Günther Seiler

Die Balken biegen sich doch nicht


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aber schon sehr deutlich bemerkt. „Haben Sie keine Familie, keine Frau?“, hatte stattdessen Susanne sehr offen gefragt. Er hatte traurig den Kopf geschüttelt: „Nein, aber das habe ich mir mit meiner Arbeit so ausgesucht. Etwas anderes! Können Sie mir ein Zimmer für die erste Zeit empfehlen, ich werde mir wohl später eine größere Ferienwohnung suchen oder, wenn es mir hier sehr gefällt, ein großes Haus für mich und einen Anbau mit Wohnungen bauen, damit meine Mitarbeiter für Projekte hier auf der Insel in meiner Nähe sind und nicht jeden Morgen auf dem Festland im Straßenverkehr stecken bleiben. Natürlich nur immer für eine begrenzte Zeit, denn sie haben im Gegensatz zu mir Familie.“ Gundula Hermine war neben ihrer menschlichen Ader nun auch einmal Geschäftsfrau und hatte ihm nach kurzem Überlegen folgendes unterbreitet: „Sie können bei mir ein Zimmer haben. Ferienwohnungen habe ich nicht, aber das größte Zimmer wurde jetzt frei und ist ca. 80 Quadratmeter groß, mit Balkon und ein Fahrrad gehört zur Miete dazu. Sehen Sie sich das Zimmer an und entscheiden Sie selber. Sie können ja, wenn Sie eine Wohnung auf der Insel finden, umziehen. Hier gibt es aber nicht allzu viele Wohnungen, die wie auf dem Festland für immer gemietet werden können. Es sind in der Mehrzahl kleine Ferienwohnungen.“ Er erhob sich wie ein alter Mann, dabei war er erst Mitte Vierzig. Susanne hätte ihn fast vor Mitleid gestützt. Gundula Hermine Dorfler ging mit ihrem neuen Gast in den Wohnungstrakt. Susanne und Engelbert mussten wieder an die Arbeit. „Das glaubt mir heute Abend keiner in meiner Häkelgruppe“, sagte sie im Weggehen mehr zu sich selber. Engelbert lachte ihr hinterher und dachte:" Entweder war das eben Erlebte alles echt oder wir sind einem besonders gerissenen Scharlatan aufgesessen." Engelbert nahm die Visitenkarte mit und ging in sein Büro. Hans Dieter Balje ging es schon ein wenig besser. Er besichtigte langsam und noch wackelig auf den Beinen die Zimmer und entschied sich für das vorhin angebotene große Zimmer. Sie gingen in das Büro im Café zurück und hier wurde der Preis ausgehandelt. Hans Dieter wollte für ein viertel Jahr im Voraus buchen und zahlte den gesamten Betrag mit seiner Bankkarte. Derweil sah Engelbert nach den Informationen auf der Visitenkarte im Internet nach und dort fand er alle Angaben bestätigt. Da aber Kapitän Engelbert von Ritter sicher gehen wollte, rief er seinen örtlichen Bankbetreuer an. Dieser kannte den Kunden aus seiner Zeit in der Frankfurter Zentrale seiner Bank. Engelbert war noch nicht zufrieden und bat den Bankberater in der Mittagspause in das Café zu kommen. Er bekäme Kuchen und eine Kanne Kaffee und so ganz unauffällig und nebenbei sollte er sich den neuen Gast anschauen. „Ich komme gleich mit dem Fahrrad“, sagte er und der Hörer des Telefons wurde aufgelegt. Engelbert informierte über Haustelefon seine Schwester und diese verstand nur Bahnhof. „Ich will nur sichergehen, ob das alles mit dem neuen Gast so stimmt oder ob wir da ein Märchen aufgetischt bekamen. Es macht mich stutzig, wenn ein Neuankömmling, ohne die Insel groß gesehen zu haben, hier gleich ein Haus mit Wohnungen für seine Mitarbeiter bauen lassen will, die er immer am Freitag von Frankfurt nach Baltrum einfliegen lassen will. Ob das wohl alles stimmt?“ Gundula verstand und lud den neuen Mieter zu einer Kanne Kaffee mit Kuchen auf Kosten des Hauses ein und dieser willigte ein: „Für mein Gepäck soll ich eine Telefonnummer anrufen, damit sie wissen, wohin der kleine Transportcontainer geliefert werden soll.“ „Transportcontainer?“, rief erschrocken Gundula unwillkürlich. „Keine Angst, ich brauche meine zehn Computer und die Geschäftsunterlagen, die meisten habe ich auf Datenträgern.“ Jetzt war es an Gundula, einen Engelbert Speziale zu verlangen. Als sie in das Café kamen, war schon alles für den Gast gedeckt.

