Bernd Schremmer

Adam und Eva


Скачать книгу

und Wasser, auch wenn sie, wie unsere Erfahrung zeigt, zwei recht entgegengesetzte Seiten haben, gehören beide zu Gottes großer, wunderbarer Schöpfung.“ Für einen Moment schienen alle einer Meinung zu sein. Aber dann meldete sich Bitja, die Künstlerin, zu Wort: „Vielleicht hat ja der Menschenvogel das Feuer gebracht, in Gestalt des Fremdlings aus dem Land Nod. Irgendetwas muss er ja in seinem Beutel gehabt haben.“ Der Beutel! Über den hatte Adam auch schon gelegentlich nach gedacht, aber wie sollte das Feuer darin gewesen sein? „Ach, Bitja“, spottete Zippora, „du und deine Phantasie!“ „Warum denn nicht?“ sagte Lebuda und sah Abel an. Aber der schwieg wieder einmal. Und Kain, mit einem belustigten Blick auf den Bruder, meinte: „Wer weiß, vielleicht leben ja im Land Nod lauter Menschenvögel, die keinen Baum des Wissens brauchen.“ Er lachte. „Nun hört aber auf!“ schimpfte Eva. „Wir haben ein so schönes Fest heute. Und wir wissen, wem wir es zu danken haben.“ Und dabei sah sie nach oben, zur Sonne, zum Himmel. Alle nickten, mehr oder weniger. Und Adam dachte: Ach, meine kluge Frau. Wenn sie wüsste, dass der Herr uns sieht, dass der Herr uns hört... Aber vielleicht auch der Andere, ebenfalls gern Unsichtbare?

      Und abermals verging die Zeit.

      Adam fischte und jagte. Die Töchter kümmerten sich um das Feuer. Eva besorgte den Hausgarten. Die Söhne waren bei den Schafen und auf dem Acker. Wieder einmal herrschte lange Trockenheit, über der Wüste flimmerte die glühende Luft. Und der Fluss Prat wässerte den Garten Eden.

      Eines Abends aber, als Kain, anders als sonst, allein von der Feldarbeit heimkehrte, fragte Eva:

      „Kain, wo ist dein Bruder Abel?“

      Da zuckte Kain mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“, sagte er. „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“

      Sohn und Vater

      Eva rutschte die Hand aus.

      Adam, der bei den Mädchen am Feuer stand, sah es und eilte hinzu. (Die erste Ohrfeige in Eden!)

      „Was ist los?“

      „Das war für seine freche Antwort“, sagte Eva.

      Und Kain, sich die linke Wange haltend: „Ich kann doch nichts dafür.“

      „Ich habe gefragt, was los ist!“

      Und Kain, kleinlaut: „Abel. Er ist verschwunden.“

      „Was heißt das?“

      Nun kamen auch die Mädchen herbei.

      „Ich verstehe es doch auch nicht“, beteuerte Kain. „Am Nachmittag habe ich ihn noch bei seinen Tieren gesehen. Er stand wie immer auf seinen Hirtenstock gestützt. Ich bin wieder zu meiner Arbeit gegangen. Und als ich damit fertig war und die Sonne sich neigte, wollte ich ihn abholen, aber er war nicht da. Die Schafe zottelten allein über die Weide.“

      „Das kann nicht sein.“

      Adam überlegte einen Moment. Eigentlich klang, was Kain sagte, glaubhaft. Aber wofür war die Ohrfeige gewesen? Doch das hatte Zeit.

      „Ihr bleibt hier!“ entschied Adam. „Ich gehe Abel suchen.“

      Und er ging los, zuerst in den Wald, zu der kleinen Lichtung, weil er meinte, eine gewisse Ahnung zu haben. Doch als er dort anlangte, war von Abel nichts zu sehen; weder sprach er mit einer Schlange, noch lag er tot im Gras. Und so lief Adam weiter, den schmalen Waldweg entlang, den er einst mit dem Fremdling gegangen war. Auf der Weide trotteten verwaist die Schafe, so wie Kain es gesagt hatte. Und Adam blickte – wohin sonst hätte er Ausschau halten sollen? – in die flimmernde, schien endlose Wüste, hinter der das Land Nod lag. Oder auch nicht. Wer konnte das wissen? Nur der, der sich aufmachte, um es zu suchen. Ach, Abel, mein Junge, dachte Adam, wenn du wüsstest, wie oft auch ich schon in Gedanken hinausgewandert bin. Sogar im Traum bin ich auf einem Esel reitend aufgebrochen in die Ferne. Hauptsache, du kommst wohlbehalten zurück. Egal, ob du das Land gefunden hast oder nicht, wo die Leute wissen, wer Gott und die himmlischen Heerscharen sind, und vielleicht auch, was das Meer ist und die Erde und weshalb morgens die Sonne nicht dort aufgeht, wo sie abends untergegangen ist.

