Simone Stöhr

Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft


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gehalten, wenn Geld im Spiel war. So auch gestern Abend. Nur dann kam alles anders. Mike hatte mich gesucht und auch gefunden. Mir ging es zu dieser Zeit schon schlecht, aber Mike hatte mich gebeten durchzuhalten, da wir morgens schon hierher wollten. Schon das war verdammt hart und ich hatte mir mehrmals überlegt, wie er es schaffen wollte, so schnell einen Klinikplatz zu bekommen. Immer wieder war ich kurz davor abzubrechen, doch diese Frau hat mir geholfen und letztlich hat Mike es doch geschafft. Er schafft meist das, was er sich in den Kopf gesetzt hat. Wie hat er Sie herumbekommen?“

      „Wir haben eine gemeinsame Bekannte, die sehr überzeugend war“, gestand Dr. Briskow.

      „Mike hatte etwas mit ihr, oder?“, vermutete Catherine und die Direktheit verwirrte ihn.

      „Vermutlich schon. Ich habe sie nicht gefragt, aber er sagt ja“, offenbarte er ihr.

      „Ihre feste Freundin?“

      Dr. Briskow schüttelte den Kopf und drehte abwesend an seinem Ehering. „Meine Frau…“

      „Es tut mir leid. Aber warum helfen Sie mir und Mike überhaupt. Es wäre viel logischer, wenn sie uns zum Teufel jagen.“

      „Ich kann sauer auf ihn sein, aber nicht auf Sie. Wenn ich Ihnen meine Hilfe verweigere, breche ich meine eigenen Grundsätze: jedem Patienten, der wirklich aufhören will, zu helfen. Ich habe die Klinik vor 6 Jahren mühsam aufgebaut und war dabei immer meinen Grundsätzen treu. Die Quote der Ex-Junkies, die nie wieder angefangen haben, gibt mir recht. Warum machen Sie seine Affären mit?“

      „Ich habe mit Mike keine Beziehung, falls Sie darauf anspielen. Ich habe mir immer mehr mit Mike gewünscht, jedoch scheine ich so ziemlich die einzige Frau in ganz Boston und der halben Welt zu sein, die nichts mit ihm hatte. Meine Mutter war die Haushälterin und gleichzeitig das Kindermädchen der Carringtons. In den Zeiten, als seine Eltern geschäftlich unterwegs waren, habe ich mit in der Villa wohnen dürfen. Sie können sich vorstellen, dass es bei der Leitung eines Hotelkonzerns nicht gerade wenige Geschäftsreisen gab. Mein ganzes Leben lang wollte ich nichts anderes als diesen Mann! Je mehr ich ihn wollte, desto mehr hatte er sich von mir distanziert. Und damit bin ich nie wirklich klar gekommen.“

      „Sie meinen, Sie haben wegen ihm mit Drogen angefangen?“

      „Gehen Sie doch von sich selbst aus. Sie lieben Ihre Frau und bekommen immer wieder ein neues Verhältnis ihrer Frau mit und können absolut nichts daran ändern. Sie kommen von ihr einfach nicht los und können sie auch nicht daran hindern mit anderen etwas zu haben. Ich habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen als mit Drogen diese Eifersucht zu betäuben.“

      „Haben Sie niemals versucht sich von ihm zu lösen? Mit einer Therapie oder so?“

      „Mit einer Therapie nicht. Aber ich habe so ziemlich alles andere ausprobiert. Ich hatte jede Menge Männer, die mich auf andere Gedanken bringen sollten. Ich hatte sogar eine Phase, in der ich in die Kirche gerannt bin und zu Gott gebetet habe, um von ihm loszukommen. Doch nichts hatten diesen Schmerz in mir vertreiben können. Nur die Drogen gaben mir für eine gewisse Zeit Linderung. Und das war der Anfang vom Ende.“

      „Egal wie viele Geschichten ich höre. Sie fangen unterschiedlich an und enden doch alle gleich. Was mich noch interessiert: Sie sind doch schon sehr lange abhängig. Warum hat er ausgerechnet jetzt nach Ihnen gesucht und will Ihnen helfen?“

      „Wir haben die letzte Nacht sehr lange darüber geredet.“

      Dr. Briskow merkte sofort den zeitlichen Fehler in ihrer Erzählung. Doch er wollte sie nicht unterbrechen. Es passierte vielen, die aus dem Koma wieder aufwachten, dass sie die Zeit des Komas nicht hinzuzählten.

      „Mike denkt momentan viel über sein Leben nach und ich denke, das hängt mit dem Engel zusammen. Jedenfalls hatte er sich für sein Verhalten mir gegenüber entschuldigt und mir auch seine Sicht der Dinge erklärt. Er hatte mich nie als Frau, sondern als Schwester gesehen und gehofft, ich würde meine Verliebtheit aufgeben, wenn wir uns weniger sehen würden. Und nach allem, wie ich ihn kenne, glaube ich ihm das auch. Er konnte schließlich auch nicht wissen, dass es für mich nicht nur eine Schwärmerei war.“

      „Und was hat das mit dem Engel auf sich?“, hinterfragte Dr. Briskow ihre Worte, aus denen er nicht ganz schlau wurde.

