Lisa Hummel

Illuminas' Dämonen


Скачать книгу

      Wie alle Jäger der Stadt und ihrem Umland war auch er von den meisten Bewohnern nicht gerne gesehen. Die Menschen sagten, er wäre arrogant, egoistisch und nur auf seinen eigenen Vorteil aus. Die Leute misstrauten ihm. Sie hielten ihn – und die anderen Jäger – für Ausgeburten der Hölle, die mit den Dämonen unter einer Decke steckten.

      Und mittlerweile war Walburga auch eine Jägerin. Zumindest war sie in der Ausbildung. Sie fragte sich, was die Städter über sie eines Tages sagen würden und warum sie so dumm waren. Warum sollten Jäger Dämonen töten, wenn sie unter einer Decke stecken würden?

      „Sag mal, bist du dir sicher, dass wir überhaupt noch richtig gehen?“, fragte Jacque und riss damit nicht nur Walburga aus ihren Gedanken.

      Schon den ganzen Tag waren sie größtenteils schweigend gewandert. Nur das Nötigste hatten sie miteinander besprochen. Es nieselte leicht.

      Morten wandte sich zu ihm. „Wir kommen bald an einen Waldweg, der in einen Pass mündet. Dieser Weg ist der einfachste.“ Er grinste trotz des fiebrigen Glanzes, der in seinen Augen glitzerte. „Was allerdings nicht heißt, dass es ein Spaziergang wird.“

      Jacque verzog sein Gesicht. „Und du bist dir sicher, dass wir uns nicht verlaufen haben?“

      Morten nickte. Jacque betrachtete ihn misstrauisch, entschied sich aber dafür, ihm zu glauben.

      „Glaub mir, nicht mehr lange und wir sind da.“

      „Wann bist du denn das letzte Mal in diesem Kloster gewesen?“, fragte Burkhart.

      Morten dachte nach. „Das ist schon ewig her. Ich glaube, das war kurz nachdem ich die Ausbildung abgeschlossen habe. Lange bevor ich Jacque das erste Mal begegnet war.“

      „Und du bist dir sicher, dass du den Weg nach so langer Zeit noch weißt?“, fragte Walburga.

      Morten verdrehte die Augen. „Zum tausendsten Mal: Ja. Hört endlich auf, mich zu nerven. Ich sage euch schon, wenn ich mich nicht mehr zurechtfinde.“

      „Ist ja gut“, erwiderte sie. „Wir machen uns nur Sorgen.“

      „Braucht ihr aber nicht.“

      Jacque brummte etwas.

      16.

      Oh oh ...“, sagte Morten.

      „Was?“, fragte Jacque.

      Er war angespannt.

      „Das ist nicht gut ...“, murmelte Morten.

      „Was ist denn?“, wollte Jacque wissen.

      Morten betrachtete den felsigen Hang.

      „Hier sollte eigentlich der Pass hochführen, aber es gab einen Erdrutsch. Wir müssen einen anderen Weg finden.“

      „Einen anderen Weg?“, fragte Jacque mit zusammengebissenen Zähnen. „Morten, du bist vergiftet. Wir haben nicht die Zeit, nach einem anderen Weg zu suchen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Heilmixtur im Weinschlauch auch bald aufgebraucht ist. Du überstehst nie und nimmer diesen Weg.“

      Morten sah ihn verärgert an. „Mach dir um mich mal keine Sorgen. Ich schaffe das schon. Mir würde es übrigens viel besser gehen, wenn ihr mir nicht ständig damit auf die Nerven gehen würdet. ,Oh, Morten, du bist so krank, ruh' dich aus.' ,Oh, Morten, wenn du so weiter machst, stirbst du noch'“, äffte er.

      „Wir -“, hob Jacque an.

      Morten bedachte ihn mit einem kalten Blick. Walburga lief es kalt über den Rücken. Sie hatte nicht gedacht, dass Morten so unheimlich, so unbezwingbar aussehen könnte. Nicht einmal im Kampf gegen Nostra hatte er diesen Blick aufgesetzt ... Ob das wohl an der voranschreitenden Vergiftung lag? Er wirkte sonst immer so unbekümmert, so sorglos und gut gelaunt ... Es war schrecklich, ihn so hart und unnachgiebig zu sehen ...