      Und Adam, beschwerten Herzens, wandte sich ab von der in der Abendsonne golden schimmernden leeren Weite. Wie aber tröste ich nun Eva, dachte er, und wie tröste ich Lebuda, die Abel, den geliebten Bruder, schmerzlich vermissen wird?

      Als Trost fiel Adam nur die Zeit ein. „Ihr werdet sehen“, sagte er, „es dauert nicht lange, und Abel ist wieder da und wird uns alles erklären.“

      Die Zeit verging, aber Abel kam nicht zurück.

      Eva machte sich Vorwürfe. „Was haben wir falsch gemacht, Adam?“

      Kain ging umher mit finsterer Miene: Alle sprachen nur noch von Abel, seinem verschwundenen Bruder. Bitja sagte: „Vielleicht ist ihm ja der Menschenvogel erschienen.“ Keiner hörte auf sie. Zippora gab sich alle Mühe, Kain aufzuheitern: „Es ist doch nicht deine Schuld. Du hast ihm doch nichts getan.“ Und Lebuda, wenn sie allein am Feuer saß, weinte still vor sich hin.

      Eines Morgens dann kam sie zur Mutter. „Mein Bauch“, sagte sie, „mir ist so komisch, als würde er jeden Tag dicker.“ Und Eva sah die Tochter an, schlug die Hände zusammen, umarmte sie und weinte, halb vor Freude, halb vor Mitleid. „Ach, Kind“, sagte sie, „du bist schwanger.“

      Da war nun im Haus die Freude nicht allzu groß. Zippora und Bitja sahen die Schwester fortan mit scheuer Neugierde an. Kain ging mit noch grimmigerer Miene umher als zuvor, weil er nicht als erster Vater werden würde. Eva umsorgte die Tochter mit praktischen Ratschlägen und trostreichen Worten, dass Abel sicher schon bald wieder heimkehren würde, aus Sehnsucht nach ihr.

      Adam, der die gedrückte Stimmung kaum noch aushalten konnte, unternahm mehrere lange Spaziergänge, jedoch nicht am Flussufer entlang, sondern zum Wüstenrand hin. Jedesmal starrte er hinaus in die endlose Ferne. Aber nichts bewegte sich, nichts kam näher. Womöglich hatte Abel Nod nie erreicht, und nun liegt er irgendwo dort draußen in der sengenden Sonnenglut, den Geiern zum Fraß. Womit nur, fragte sich Adam, hatte alles angefangen? Erst mit dem Fremdling, mit dem Feuer?

      Schließlich stand sein Entschluss fest.

      „Es hilft alles nichts“, sagte er zu Eva. „Ich mache mich auf und gehe ihn suchen.“

      Eva wollte es ihm ausreden. „Soll ich euch denn beide verlieren?“ sagte sie, leise, damit Lebuda sie nicht hörte.

      Adam nahm sie in den Arm und versprach, auf sich aufzupassen. Wie und gegen welche Gefahren, wusste er selber nicht.

      Abends am Feuer weihte er Kain und die Töchter ein. Kain übertrug er die Obhut über die Familie. Kain machte große Augen. „Es ist ja nur für ein paar Tage“, sagte Adam.

      Am anderen Morgen brach er auf. Versehen mit einem schützenden langen Schaffell, einem Netz voller saftiger Früchte und einem kräftigen Wanderstab.

      Eva und die Kinder, halb in Tränen, geleiteten ihn bis zum Wüstenrand, winkten ihm lange nach, bis er nicht mehr zu sehen war.

      Als die Sonne schon hoch stand, Eden hinter den Hügel längst verschwunden war und Adam zum ersten Mal stehen blieb und in einen der großen saftigen Pfirsiche biss, wollte ihm beinahe Zweifel kommen.

      Aber vielleicht, dachte er, vielleicht finde ich nicht nur Abel, vielleicht erfahre ich im Land Nod auch, was gut und was böse ist.

      II – WELTEN UND ZEITEN

Bild 185118 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

      Eva und El Haschem

      In Eden brannte das Feuer. Nach und nach lichtete sich der Wald. Kain erfand eine Steinaxt, um Holz zu schlagen.

      Er erfand einen Grabstock, um die Ackererde