Alexander Schöppner

Sagenbuch der Bayrischen Lande


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Schlosse seines Vaters zu Wittislingen. Von hier aus

       besuchte er täglich das nahegelegene Dillingen.

       Manchmal verirrte er sich in dem Ried, Söfe genannt,

       und darum ließ seine Mutter Thietberga um neun Uhr

       ihm zum Zeichen regelmäßig ein Glöcklein läuten. An

       einem Herbstabende hatte er sich verspätet, und um

       auf dem von Regen erweichten Boden leichter fortzukommen,

       zog er einen Grenzpfahl aus und bediente

       sich dessen als Stütze, um über die Gräben zu kommen.

       Er wunderte sich, daß er heute die Glocke nicht

       höre, und zu gleicher Zeit fiel ihm ein, daß er sehr unrecht

       gethan, den Pfahl herauszuziehen, weßhalb er

       mühsam die Stelle, wo er selben genommen, suchte,

       und wieder befestigte. Und jetzt hörte er auch das

       Glöcklein, und kam in Kurzem im Schlosse an, wo

       Niemand geläutet haben wollte, denn es war schon

       Nachts zwei Uhr. Zur Erinnerung an die Begebenheit

       wurde fortan um zwei Uhr in der Nacht ein Zeichen

       mit der Glocke gegeben.

       51. Der heilige Ulrich mit dem Fisch.

       B e r n o vita S. Udalr. in M. V e l s e r opp. p. 617.

       K h a m m Hierarch. Aug. I., 130.

       Einmal saß der heilige Ulrich in stiller Zelle des St.

       Afrastiftes zu Augsburg, vertieft in dem Lesen der

       heiligen Schriften. Da läutete es an der Pforte des

       Hauses, und Konrad, des Bischofs lieber Bruder von

       Konstanz, ward angemeldet. Freudigen Herzens umarmte

       ihn der Bischof, weil er ihn lange nicht gesehen,

       und unterhielt sich mit ihm in vertraulichen Gesprächen.

       Auch wurde ein mäßiges Mahl bereitet, den

       willkommenen Gast zu erfrischen. Während sie noch

       bei Tische saßen, kam ein Bote des Herzogs von Bayern,

       welcher ein Schreiben seines Herrn überbrachte.

       Der Bischof befahl, den Boten auf's beste zu bewirthen

       und ließ ihm, im Augenblicke nicht bedenkend,

       daß Fasttag war, gebratenes Fleisch vorsetzen. Der

       Bote ließ sich das schmecken, und nahm auch soviel

       davon mit auf die Reise, als er konnte. Unterwegs

       aber bedachte er, wie er den frommen Bischof von

       Augsburg in der guten Meinung und Achtung seines

       Herzogs herabsetzen sollte. Also begab er sich mit

       dem noch übrigen Stück von Braten an den Hof und

       zeigte es seinem gnädigen Herrn mit den Worten:

       »Sehet doch her, das sind die Fastenspeisen des from-

       men Ulrich zu Augsburg!« In dem Augenblick aber,

       da ihm das Wort entfahren hielt er keinen Braten,

       sondern einen gebratenen Fisch in Händen, also daß

       er selbst vor Bestürzung kaum seinen Augen traute.

       Der Herzog aber erkannte wohl das Gottesgericht,

       wodurch die Ehre des frommen Bischofs gerettet, die

       Schande des Verläumders aber aufgedeckt worden.

       Der Diener bereute es jedoch von Herzen, einen Heiligen

       Gottes gelästert zu haben, und bat den Herzog

       kniefällig um Verzeihung.

       Zum Angedenken an diese Begebenheit wurde der

       heilige Ulrich allezeit auf Bildwerken mit einem

       Fischlein in der Hand vorgestellt.

       52. Was ein Vaterunser werth ist.

       Von T h e o d o r H o l s c h e r . – Mündlich, u. B.

       M e r t e l u. G. W i n t e r Gesch., Sagen u. Leg. d.

       Bayerlandes I., 64.

       Zu Augsburg an dem Palast des Bischofs steht ein

       Mann,

       Dem wird jedweden Mittag die Pforte aufgethan.

       Dann reicht der Küchenmeister auf seines Herrn

       Gebot

       Dem greisen Bettelmann ein reichlich Mittagbrod.

       Und dieser nassen Auges verzehret das Geschenk,

       Und betet drei Vaterunser des Gebers eingedenk.

       Einst drang manch trübe Mähre bis zu des Bischofs

       Ohr,

       Daß er darob den Frohsinn und alle Ruh verlor.

       Er wandelte, um sich zu erheitern, hinaus in den

       duftigen Mai,

       Da führt ihn seine Straße an dem greisen Bettler

       vorbei.

       »Sieh da,« so sprach Sankt Ulrich, »wie geht es dir

       mein Gast?«

       »Wie immer, Euer Hochwürden,« sprach der Alte

       ernst und gefaßt.

       »Mir geht es nicht wie immer,« entgegnet Jener, »mir

       kam

       So manche Kunde gestern, die alle Ruh mir nahm.

       Vergessen hast du sicher zu beten gestern für mich

       Die heiligen Vater unser, doch speis ich täglich dich.«

       Der Bettler sprach: »o Vater, ich betete gestern nicht,

       Denn euer Küchenmeister der machte ein finster

       Gesicht,

       Als ich erschien, und murrte und wies mich von der

       Thür:

       Such' heut' dein Brod wo anders, heut' findest du

       nichts hier.«

       Und zornig kehrt der Bischof zurück in den Palast,

       Beschied vor sich zur Strafe den Küchenmeister in

       Hast,

       Und sprach: »Sieh' an, welch Elend und welches

       schwere Kreuz

       Du über mich gehäufet durch deinen bösen Geiz!«

       Der Küchenmeister trotzig und allzudreist fragt frei,

       Ob an einem Vaterunser so viel gelegen sei.

       »Was?« ruft entrüstet der Bischof, »du fragst noch

       also kühn?

       Wohlan, du sollst mir nach Roma zum heiligen Vater

       ziehn,

       Den sollst du fragen, wie viel wohl ein Vaterunser sei

       werth.

       Und seine Antwort bringst du, dann sei dir

       Verzeihung gewährt.« –

       Und als er kommt nach Roma in vieler Pilger Chor,

       Geht er zum heiligen Vater und legt die Frag ihm vor:

       Wie viel ein Vaterunser an Gelde wohl sei werth?

       Der spricht: »ein Vaterunser eines güldnen Pfennigs

       ist werth.«

       Der Küchenmeister brachte Sankt Ulrich den

       Bescheid,