Bernd Schremmer

Adam und Eva


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war noch nicht vorgekommen. Außer Enten, springenden Fischen, fischefangenden Vögeln oder vorüberschwimmenden Krokodilen hatte sich auf dem Wasser noch nie etwas bewegt. Bitja sah das merkwürdige Etwas als erste. Augenblicklich stand sie da wie versteinert. Eva und Zippora bemerkten es, richteten sich auf, folgten Bitjas Blick und sahen es nun auch. Und Lebuda, verwundert, dass das Geplapper bei den Schwestern und der Mutter plötzlich verstummt war, hob den Blick von der Feuerstelle und sah die drei dastehen und aufs Wasser starren. Und dann sah sie es ebenfalls.

      Es bewegte sich, offenkundig getrieben von der Kraft der Strömung, langsam auf die freie Uferstelle zu.

      Es war ein kastenförmiges Gebilde aus Holz mit einem von vier Pfählen getragenen Dach, das aus einer Art hellem, aber schattenspendendem Stoff bestand.

      Unter dem Dach saß ein Mann in einem weißen Gewand und mit einem dunkelbraunen Tuch um den Kopf. Am Ende des flachen Kastens stand ein jüngerer Mann, der das schwimmende Gefährt offenbar lenkte; er war, im Unterschied zu dem Mann unter dem Sonnendach, von nahezu schwarzer Hautfarbe.

      Die Frauen, ungläubig, erschrocken, standen noch immer wie erstarrt, mit einer Hand vorm Mund, mit der anderen Hand sich den Leib haltend, als müssten sie sich vor etwas schützen.

      Der Kasten setzte auf dem sandigen Ufer auf. Der Mann in Weiß erhob sich. Der Jüngere, der nahezu nackt war (die Töchter, wie Eva wohl bemerkte, verschlangen ihn geradezu mit ängstlichbewundernden Blicken), sprang ans Ufer und machte den Kasten mit einem Seil fest. Der Herr in Weiß raffte sein Gewand, tat einen schwungvollen Schritt über den Kastenrand, und dann stand er, groß und würdevoll, vor ihnen und sagte mit klangvoller Stimme:

      „Seid gegrüßt, ihr Frauen! Bin ich angekommen im Land Eden?“

      Und Eva, ein wenig zitternd zwar, aber gefasst, trat einen halben Schritt vor und machte (später fragte sie sich, wie sie darauf gekommen sei) einen Knicks.

      „Gelobt sei der Herr. Ja, Ihr seid angekommen im Garten Eden.“

      Der Fremdling nickte wohlgefällig. Und sah die jungen Frauen an.

      „Im Garten der hübschen und fleißigen Mädchen...“

      Zippora, Bitja und Lebuda lächelten verlegen.

      Und Eva, der volltönenden Stimme des Ankömmlings nachlauschend, als hätte sie die schon einmal gehört, fragte: „Und Ihr? Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr?“

      Der Herr in Weiß drehte sich kurz um, zum Fluss. Oder sah er hinüber zum anderen Ufer? Eva dachte unwillkürlich, dass noch keiner aus der Familie je dort drüben gewesen war, in dem bewaldeten Landstreifen, über dem abends die Sonne unterging.

      „Wir kommen von weit her“, sagte der Herr in Weiß. „Aus dem Land Ur. Und dort wollen wir hin.“

      Spaßig gesagt, dachte Eva.

      „Mein Name ist El Haschem. Ich bin Kaufmann. Und das ist Uki, mein Gehilfe.“ Er zeigte auf seinen jungen, schwarzen Begleiter, der hinter ihm stand. „Und du – ich rate mal – du bist Eva.“

      Eva glaubte, ihr Herz würde stehenbleiben. Ich rate mal. Der Herr besaß Humor. Das hätte sie nicht gedacht.

      „Ja“, sagte sie schließlich, „ich bin Eva, Adams Frau...“

      „Und von Adam“, sagte der Herr, ehe sie die nächste Frage stellen konnte, „soll ich dich herzlich grüßen.“

      „Ihr habt ihn gesehen?“

      Der Herr überhörte die Frage. „Und euch soll ich natürlich auch grüßen“, sagte er zu den jungen Frauen. „Lebuda, Zippora und Bitja, wenn ich das recht behalten habe. Und nicht zu vergessen: Kain. Wo steckt er denn, der junge Mann?“

      Eva holte tief Luft. Was für Scherze! Als ob er das nicht wüsste. (Erst später wurde ihr bewusst, dass sich der Mann weder nach Abe noch nach Henoch erkundigt hatte.)