      „Das weiß ich auch nicht so genau. Ich habe diese Frau letzte Nacht zum ersten Mal gesehen. Sie spricht nicht unsere Sprache und trotzdem schien sie alles verstanden zu haben. Sie war wie ein Engel letzte Nacht zu mir. Ich war einfach nicht in der Lage zu sprechen, doch sie wusste genau wie es mir ging, was ich brauchte und fühlte. Es war ein komisches und gleichzeitig ein schönes Gefühl so verstanden zu werden. Die ganze Nacht war sie für mich da und das mit einem so liebevollen Selbstverständnis. Wie ein Engel eben. Ich denke, dass sie auch Mike zum nachdenken angeregt hat.“

      Dr. Briskow war sich nicht sicher, ob sie zu jener Zeit des Entzuges gerade fantasiert hatte und sie sich deshalb diese Erinnerung so im Gedächtnis behalten hatte. Denn glauben konnte er es ihr einfach nicht. Dafür klang es zu realitätsfremd.

      Dienstag, 12.08.2008 Medical Klinik Boston, 09:28 Uhr

      Cathy war die Zeit im Krankenhaus sehr zurückgezogen. Sie wollte nicht an den begleitenden Gesprächskreisen und auch bei den gemeinsamen Mahlzeiten nicht teilnehmen. Es störte sie auch nicht. Die abgeschiedene Isolierung in ihrem Einzelzimmer tat ihr gut und viel mehr noch genoss sie die Stille in sich. Sie hatte Frieden mit sich geschlossen und wüsste nicht, wann sie sich je besser gefühlt hätte, als jetzt die letzten Tage. Einzig Mike, der seit Sonntag nichts mehr von sich hören ließ, schlich sich ab und zu in ihre Gedanken und ließ sie wehmütig an ihn denken. In ihrem Verstand ist es mittlerweile angekommen, dass er nie mehr von ihr wollte, wie Freundschaft. Doch ihr Herz war sturer und wollte es einfach noch nicht begreifen. Er hatte sie gesucht. Er hatte ihr einen Entzugsplatz in einer renommieren Klinik besorgt. Er wollte sie bei sich in New York aufnehmen und sich um sie kümmern. Daraus schloss ihr Herz, dass sie Mike nicht unwichtig war und auch er sie liebte. Es wuchs ein Zwiespalt in ihr, den auch ihr Verstand nicht aufhalten konnte. Es gab Momente, in denen sie Mike als Bruder zu sehen versuchte und dann gingen die Gedanken wieder mit ihr durch und sie überlegte, dass Mike durch ihren Willen zur Abstinenz der Drogen beeindruckt sein würde und durch das künftige Zusammenleben mit ihr auch endlich einsehen würde, wie schön es mit ihr wäre und wie gut es ihm tun würde. Ihre Gedanken waren so paradox und doch real zugleich. Daher war sie froh, dass kein anderer sie hören konnte. Gerade als sie wieder mitten in einem geistigen Konflikt ihres Verstandes mit dem Herzen steckte, klopfte es an der Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten öffnete sich die Tür und Dr. Briskow kam lächelnd hinein. Er war ihr in den letzten Tagen ein guter Gesprächspartner geworden und trotzdem schloss sie ihn aus ihren Konflikten mit Mike aus. Mike war ihr persönliches Problem und das wollte sie auch mit niemandem, als mit ihm selbst besprechen. Sie wollte ihm sagen, was sie für ihn empfand und ihm beweisen, dass sie die Frau sein konnte, die er wollte und brauchte. Doch er war eben nicht hier und so war sie mit ihren Gedanken alleine gelassen und musste warten, bis die Tage im Krankenhaus vergingen und sie endlich Mike wiedersehen würde.

      „Hallo, wie geht es Ihnen heute? Wollen Sie heute vielleicht am gemeinsamen Mittagessen teilnehmen?“

      „Es geht mir gut, aber ich wäre gerne alleine.“

      „Ich habe schon verstanden, aber Mr. Carrington hat angerufen. Er lässt ausrichten, dass er bereits nach New York gereist ist, um alle Vorbereitungen zu treffen bis Sie entlassen werden. Er hat für alle Fälle die New Yorker Nummer hinterlassen. Möchten Sie telefonieren? Ich lasse Ihnen gerne das Telefon bringen.“

      „Mike ist schon in New York? Wird er Donnerstag kommen, um mich zu holen?“

      „Er hat von Donnerstag nichts gesagt, aber wie gesagt, wenn Sie wollen, rufen Sie ihn doch an.“

      „Nein, Ich will ihn nicht nerven. Sicherlich meldet er sich noch einmal“, vermutete Cathy.

      „Kann ich noch etwas für Sie tun oder sie vielleicht zu einer gemeinsamen Aktivität überreden?“

      Cathy