Simone Stöhr

Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft


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Gefallen.“

      „Glaube mir, ich werde alles versuchen davon wegzukommen. Du siehst müde aus!“

      „Ich habe nicht viel geschlafen die letzten Tage, aber es geht schon.“

      „Mike, es ist schön, dass du hier bist, aber du brauchst nicht rund um die Uhr an meinem Bett sitzen. Geh nach Hause und schlaf dich aus! Du warst das Letzte, das ich gesehen habe, als ich eingeschlafen bin und das Erste, als ich wieder aufgewacht bin. Schöner könnte es nicht sein! Aber jetzt geht es mir soweit gut und ich komme vorerst alleine klar. Solange ich im Krankenhaus bin steht mir jede Hilfe zur Verfügung, ich brauche dich hier nicht unbedingt. Erhole dich von den Strapazen und wir sehen uns in ein paar Tagen wieder.“

      Cathys Angebot kam Mike sehr entgegen. Er hatte vor die nächsten Tage mit Bella zu genießen und so musste er kein schlechtes Gewissen Catherine gegenüber zu haben. Also widersprach er ihr nicht und nahm ihr Angebot dankend an.

      „Danke, das ist lieb von dir, auch wenn es eigentlich umgekehrt sein sollte. Ich wollte für dich da sein und nicht du für mich. Aber vielleicht hast du Recht. Ich lasse in New York alles vorbereiten und hole dich dann in ein paar Tagen hier ab für dein neues Leben. Dr. Briskow wird dir in allem mit Rat und Tat zur Seite stehen. Vielleicht hat er auch noch wertvolle Tipps für dich, die dir beim psychischen Entzug helfen können. Für alle Fälle lasse ich dir noch meine Handynummer da. Da kannst du mich jederzeit erreichen.“

      Mike schnappte sich einen Stift und schrieb auf der Rückseite des Patientenscheins, der auf dem Nachtkästchen lag, seine Handynummer auf. Er hoffte, dass sie nicht anrufen würde und doch wollte er, dass sie das Gefühl hatte, dass er für sie da war. Er umarmte sie und verabschiedete sich von ihr mit einem Küsschen auf die Wange. Dann war er weg und Catherine lag alleine in ihrem Bett. Ihr Kopf war leer und zum ersten Mal wusste sie nicht, was sie denken sollte oder wollte. Es war nichts da, dass sie bewegte, dass sie beherrschte oder dass sie antrieb. Einfach nur eine Stille und Leere herrschte vor. Sie versuchte in sich hinein zuhören und nach bekannten Stimmen zu lauschen. Stimmen, die ihr all die Jahre gesagt hatten, was sie tun sollte. Stimmen, die ihr sagten, dass Mike der Mann ihres Lebens war. Stimmen, die nach Vergessenheit riefen und sie an Drogen erinnerten. Stimmen, die sie quälten mit Vorwürfen und zur Selbstzerstörung aufriefen. Doch genau in diesem Moment konnte sie keiner dieser Stimmen hören. Und verblüffender Weise nicht einmal die Stimme, die lauter, wie alle anderen schrie – die Stimme nach Vergessenheit. Diese war es auch, die Catherine immer wieder zu den Drogen greifen ließ. Je schlechter es ihr ging, desto mehr schrie die Stimme nach Vergessenheit. Sie wollte alles, was sie jemals falsch gemacht hatte, einfach vergessen. Vergessen, dass sie sich den Drogen hingegeben hatte und vergessen, dass sie auf der Straße gelandet war. Vergessen, dass sie alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten enttäuscht und verloren hatte. Vergessen, dass andere, widerliche Menschen Macht über sie hatten und sie nicht mehr Herr über sich selbst war. Doch alles schien auf einmal nicht mehr wichtig zu sein. Nichts davon berührte sie noch, oder machte ihr Angst. Selbst ihre ewigen Gedanken, was Mike jetzt von ihr halten würde, waren wie vergessen. Es war eine einzige, friedliche Stille in ihr. Manche Menschen würden sich jetzt fürchten, doch für Cathy war es der Frieden auf Erden, nachdem sie immer gestrebt hatte. Entspannt lehnte sie sich zurück, starrte an die Decke und genoss einfach die Ruhe in sich selbst. Stunden vergingen, doch sie nahm keine Zeit mehr wahr. Selbst das Klopfen an der Tür nahm sie nicht wahr. Dr. Briskow trat ein und sah besorgt zu seiner Patientin. Sie starrte an die Decke und regte sich nicht. Dr. Briskow ging eilig auf sie zu und prüfte ihren Puls. Er vermutete einen psychischen Schock und erschrak im ersten Moment, als sie sich auf seine Berührung rührte.

      „Wie geht es Ihnen? Haben Sie Schmerzen?“

      „Nein, es ist alles in Ordnung, Doktor.“

      „Kann ich Sie trotzdem kurz untersuchen?“

      „Natürlich.“

      Cathy lehnte sich zurück und Dr. Briskow leuchtete in Ihre Augen, um die Reaktionsfähigkeit zu testen. Anschließend prüfte er noch den Blutdruck und den Puls. Alles war in Ordnung, trotzdem sah sie nicht danach aus. Auch einen Schock konnte er ausschließen.