      Die Tür öffnete sich und der Bankberater schüttelte sich den Regen aus dem Fahrradumhang. Er machte seine Sache sehr gut, denn er zog den Umhang in der Türfüllung aus, grüßte allgemein und steuerte den Fenstertisch an. Hans Dieter Balje bemerkte ihn und rief laut aus. „Nanu, Herr Uphusen, was machen Sie denn hier, sind Sie zur Kur aus Frankfurt gekommen?“ Jürgen Uphusen blickte sich erstaunt um. „Guten Tag Herr Balje, Sie machen Urlaub und das auf einer Insel?“ Hans Dieter Balje setzte sich zu Jürgen Uphusen, seinem exzellenten Anlageberater einer Frankfurter Bank. Jürgen Uphusen rieb sich die kalten Hände. „Mir wurde die Filiale hier in Baltrum angeboten. Meine Frau und ich lieben Baltrum, denn wir waren oft als Gäste hier. Die Luft, die Ruhe und keine Autos! Man steht morgens nicht mehr im Frankfurter Stau. Das Einzige was mich neben der Bank an Frankfurt erinnert, sind die Frankfurter Würstchen. Hier auf Baltrum ist schon ein ganz anderes Arbeiten.“ Sie unterhielten sich angeregt und Jürgen Uphusen entschuldigte sich für einen kurzen Augenblick und ging durch den Gang in die Kneipe, um Engelbert aufzusuchen. Der sah ihn mit großen Augen an. Jürgen Uphusen war ebenfalls ein sehr großer Mensch und konnte demnach Engelbert anblicken, ohne das Engelbert wie bei den meisten seiner Zeitgenossen den Kopf nach unten drehen musste. „Das stimmt alles. Es ist Hans Dieter Balje, Multimillionär, Inhaber und genialer Entwickler der Computerfirma gleichen Namens. Herzlichen Glückwunsch! Denn er ist immer auf der Suche nach dem Machbaren und ist ein Hausinvestor wie es im Buche steht. Dem gehören jede Mengen neuartige Studentenwohnheime in großen Unistädten. Und was heute kaum jemand noch möchte, Wohnklötzer von zwanzig bis fünfzig Stockwerken in der Vermietung. Alles vom Zustand erste Sahne.“ Er sagte weiterhin: „Engelbert, wenn ich diesen Kunden bekomme, zahle ich dir deinen Fischkoch nach deiner Wahl.“ Damit war sein Bankberater schon wieder aus der Kneipe und Engelbert kochte sich vor Freude eine Kanne Kamillentee. In die Tasse ließ er ein Stück Ostfriesen Kluntjes plumpsen.

      Engelbert aber dachte schon an das bevorstehende zu planende Fischessen in der Kneipe und in dem Café. Natürlich hatte die Kneipe eine Küche mit allen Schikanen. Die Aussage zu den Bockwürsten mit Senf stimmte insoweit, da Engelbert als Kapitän zur See gefahren war und ein Kapitän nicht kochte, schließlich gab es dafür den Schiffskoch. Das bedeutete nun aber auch, dass sich die Engelbertsche Kochkunst auf das Öffnen von Wurstdosen beschränkte und da die heutigen Wurstdosen eine Lasche zum Öffnen haben, schaffte er es, die Dose auch ohne große Verletzungen zu öffnen. Früher trug er nicht nur die heißen Bockwürste in sein Lokal, sondern nebenbei auch noch einen Fingerverband. Auch heute galt noch, für die im Wasser geplatzten Bockwürste zahlte der Gast die Hälfte des Preises. Den Kartoffelsalat gab es schließlich fertig in Eimern und der schmeckte sogar sehr gut, meinte zumindest Engelbert, womit er Recht hatte.

      Die Küche insgesamt auf der Insel Baltrum war gut bis sehr gut und Engelbert lag es fern, seinen Kollegen und Mitkonkurrenten, was das Essen anbetraf, deren Gäste abspenstig zu machen. Da gab es aber kleine Einschränkungen, denn Engelbert aß gerne Fisch und kannte sich, als Gast natürlich, damit gut aus. Er kannte Fischrestaurants auf der ganzen Welt und war schlecht gelaunt, wenn er in einem Lokal viel Geld hinlegen musste und dafür eine mäßige Küche serviert bekam. Also beschloss er mit seiner Schwester bei einer heißen Kanne Lindenblütentee mit Kluntjes: „Wir werden hier selber aktiv.“ Natürlich nicht kontinuierlich, sondern als Veranstaltung. Dies konnte einmal oder mehrmals im Jahr sein, wie es gerade so passte und man einen guten Fischkoch engagieren konnte. Wenn er denn mal einen Urlaub auf dem Festland bis nach den Niederlanden oder sogar bis Bayern antrat, wurde es ihm sehr schnell langweilig und suchte sich im Urlaub eine Aufgabe. Er ging Fischessen und wenn es ihm schmeckte, wenn alles andere passte, konnte es sein, dass der Fischkoch oder die Fischköchin für eine lange Woche auf Baltrum ein bezahltes Wohnen mit kostenloser, frischer Seeluft verbringen durfte. Das Honorar konnte sich sehen lassen.

      Jetzt war es wieder soweit. In der nächsten Woche würde ein Fischkoch aus Tirol in Italien erscheinen. Die Plakate waren gedruckt und wurden heute noch im Laufe des Tages an der Kneipe und an dem Café aufgehängt und aufgestellt. Früher hatte er Werbung im Inselteil der Zeitung geschaltet. Jetzt war das Restaurantkontingent innerhalb von kurzer Zeit vergeben und es kamen sogar Festlandsgäste nur zum Fischessen auf die Insel. Da keine Fähre mehr so spät zurückfuhr, hatten die Hoteliers zusätzliche Übernachtungsgäste. Generelle Jahresvorbestellungen nahmen sie aber nicht mehr an. Da das Fischessen derart delikat und köstlich war und sich der Koch seiner Verantwortung stets bewusst war, wurde Wert auf sehr gute Qualität von Fisch, Gemüse und Kartoffeln gelegt. Engelbert hatte nichts gegen Experimente, die nahm er gerne an, wenn sie schmeckten. Sie sollten aber nicht zu überdreht sein. Denn das mochten die meisten Gäste nicht. Es hatte auch schon eine Situation gegeben, wo alles besprochen und die Speisekarte gedruckt war. Die Plätze waren völlig ausgebucht gewesen und der Kochmaestro war mit der letzten Fähre angekommen, aber auf dem Festland zu viel Rumgrog getrunken hatte. Er hatte sich seine Küche angesehen und vor Ärger los gebrüllt. Die Küche wäre ihm zu klein, das Kochgeschirr