Simone Stöhr

Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft


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      „Nein Dr. Briskow. Ich weiß Sie meinen es nur gut, aber glauben Sie mir, es geht mir gut und ich brauche momentan diese Abgeschiedenheit.“

      Dr. Briskow ging leicht enttäuscht wieder hinaus. Er hatte gehofft, dass die Nachricht von Mike Carrington sie aufrütteln würde. Ohne es zu merken war sie schnell zu seiner Lieblingspatientin geworden. Ihre Gedankenwelt war manchmal so klar und intelligent und dann wieder verschwommen und undurchsichtig, dass er Schwierigkeiten hatte ihr zu folgen. Er hatte sich eingeredet, dass sie eine Patientin, wie jede andere auch war, aber sie war anders. Sie passte nicht in das typische Schema seiner üblichen Patienten. Sie war weder arm und in schlechten Verhältnissen aufgewachsen, noch war sie reich und ohne gesetzte Grenzen im Leben. Aber vor allem interessierte ihn an ihr die Verbindung zu Mike Carrington. Durch sie bekam er ungewollt ein anderes Bild von ihm, von dem er nicht wusste, ob er es gutheißen sollte oder nicht. Er wollte sauer auf ihn sein und ihm die Schuld für seine Probleme in der Ehe machen. Doch gerade diesen Einsatz, den er für eine Freundin erbrachte, ließ es ihn schwerfallen, Mike Carrington als schlechten Menschen oder gar als Satan zu sehen. Daher zog es ihn regelrecht in das Zimmer von Catherine Coleman, damit er mehr von ihr über den wahren Mike Carrington erfuhr, aber auch die Geschichte von Catherine hatte es ihm angetan. Sie hatte nicht unrecht gehabt, was die zurückgestoßene Liebe und die damit verbundenen Gefühle anging. Gerade, dass sie das Beispiel mit ihm und Rebecca wählte, hatte ihn getroffen. Rebecca war schon immer ein Mensch gewesen, die andere gerne auf Distanz hielt, sie etwas näher kommen ließ, um sie nur anschließend wieder weit weg von sich zu stoßen. Eine Art und Weise, die er hasste, ihn paradoxerweise aber auch nicht von ihr loskommen ließ. Dass sie mit ihrem Beispiel den Nagel so sehr auf den Kopf getroffen hatte, konnte sie nicht wissen, aber machte Julian ganz schön nachdenklich.

      Am Nachmittag hielt Cathy es nicht mehr aus. Sie wollte dringend Mike anrufen und seine Stimme hören. Er fehlte ihr und sie hatte mit seiner Nachricht vom Vormittag zumindest einen Grund bei ihm anzurufen. Sie klingelte nach der Schwester und ließ sich das Telefon bringen. Anstatt der Schwester stand Dr. Briskow wieder in der Tür und überreichte es ihr. Er hoffte so sie in ein Gespräch verwickeln zu können. Mit einem Lächeln überreichte er ihr das Mobilteil der Station und den Zettel auf dem er die Nummer von Mike Carrington in New York notiert hatte. Laut den Klinikregeln war Telefonieren nur unter Aufsicht möglich und zeitlich begrenzt. Damit sollte umgangen werden, dass Kontakt mit Dealern oder Drogenabhängigen während dieser Zeit stattfand. Auch wenn das körperliche Verlangen anfangs nicht da war, konnte trotzallem ein verlockendes Gespräch des Dealers oder anderer Drogenabhängigen dafür sorgen, dass der Patient an seine psychische Abhängigkeit erinnert wurde. Daher war es auch wichtig die ersten Tage unter Beobachtung und unter Gleichgesinnten, abgeschieden von der beeinflussbaren Umwelt zu sein. Die Regeln waren auch Catherine Coleman bekannt und Dr. Briskow wollte die Gelegenheit nutzen durch ihr Gespräch mehr von ihr oder Mike Carrington zu erfahren. Catherine wählte mit zitternden Fingern die Nummer vom Notizzettel. Sie wollte so gerne Mikes Stimme hören und hatte trotzdem ein schlechtes Gewissen, dass sie ihm ungelegen kommen könnte. Nervös hielt sie den Hörer und wartete auf das Tüten in der Leitung. Doch statt dem Freizeichen war nur das Belegt-Zeichen zu hören. Enttäuscht legte sie auf und übergab Dr. Briskow das Telefon wieder zurück. Komischerweise empfand sie, dass er ebenfalls enttäuscht wirkte, auch wenn sie in diesem Moment nur dachte, dass sie sich das einbilden musste.

      Dienstag, 12.08.2008 New York, 14:40 Uhr

      Mike telefonierte unterdessen einen Psychologen nach dem anderen ab. Es gab genau drei Psychologen in New York, die auf Drogenentzug spezialisiert waren. Doch die Chancen auf einen Therapieplatz für Catherine schwanden enorm. Der erste befand sich im Urlaub, was im August nun mal nicht ungewöhnlich war. Die nächste Psychologin war restlos überfüllt und konnte selbst mit Bestechungsversuchen nicht überzeugt werden. Also blieb Mike nichts anderes übrig, als seine ganze Hoffnung in die letzte Adresse zu investieren. Dr. Steve Myers. Er klang nicht außergewöhnlich, noch erfolgreich. Auch die Anzeige macht nicht wirklich viel her. Eher schlicht und unscheinbar und sicherlich nicht Mikes erste Wahl, weshalb er ihn auch zuletzt wählte. Doch in der jetzigen Situation blieb auch keine andere Wahl mehr übrig. Er wählte die Nummer, die in der Anzeige stand und wartete bis jemand am anderen Ende der Leitung den Hörer abnahm. Es dauerte kürzer, als Mike erwartete und zu seinem Erstaunen war auch Dr. Myers selbst am Telefon, anstelle einer Sprechstundenhilfe, die üblicherweise die Telefongespräche annahm und Termine vergab.

      „Dr. Myers am Apparat, wie kann ich Ihnen helfen?“, schoss er bereits los.

      „Guten Tag Dr. Myers. Mike Carrington ist mein Name. Ich wollte nachfragen, ob Sie derzeit vielleicht noch freie Therapieplätze haben.“

      „Handelt es sich dabei um Sie selbst?“, bombardierte er ihn weiter.

      „Nein, es geht um eine Freundin, um die ich mich derzeit kümmere.“

      Ehe Mike weitersprechen konnte, stellte Dr. Myers bereits die nächste Frage.

      „Stehen Sie in einer festen Beziehung zueinander und ist Ihre Freundin bereits clean oder strebt Sie einen Entzug an?“

      Mike wollte gerade ansetzen die ersten Fragen zu beantworten, als er wieder von Dr. Myers mit weiteren Fragen überrumpelt wurde.

      „Möchte Ihre Freundin den Entzug freiwillig anstreben oder helfen Sie gerade mit Druck nach? Ist das ihr erster Entzug oder gibt es bereits schon mehrere Versuche, die gescheitert sind? Was erwarten Sie sich von dieser Therapie?“

      „Dr. Myers“, unterbrach Mike ihn endlich. Er war schon soweit gleich aufzulegen, so sehr nervte ihn dieser Mann. Wie sollte er Catherine helfen können, wenn er nicht einmal zuhören konnte? Er gab ihm nicht einmal Gelegenheit auf seine Fragen einzugehen. War in diesem Beruf nicht das Wichtigste seinen Patienten zuzuhören? Mike zweifelte, dass dieser Doktor der Richtige für Cathy war und hoffte darauf, dass auch er ihm eine Absage erteilen würde.

      „Dr. Myers, darf ich bitte erst einmal antworten, ehe Sie weitere Fragen stellen?“, nachdem keine Antwort, aber auch kein Einwand zu hören war, redete Mike einfach weiter.

      „Es handelt sich dabei um eine gute Freundin, die mit den Drogen aufhören möchte. Derzeit befindet Sie sich in Boston in der Medical Klinik von Dr. Briskow zum Turboentzug. In zwei Tagen wird sie dort entlassen und ich hole sie zu mir nach New York, um sie aus der jetzigen Umgebung herauszuholen und hier einen Neuanfang beginnen zu können. Körperlich ist zwar der Entzug laut Dr. Briskow bereits vorbei, jedoch braucht sie eine begleitende Psychotherapie für den psychischen Entzug und seine Ursachen der Abhängigkeit. Können Sie diese Art der Therapie machen und haben Sie noch freie Kapazitäten, Dr. Myers?“

      „Ja, ja und nochmal ja. Das klingt doch alles sehr vielversprechend. Darf ich nachfragen, wie Sie auf mich gekommen sind?“

      „Ehrlich gesagt gibt es nicht allzu viele Psychologen und Psychiater, die in New York auf Drogenentzug spezialisiert sind und Sie sind bereits der Letzte auf meiner Liste. Es ist mir wichtig, dass sie die besten Chancen für ihren Entzug bekommt und daher gleich von Anfang an unterstützend die Therapie machen kann. Es heißt aber nicht, dass ich sie dazu zwingen möchte. Sie wird entscheiden, ob die Therapie die Richtige für Sie ist oder nicht. Ich möchte daher nur den Erstkontakt herstellen und für den Anfang alles vorbereiten. Alles weitere wird sie dann selbst entscheiden und festlegen.“

      Mike war fest entschlossen auch den Psychologen in seine Schranken zu weisen und ihm nicht das Gefühl zu vermitteln, nur weil er der Letzte auf der Liste war, dass er tun und lassen konnte, was er wollte. Er war auch schneller wieder abgeschossen, wie er dachte.

      „Mr. Carrington, darf ich Sie noch etwas fragen?“

      Mike war erstaunt, dass Dr. Myers sich sofort seinen Namen merken konnte. Er hatte bislang nicht den Eindruck, dass er überhaupt richtig zugehört hatte.

      „Ja, was möchten Sie wissen?“

      „Sie klingen mir nach einem Menschen, der gerne plant und sein Leben fest im Griff hat. Desweiteren kenne ich Dr. Briskow persönlich und halte sehr viel von seinen umfassenden