      Burkhart und sie wagten es nicht, etwas zu sagen. Still blieben sie stehen, wie zwei Rehkitze, die sich vor einem üblen Wolf versteckt hielten. Nur keinen Mucks machen, vielleicht würde er sie nicht bemerken und wieder gehen...

      Auch bei Jacque schien der Blick zu wirken. Er schluckte seine Antwort herunter und wandte den Blick ab.

      „Ist gut ...“, murmelte Jacque sehr leise.

      Morten nickte. „Lasst uns gehen. Wir finden bestimmt bald einen anderen Weg.“

      Sie setzten sich schweigend in Bewegung. Walburga wischte sich ihre Haare aus dem Gesicht. Morten mochte vielleicht vergiftet sein und darunter leiden, doch sie alle waren erschöpft. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Erste von ihnen nicht mehr würde weiter gehen können. Sie hoffte, dass sie bis dahin irgendwo Unterschlupf finden würden...

      Sie wollte nicht hier mitten im Wald sterben, wo nie jemand von ihrem Schicksal erfahren würde.

      17.

      „Ich will hier weg...“, jammerte Burkhart.

      Auch Walburga stand unschlüssig da und wusste nicht so recht, was sie sagen sollte.

      Sie waren noch den ganzen Tag gewandert, hatten aber keine Stelle gefunden, an der sie leicht den Hang erklimmen konnten. Der Regen, der in den letzten Tagen mal stärker, mal schwächer vom Himmel geprasselt war, hatte den Boden aufgeweicht und eine Lawine ausgelöst, die den Pass mit sich gerissen hatte. Wahrscheinlich war das mit anderen Pässen in der Nähe genauso geschehen – insofern es denn welche gab.

      Nach stundenlangem – und schweigsamem – Wandern, waren sie zu einem Dorf mitten im Wald gelangt. Im ersten Moment konnten Walburga und Burkhart es kaum glauben. Ein echtes Dorf nach all der Zeit, in der sie keinen einzigen Menschen zu Gesicht bekommen hatten! Sie waren sich nicht sicher, ob sie nicht vielleicht halluzinierten, doch schon nach kurzer Zeit wurde die Freude zu blankem Entsetzen: Das Dorf war verlassen. Niemand war mehr hier.

      „Das ist das Dorf Rhoyul“, sagte Morten. „Hier können wir die Nacht verbringen.“

      Burkhart und Walburga sahen ihn entsetzt an.

      „Aber ...“, sagte Burkhart. „Hier ist es total unheimlich. Hier spukt es mit Sicherheit.“

      Morten zog eine Braue hoch. „Ach was. Hier ist es genauso sicher wie in Manrhay und wie im Wald.“

      „Das glaube ich nicht ...“, murmelte Burkhart.

      „Also gar nicht ...“, murmelte Walburga.

      „Kommt. Lasst uns sehen, ob es hier ein Haus gibt, in dem wir übernachten können. Vielleicht gibt es weiche Kissen, warme Decken und ein solides Dach über dem Kopf.“

      Morten lächelte sie an. Seine Worte klangen verführerisch. Walburga sehnte sich nach nichts mehr, als nach einem Zuber oder einer Wanne, in der sie sich gründlich waschen konnte, nach einem warmen und weichen Bett, in dem sie ihre schmerzenden Glieder ausstrecken konnte und nach einem nahrhaften und leckeren Essen, aber das verlassene Dorf schien ihr eher andere Dinge zu bieten, die nicht gerade von angenehmer Natur wären...

      Die Geschwister blieben stehen. Ein Unwillen, der sich ihrer Muskeln ermächtigt hatte, hinderte sie daran, auch nur einen Fuß in das Dorf zu setzen. Jacque schob sie an.

      „Na los, stellt euch nicht so an.“

      Burkhart schluckte. Er sah sich hektisch um.

      Sie liefen durch die Straßen. Nur das Prasseln des Regens war zu hören. Keine Menschen, keine Tiere, gar nichts. Ein Dorf sollte sich nicht so anhören.

      „Hier ist wirklich keine Menschenseele ...“, murmelte Walburga.

      „Sieht nicht so aus, als würden wir ein Haus finden, in dem wir die Nacht verbringen können“, sagte Jacque.

      Er war vor einem der zum Teil eingestürzten Gebäude stehen geblieben und betrachtete es gründlich. Schutt lag