ihr nicht von den Früchten, sie sind doch überreif? Da ging dem Vater ein Licht auf, nun wusste er, wen er vor sich hatte, und er antwortete: Weil ich nicht Gott bin, sondern Gottes Geschöpf, das er Mensch geheißen hat. Und so kam es, dass der Fremdling sich vor Wut umdrehte und spurlos im Wald verschwand. Und von dort kehrte er vermutlich zurück in die Wüste, in das Land Nod, aus dem er gekommen war. Oder er zog weiter, in ein anderes Land... Wer weiß.“

      Da saßen nun alle da, blickten ins Feuer, und keiner sagte ein Wort.

      Und Adam sagte schließlich. „Das ist die ganze Geschichte...“

      Eva kam ihm abermals zu Hilfe: „Ich denke, jetzt können wir beruhigt schlafen gehen.“

      Doch sofort, wie zu erwarten, allgemeines Gemurre, dass es doch noch viel zu früh am Abend sei.

      Und Bitja, die die ganze Zeit ihren Menschenvogel in der Hand gehalten hatte, fragte:

      „Und wo kam nun das Feuer her?“

      Erneutes Schweigen. Und verblüffte Gesichter.

      „Na, ist doch klar“, meinte Kain. „Das Feuer hat der Fremdling gelegt. Weil er wütend war. Dass Vater nicht auf ihn reingefallen ist.“

      Adam, obwohl leicht erschrocken über das Wort „reingefallen“, schenkte dem Sohn ein zustimmendes, ja dankbares Lächeln.

      Und Zippora sagte: „Wir können froh sein, so einen Vater zu haben.“

      Adam musste sich zusammenreißen, dass ihm nicht die Brust schwoll.

      Abel aber sagte kein Wort.

      Eva nahm Bitja an die Hand: „Nun mal los. Ab ins Stroh!“

      Kain jedoch legte seinen Arm um Zippora und erklärte, sie würden noch ein bisschen spazieren gehen.

      „Na, meinetwegen“, sagte Eva.

      Lebuda fragte: „Und wer hält heute Feuerwache?“

      Kain drehte sich um und lachte. „Na, Abel und du. Ist doch schön, so am Feuer zu sitzen.“ Und zu Abel, mit erhobenem Zeigefinger: „Aber verführe nicht meine Schwester!“

      Zippora kicherte.

      Abel aber rief dem Bruder nach: „Deine Schwester? Lebuda ist auch meine Schwester!“

      Und Kain, ohne sich umzudrehen: „Eben, Brüderchen! Eben, eben!“

      Und Adam dachte: Ach, diese Jugend. Ist doch zu schade, dass Eva und ich nie so jung gewesen sind. Aber wer weiß, was wir für Eltern gehabt hätten, wenn wir nicht Gottes Geschöpfe wären.

      Die Sache mit dem Fremdling, so schien es, war somit glücklich zu Ende gebracht. Doch noch kannte Adam nicht die Plagen eines Geschichten-erzählers.

      Evas launige Bemerkung, als sie eng beeinander im Stroh lagen: