Günther Seiler

Die Balken biegen sich doch nicht


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auf ihn. Diesen Käse holte er selber aus dem Hinterland aus einer hiesigen Käserei. Hubert schloss seine Kneipe auf und einige Stammgäste halfen ihm, die schweren Kisten und die Laibe Käse in sein Lokal zu tragen. Kurz nach dem Öffnen sperrte er zum Lüften alle Fenster auf und der Luftquirl an der Decke nahm langsam seine Runden auf. Eine typische Kneipenkulisse aus Polynesien, sogar die Perlenvorhänge waren vorhanden.

      Hubert stellte die ersten gekühlten Getränke auf den Tresen, als zwei braungebrannte Männer grußlos die Kneipe betraten, was auch hier als eine eklatante Unhöflichkeit galt. Sie zogen sich in die hintere Ecke zurück und schnippten mit den Fingern in Richtung Hubert. Er war ja Kummer gewohnt. Gleichzeitig kamen seine zwei Kneipenhilfen und bereiteten den Käse auf einer Platte für die Gäste vor. Hubert kam an den Tisch und fragte auf französisch, was es sein sollte. Sie bestellten eine Flasche Rotwein und versuchten krampfhaft, eine Seekarte vor ihm zu verbergen. Da Hubert auch ein exzellenter Taucher war, spitzte er die Ohren, gab sich jedoch als Taucher nicht zu erkennen. Hubert holte die Flasche Rotwein, die hier aufgrund der Wärme auf das vorgeschriebene Maß in einem Kühlraum gelagert werden musste. Beim Servieren mit einem stoischen Gesicht schnappte Hubert Tauchkoordinaten auf und tat völlig unbeteiligt. Er hatte eine unbestimmte Ahnung, dass die Beiden etwas im Schilde führten. Die Koordinaten kannte er, es handelte sich um eine gesunkene, spanische Galeere aus dem 17. Jahrhundert. Dieses Wrack lag in einem Wassersondergebiet, das die Vereinten Nationen unter Schutz gestellt hatten. Dort durfte nicht getaucht werden. Hubert ließ sich nichts anmerken. Er ging zum Tresen zurück, wo die Stimmung prächtig war. Dort wurde gescherzt und gelacht und auch einige Deutsche waren dort, die auf ihren Fahrer warteten, der sie zu einer Tour im Jeep in die Lavaberge abholen sollte.

      Hubert kannte diese Art der Tauchräuber, es waren nicht die ersten hier. Er griff zum Telefon in seinem Lagerraum und ein Anruf bei einem befreundeten General des französischen Militärs, den er aus dem Yachtclub her kannte und mit dem die von Ahrenzburg befreundet waren, würde die Lage klären. Die beiden tauchenden, braungebrannten Schönlinge im Muskelshirt lachten diebisch in der Ecke und freuten sich wohl schon auf die vielen Golddukaten, die sie aus der Galeere schleppen würden. Hubert fragte sich manchmal, ob die Tauchtouristen dachten, hier in Papeete würden nur Hinterwäldler wohnen! Es dauerte keine halbe Stunde, als vier Militärpolizisten der französischen Armee mit ihrem Fahrzeug vor der Kneipe hielten und ausstiegen. Sie kannten Hubert und begrüßten ihn herzlich und Hubert zeigte unauffällig auf den Tisch in der Ecke. Die Militärpolizisten gingen gemächlich an den Tisch und baten um die Ausweise der beiden Herren. Was diese nicht wussten, war, dass sie bereits von gutversteckten Unterwasserkameras am Wrack aufgenommen worden waren und anhand von eindeutigen Merkmalen an ihren Tauchanzügen leicht wieder erkannt werden konnten. Die beiden Gäste wurden von der Militärpolizei verhaftet und an den Tresen gebracht. Einer sah Hubert böse an: „Das wirst du bereuen!“ Der ranghöchste Militärpolizist lachte: „Wir haben genügend Beweise gegen Sie, dass Sie beide bereits Gegenstände aus der Galeere aus dem Schutzgebiet mitgenommen haben. Nach dem Überseerecht der französischen Republik sind Tauchräuber bei Galeeren dieses Alters nach gängiger Rechtsprechung mit mindestens dreißig Jahren Gefängnis zu bestrafen. Die werden Sie in Frankreich bis zum letzten Tag absitzen, wo es deutlich kühler als hier sein dürfte. Für das Bedrohen eines Einheimischen werden noch weitere fünf Jahre Gefängnis fällig. Hier gilt eine juristische Sonderzone zum Schutz der Bevölkerung und der Natur und nun zahlen Sie ihre Rechnung.“ Die beiden hätten sich selbst einmal sehen sollen, wie sie plötzlich blass und körperlich zusammengefallen aussahen. Als hätte man aus einem Luftballon die Luft abgelassen. In der Tat wird die Natur hier in Tahiti stark geschützt, denn ansonsten wäre das Paradies schnell zerstört und unsere Enkelkinder sollten ja hier auch noch ihren Urlaub unbeschwert verbringen dürfen.

      Am Tresen des heutigen Spätnachmittags saßen noch zwei Deutsche, Detlef Liebermann, seines Zeichens Muschelsucher aus Passion, und der Insektenhobbyforscher Daniel Menger. Diese beiden waren absolute Gegensätze, nicht nur vom Hobby her, sondern vor allen Dingen von ihrer Mentalität. Sie versuchten sich gegenseitig, von ihrem Hobby zu überzeugen und in den hitzigen Debatten wurden schon einmal andere Gäste als Schiedsrichter bemüht.

