Günther Seiler

Die Balken biegen sich doch nicht


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reine Umweltbelästigung und sie sagten nur: „Wir schippern im Wind wenigstens umweltfreundlich und leise daher!“ Wenn sie aber auf ihren eigenen Motor im Segler angesprochen wurden, meinten sie: „Der dient nur als reines Hilfsgerät im Hafen und bei Flaute. Hier, mitten im Meer, haben wir aber immer Wind!“ Auch bei den Treffen in den gemeinsamen Clubs herrschte immer zwischen Seglern und Yachtis eine auf nette Art ausgetragene Rivalität. Nun wollten es die Yachtis den Seglern mit ihrem Flattertuch an Bord, das man als Segel bezeichnete, einmal zeigen. Die Idee aus einer Wein- und Bierlaune heraus war, einen Kurs in Französisch Polynesien abzustecken und diesen mit den Yachten, Kraftstoff sparend, in einer Mindestzeit abzufahren. Aus dem Grunde waren die Yachten jetzt vor allen Augen in Yachtgaragen oder unter Persennings und großen Planen versteckt, die nach den Arbeiten wieder darüber gelegt und fest verzurrt wurden. Sie hatten eine Frist für ihre Arbeiten festgelegt und zusammen den Kurs ausgearbeitet. Dann war die Zeit der Veröffentlichung bestimmt worden. Es war einiges an Umbauten an der Yacht erlaubt. Der Motor und die Yachtgröße durften allerdings nicht verändert werden. Abbauten an dem Schiff zur Gewichtsreduzierung waren ebenfalls nicht erlaubt. Jede Yacht war vorher durch Gutachter abgenommen und dokumentiert worden. Man durfte nicht-eingebaute Gegenstände entfernen, den Motor sparsam einstellen und zusätzliche Fahrhilfen, wie Segel einsetzen. Es durften aber keine weiteren Motoren oder Hilfsmotoren, mit welchem Antrieb auch immer, eingebaut werden. Man wollte damit zeigen, durch welche Einsatzmöglichkeiten es machbar wäre, eine herkömmliche große Motoryacht sparsam zu gestalten, ohne dabei an Komfort zu verlieren. Man könnte natürlich eine Crew an Bord nehmen, die zusätzlich paddelten, aber dann kam das Gewichtsproblem der Hilfskräfte zum Tragen und diese mussten auch ernährt werden, was ein weiteres zusätzliches Gewichtsproblem durch Nahrungsmittel hervorrufen würde. Ja, das leidige Gewichtsthema, nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den Yachten konnte das ein Thema sein. Bei dem Begriff Gewicht zogen die Yachtis ihre Stirn in Falten. „Ihr müsst euch und nicht die Schiffe verschlanken“, das sagte scherzhalber der Maler Smidt in einer Besprechung.

      Hubert dachte bei langen Spaziergängen am Strand nach, was er mit seiner Yacht wohl alles anstellen könnte, um den Spritverbrauch zu senken. Alle waren bereits dabei, es wurde gehämmert, geschraubt und gebohrt, als Hubert immer noch nachdachte. Der Hintergrund dieser ganzen Fahraktion war nämlich, dass die reichen Leute im Bunde einen Preis ausgesetzt hatten. Es sollten auch noch Sponsoren gefunden werden, die natürlich auf diese Art und Weise für sich Werbung machen konnten. Das Preisgeld betrug sage und schreibe zwei Millionen Dollar, wovon eine Million für ein Kinderkrankenhaus in Papeete gespendet werden sollte. Hubert wurde schon von seinen Mitbewerbern gehänselt die meinten, ob seine Spaziergänge am Strand was bringen würden, er sollte doch lieber die Ärmel aufkrempeln und endlich anfangen zu sägen. „Von wegen“, dachte Hubert. „Erst nachdenken, dann handeln.“ Schließlich war er in der Fliegerei lange genug tätig und dort galt Sicherheit und Planung als oberster Grundsatz.

      Sie hatten sich bis zum Beginn der Veranstaltung eine Frist von sechs Monaten gesetzt und keiner durfte vorher irgendeine Information preisgeben. Nur die Firmen sollten in dem jeweiligen Segment so viele Informationen, wie für ihre Arbeit nötig war, bekommen. Die Umsetzung und die Gestaltung der Yacht war jedem selber freigestellt. Man konnte die Yacht durch Firmen umbauen lassen oder selber an dem Boot werkeln oder sogar alles so lassen, wie es war. Jede Yacht bekam kurz vor dem Start ein elektronisches Gerät an dem Motor angebaut, der den Dieselverbrauch genau messen sollte. Dieser Dieselwächter wurde von Fachleuten eingebaut, verplombt und sollte nach dem Ende der Regatta abgelesen werden.