      „Körperlich sind die Entzugserscheinungen nun größtenteils vorbei. Es kann vorkommen, dass Sie noch Schmerzen ab und zu empfinden. Das liegt aber nicht am körperlichen Entzug, sondern die Schmerzen treten als eine Art Phantomschmerz auf, den die Psyche auslöst. Und das ist der Punkt an dem Sie stark sein müssen. Ich kann Ihnen für diese Art von Schmerzen keine Medikamente oder Linderung geben. Das müssen Sie alleine schaffen. Ich empfehle Ihnen daher eine Psychotherapie, um die seelischen Gründen aufzuarbeiten. Natürlich kann Sie niemand dazu zwingen, aber für einen langanhaltenden Erfolg ihres Entzuges wird es notwendig sein.“

      „Ich weiß. Mike hat mir das alles schon erklärt“, entgegnete Cathy knapp. Der Doktor war ihr nicht unangenehm, aber er störte sie dennoch dabei die friedliche Ruhe zu genießen.

      „Ms. Coleman, Ihr Aufenthalt hier war alles andere als geplant. Normalerweise untersuche ich meine Patienten eingehend und erfrage die Hintergründe, ehe ich mich entscheide, sie als Patienten aufzunehmen oder nicht. Auch wenn das Vorgeplänkel bereits übersprungen ist, möchte ich trotzdem mehr über sie erfahren. Vor allem möchte ich wissen, warum sie mit den Drogen aufhören möchten.“

      „Doktor, wie heißen Sie eigentlich?“, fragte Cathy neugierig. Mike hatte es zwar erwähnt, aber sie hatte es sich leider nicht gemerkt.

      „Julian Briskow, Dr. Briskow, Julian. Was Ihnen lieber ist. Ich pflege ein sehr offenes Verhältnis zu meinen Patienten und sehe mich viel eher als Helfer und Freund, denn als Respektsperson.“

      „Schön, ich denke aber, dass ich lieber bei Dr. Briskow bleibe. Kann ich Sie etwas fragen?“

      „Natürlich, dafür bin ich doch hier.“

      „Diese friedliche Leere in mir. Bleibt sie oder kommen die Stimmen wieder?“

      Das war es, was sie beschäftigte, ging es Julian Briskow durch den Kopf. In den Jahren seiner Arbeit hatte er sich viel mehr mit Psychologie beschäftigten müssen, als er das in seinen Studienjahren für möglich gehalten hatte. Doch meist war der körperliche Zustand eines Menschen nur Ausdruck der Seele. Immer wieder neu war für ihn jedoch, wie jeder Mensch verschieden auf die gleiche Situation reagierte. Diese innere Leere von der sie sprach, erlebten ungefähr 70% aller Patienten nach dem erwachen. Die einen gerieten in einen Angstzustand und hatten regelrechte Panikattacken, die anderen versuchten krampfhaft die Leere mit Ablenkung zu füllen und wieder andere, ein sehr geringer Teil, genossen diese Stille. Es gab keine wissenschaftliche Erklärung dafür, wodurch diese Stille entstand und warum die einen es spüren konnten und die anderen nicht. Doch Dr. Briskow vermutete, dass es damit zusammenhing, dass die Psyche während des Komas den körperlichen Entzug nicht mitbekommen hatte und nun nach Anzeichen und Körperreaktionen suchte, die das Suchtverhalten zeigte. Doch da gab es nichts mehr und das vermittelte der Psyche ein Gefühl von Leere. Doch bald schon würde die Psyche die körperlichen Entzugserscheinungen in Form von Phantomschmerzen imitieren, um die kaputte Seele mit Drogen zu versorgen. Daher war es unverzichtbar eine Psychotherapie zum Entzug zu machen.

      „Sie scheinen diese Leere zu genießen. Dennoch empfinden die meisten Menschen diese Leere als beängstigend. Was finden Sie daran so schön?“, fragte er neugierig nach.

      „So viele Stimmen haben auf mich eingeredet und mich nie in Ruhe gelassen! Ich wollte schon lange das alles nicht mehr und trotzdem habe ich irgendwann nachgegeben, um für kurze Zeit wieder Ruhe zu haben. Doch daraus sind wieder andere Probleme entstanden und ich wurde erpressbar und konnte so nie aus dem Dilemma heraus. Ich habe einfach keinen Ausweg mehr gesehen und bin jetzt nur noch froh, von all dem nichts mehr zu hören. Diese Stille in mir ist beruhigend und entspannend zugleich. Ihren Worten kann ich entnehmen, dass es nicht ewig anhalten wird, oder?“

      „Ein oder zwei Tage wahrscheinlich. Dann wird sich ihr psychischer Entzug bemerkbar machen. Als sie gestern hier ankamen, waren sie im kalten Entzug schon sehr weit fortgeschritten. Wie kam es dazu? Hatten Sie den Entzug bereits geplant?“

      „Geplant war gar nichts. Mein Dealer, der mich auch