      In den letzten Wochen war Hubert nervöser und angespannter als sonst. Er war oft Tage nicht in seiner Kneipe, die Angestellten machten sich Sorgen, was denn los sei und ob er gar krank wäre. Seine Frau vertrat ihn immer des Öfteren und musste sich auch um die Bestellungen und Besorgungen der Kneipe kümmern. Sogar die Käselieferungen holte sie persönlich vom Flughafen Faa ab, etwas, was sich sonst Hubert nie nehmen ließ. Es war sein Steckenpferd. Auch die Thekengäste sorgten sich schon um Hubert und diese waren nicht gerade zart besaitet. Man sah ihn in Papeete immer öfter in Baugeschäften, bei Handwerkern und aus Europa kamen merkwürdige, längliche, sperrige Pakete an. Seine Yacht war auch immer mit einer riesigen Plane zugedeckt. Wenn er in der Kneipe wieder seinen Dienst versah, war eines klar: krank sah er nicht aus. Er pfiff zum Teil vergnügt vor sich hin. Dann aber war er wieder angestrengt, zeichnete und telefonierte Stunden in seinem Büro. Irgendwas war hier im Busch. Die bisherigen Kneipengäste, Freunde von Hubert, kamen auch immer seltener. Es waren zwei Brüder aus Australien, sehr reiche Leute, ein Amerikaner, auch sehr reich, ein hiesiger Politiker, man konnte sagen, ebenfalls sehr reich, und ein Maler aus dem Elsass, der sich hier niedergelassen hatte. Durch seine Bilder war er sehr bekannt und auch sehr reich geworden. Wenn man Hubert mit diesen reichen Leuten vergleichen würde, war er so arm wie eine Kirchenmaus, die nicht einmal ein Stück Käse zum Leben hätte, obwohl Hubert zusammen mit seiner Frau schon auf gute schwarze Zahlen jeden Monat auf dem Bankauszug blicken konnten. Also, in diesem Pool der Reichen wäre zuerst der amerikanische Ölmagnat Paul Wilston zu nennen. Er kam aus Texas und verfügte über eine Anzahl Ölfelder, wie andere Menschen Haare auf dem Kopf hatten, nun ja, wie die meisten Menschen. Dann kamen die zwei Australier, einmal Rupert Muller, seines Zeichens Industrieller aus Sydney und sein Bruder Charles Muller, ebenfalls aus Sydney, ein Finanzmagnat, anders konnte man deren Reichtum nicht beschreiben. Unter diesen Herren in dem exklusiven Wirtschaftsclub war neben Hubert noch eine Ausnahme zu vermelden, was allerdings für die Weltoffenheit der zugereisten Herren auf Tahiti sprach. Der französische Maler und Bildhauer aus dem Elsass, Henry Smid. Seine Bilder waren die reinsten Kompositionen von Farben, die die Stimmung hier auf den verschiedensten Inseln in Französisch Polynesien so wunderbar wiedergaben. Wenn man die Werke mit den wunderbaren zarten und dann wieder kräftigen Farben betrachtete, so hatte man das Gefühl, am Strand zu stehen und durch die Palmen auf das im Vordergrund leicht und kräftig werdende türkisfarbene Wasser zu schauen. Im Horizont wurde das Wasser tiefblau. Man hörte förmlich die fröhliche, unbeschwerte Musik der lachenden Einheimischen. Einfach phantastisch. Seine bildhauerische Kunst mit Steinen und Holz musste man gesehen haben. In diesem Bunde der unterschiedlichen Herren war auch Hubert von Ahrenzburg zu nennen und der einheimische Politiker, Mantanilu Evujela, der sich anschickte, der nächste demokratisch gewählte Vertreter in Französisch Polynesien zu werden. Nun aber hatten alle diese Herren neben ihren beruflichen oder schöpferischen Tätigkeiten seit geraumer Zeit hektische und wichtige Arbeiten entweder selber zu erledigen oder von Fachleuten erledigen zu lassen, je nach Geschick oder Zeit. Auch bei den Adressen dieser Herren kamen mal aus Australien, Amerika oder Europa heiß ersehnte Fracht in Form von großen Paketen und sogar kleinen Containern an. Die Australier ließen sogar Fachleute samt den Paketen einfliegen. In geheimnisvoll abgeschotteten Domizilen wurde bis in die Nacht gewerkelt und schwer gearbeitet. Alle Herren hatten bei diesen Arbeiten etwas gemeinsam, sie waren wortkarg, und alles wurde mit einer Plane für die Blicke anderer unsichtbar verschlossen.

      Die von ihnen selber angesetzte Karenzfrist war nun endlich vorbei und sie trafen sich alle in der Kneipe bei Hubert und waren wie ausgewechselt im Vergleich zu den letzten Wochen. Es wurde wieder miteinander gescherzt und gelacht und sie wollten ihr Geheimnis vor der Welt endlich lüften. Dazu waren in der Kneipe sogar Journalisten der örtlichen Zeitung sowie ein Fernsehteam vor Ort.

      Aber der Reihe nach. Im Frühjahr hatten sie alle bei Hubert in der Kneipe alleine zusammengesessen, die anderen Gäste waren schon lange gegangen und der beginnende Morgen hatte sich angekündigt. Die Luft war lau gewesen und aus einer Bierlaune heraus hatten sie eine Idee gehabt. Sie alle verfügten über große Motoryachten und sie alle waren begeisterte sogenannte Yachtis. Bei den Seglern waren sie nicht so gut angesehen. Die Segler rümpften die Nase, wenn ihre schweren Yachtmotoren