      Am Strand brach Hubert plötzlich seinen Spaziergang ab und fuhr in sein Haus an den mit Schiffsunterlagen übersäten Schreibtisch zurück. Er wurde von einer kribbeligen Spannung gepackt. Da es in Europa tiefe Nacht war, brachte er seinen Wusch zu Papier und faxte es an eine große Werft nach Bremen, die ihn von anderen Aufträgen her kannte. Er hatte die Vorstellung, den Motor seiner Yacht auf Gas in einem großen Tank umbauen zu lassen. Den Dieselmotor würde er nur zum Anlassen des Gasmotors gebrauchen. Da der Gasverbrauch ja auch eine Antriebsquelle ist, die zwar umweltfreundlicher als Schiffsdiesel war, aber letztlich auch fossilen Ursprung hatte, wollte er neben dem Umbau ein Großsegel einbauen lassen. Er hatte auf Fotos in einem Schiffsmagazin diese Antriebsart für große Containerschiffe auf den Weltmeeren gesehen. Dort wurde computergesteuert ein großes Spinnaker Segel ausgefahren und hoch in den Wind zum Vortrieb des Schiffes gesteuert und so unterstützte das Segel den Motor. Da der Schiffsdiesel in der Yacht auch mit einem Generator den Strom für die Elektrik hergab, konnte man also den Motor nicht abstellen. „Was tun?“, dachte Hubert. Hier kamen ihm auf dem Schiff installierte Solarzellen in den Sinn, die die Batterien speisen sollten. Er kümmerte sich also um leistungsstarke Batterien. Aber eine Yachtfirma sagte ihm, das würde für die ganze Elektrik mit der Navigation nicht ausreichen. Hubert dachte wieder nach und wie ein Blitz traf ihn der Gedanke, der ihm bei einem weiteren Strandspaziergang, diesmal mit seiner Frau, kam. Er machte sich noch während des Laufens Notizen. Hubert erinnerte sich an sein Flugzeug. Wenn die Elektrik durch einen Defekt in einem Flugzeug ausfiel, wurde eine Art Staurohr unterhalb der Tragfläche ausgeklappt und ein Propeller trieb durch den Fahrtwind in diesem Rohr einen Generator an. Dadurch wurde der Hilfsstrom hergestellt. Nun, der Fahrtwind auf einer Yacht würde so unter normalen Umständen nicht ausreichend sein. Hubert dachte an das gleiche Prinzip des Staurohres, das bei Bedarf an der Bootswand in das Wasser ausgefahren wurde. Durch diese Technik würden die Batterien mit Strom versorgt werden können. Hubert wollte, während das Segel seine Yacht über das Wasser zog, den Motor der Yacht komplett abstellen können. Und so mit möglichst wenig Diesel- und Gasverbrauch das Rennen gewinnen.

      Nun, jetzt waren alle Yachten fertig und lagen unter Verschluss im Yachthafen. Die Presse und das Fernsehen waren informiert, die alle von dem Rennen berichten wollten. Sogar aus Frankreich war ein Fernsehteam angereist. Es ging los und die Teams waren angespannt. Alle Teams hatten genaue Kartenunterlagen und das Navigationssystem sollte sie unterstützen. Der Kurs ging von Papeete auf Tahiti nach Maupti, Rurutu, Tubuali, Totegegie, Reao, Napuka, Manihi und nach Papeete zurück. Dabei wurden die Inseln nur als Eckpunkte genommen und nur im Notfall durfte eine Insel angelaufen werden. Pro Boot waren aus Sicherheitsgründen nur drei Besatzungsmitglieder vorgesehen. Einige nahmen das Gewichtsproblem ernst und fingen zu hungern an, was für Hubert und seine Frau aber nicht in Frage kam. Huberts Frau fuhr mit und ein weiterer exzellenter, einheimischer Segler komplettierte die Crew von Hubert.

      Der nächste Morgen knisterte bei Hubert und seiner Frau vor Spannung. Sie waren schon sehr früh aufgestanden und hatten beide vor Aufregung keinen Hunger. Viel zu früh fuhren sie zum Yachthafen und durften den ‚Park Fermé‘ noch nicht betreten. Das örtliche Fernsehteam hatte schon die Kameras aufgebaut und die Mullerbrüder gaben, locker wie sie waren, schon ein Interview. „Hoffentlich kommen sie nicht zu uns, ich bin viel zu aufgeregt“, sagte Marie zu ihrem Mann und zupfte dabei an ihrem wasserfesten Hochseeoverall. Großer Jubel brandete auf, als das Tor geöffnet wurde. Nach und nach erschienen die Teams, begrüßten sich und wünschten sich grinsend viel Wind unter ihrer Yacht. Marie und Hubert überprüften ihr Schmuckstück, das übrigens ‚Spirit von Morelia‘ hieß. Morelia war Maries Heimatort in Mexiko. Der Bootsmotor wurde angelassen und die große Maschine brummte satt und zufrieden im Inneren der Yacht. Ein kleines Klacken war zu hören und damit sprang nach einer Aufwärmphase die Maschine schon auf den Gasbetrieb um. Am Strand war ein Menschengewusel und wie bei einem Jahrmarktfest herrschte dort schon reges Treiben. Musikfetzen drangen bis hier auf das Wasser. Die Yachten glitten alle langsam in die Startposition und die Mannschaften winkten sich gegenseitig zu und brüllten irgendetwas in den Wind. Ein heftiger Knall ertönte als Startschuss und es ging los. Kein Aufheulen und Losbrausen wie bei einem Autorennen. Es musste zwar eine festgesetzte Gesamtzeit eingehalten werden, sonst drohten Strafpunkte, aber der Hauptgrund war ja der sparsame Spritverbrauch bei dieser Route. Später, auf hoher See, zogen sich die großen Yachten langsam auseinander und man sah jetzt schon das eine oder andere kleine Segel am Bug des Wasserfahrzeuges. Es lag natürlich auf der Hand, dass alle auf irgendeine Art die sich anbietende Windkraft ausnutzen würden. Hubert suchte mit dem Fernglas den Horizont ab und beobachtete genau die anderen Boote. Der Kurs war wie bei einem Flugzeug per Autopilot eingestellt worden und per Satellitennavigation wurde der Kurs vom Bordcomputer gesteuert. Mit Marie war noch José von der Insel Bora Bora auf dem Boot, da die Crew ja aus drei Personen bestehen musste. José war der Sohn