      Inzwischen hatten die Mädchen die Sprache wiedergefunden und überfielen den offenkundig weitgereisten Kaufmann aus dem Land Ur mit einem Schwall aufgeregter Fragen nach dem Vater, nach dem Bruder, wo er die beiden getroffen habe, wie es ihnen gehe, warum sie noch nicht heimgekehrt seien...

      Der Herr in Weiß lächelte verständnisvoll, hob aber besänftigend die Arme.

      „Ich denke“, schaltete sich Eva wieder ein, „wir lassen unseren Gast und seinen Gehilfen erst einmal nähertreten. Sie werden von der Reise hungrig und durstig sein. Und ihr, Bitja und Zippora, lauft und sagt Kain und euren Kindern Bescheid.“

      Später dann, nachdem die Gäste die kleine Siedlung (so ihre Worte) besichtigt, Kain mit Abe und Henoch das Kastenschiff (so ebenfalls die Gäste) bestaunt hatten und alle am Tisch versammelt saßen, ließ sich der Herr in Weiß nicht lange bitten und begann – die Familie war mehr als gespannt – zu erzählen, wie und weshalb er nach Eden gekommen sei.

      Zunächst erteilte er zum besseren Verständnis seiner Reisewege ein wenig Fluss und Länderkunde. „Euer Strom“, begann er, „den ihr Prat nennt und der euren schönen Garten Eden bewässert, teilt sich ein Stück stromaufwärts in vier Hauptarme. Der erste heißt Pischon und fließt um das ganze Land Hewila, dort findet man Gold, und das Gold des Landes ist kostbar. Und also begehrt! Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch. Dort ist nicht besonders viel los. Der dritte Strom heißt Tigris und fließt östlich von Assyrien. Ein zur Zeit nicht ganz unbedeutendes Reich! Und der vierte Strom heißt Euphrat, dort liegt, nahe dem Meer, die Stadt Ur, wo wir herstammen und wohin wir zurückwollen. Getroffen aber haben wir Adam, euren Mann, Vater und Großvater, in Memphis, das liegt ganz woanders, nämlich westlich von hier, am Nilstrom im Land der Ägypter. Wie schon gesagt, wir kommen viel umher, und eines Abends, wie es der Zufall will, saßen Uki und ich in einer kleinen Schenke am Nilufer, um uns nach des Tages Mühen ein wenig am Wein zu laben, da trafen wir einen ebenfalls fröhlichen Zecher, und wir kamen, wie das auf Reisen zu gehen pflegt, bald ins Gespräch. Wie erstaunt aber war ich, zu hören, dass unser Tischgenosse Adam heiße und aus dem Land Eden käme. Nun hatte ich, wie alle gebildeten Handelsreisenden, von Eden schon einiges gehört, aber noch nie jemanden von dort getroffen. Offen gesagt, es gibt nicht wenig Leute in den von mir bereisten Ländern, die bezweifeln, dass es Eden noch gibt, dass es ein Paradies je gegeben hat...“

      Eva musste für einen Moment die Augen schließen. Ihr war ganz schwindelig von der Flut noch nie gehörter Wörter: Gold, Assyrien, Nil, Schenke, Wein, Zecher, Paradies... Worüber sie sich ein wenig wunderte, war, dass der weitgereiste Kaufmann (was immer das sein mochte) bisher nicht ein einziges Mal das Land Nod erwähnt hatte.

      „Ihr habt also mit Adam gesprochen? Und“, fragte sie, „wie geht es ihm?“

      „Ausgezeichnet.“

      „Wird er bald heimkehren?“

      „Ich weiß es nicht.“

      „Hat er nichts darüber gesagt?“

      „Nein.“

      „Ist es schon lange her, dass Ihr ihn getroffen habt?“

      „Etwa ein halbes Jahr.“

      „Vom Nilstrom bis hierher ist es wohl weit?“

      „Sehr weit.“

      „Und Adam, mein Vater, war allein, als Ihr ihn getroffen habt?“ fragte nun Lebuda, die – Eva sah es ihr an – mehr als an den Vater an ihren Mann dachte.

      „Ja, er war allein.“

      Eva fiel auf, dass der Herr El Haschem nach seiner langen, äußerst gewandten Rede auf einmal recht einsilbig geworden war. Ihr kamen leise Zweifel, nicht nur an dem Gehörten, auch an der Person des Mannes aus dem Land Ur, den sie – sie gestand es sich durchaus ein – anfangs für Gott den Herrn gehalten hatte.

      „Also ist er noch immer auf der Suche nach unserem Bruder Abel“, sagte Bitja. „Hat er gar nichts davon erzählt?“

      „Oh doch. Von Abel hat er gesprochen. Dass er nicht eher heimkehren werde, bis er ihn gefunden habe.“