Günther Seiler

Die Balken biegen sich doch nicht


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ein ganz lieber Mensch und wusste ja, wo der Koch, der wirklich gut war, herkam. Auf Baltrum ging alles gemütlich zu und man hörte so gut wie nie einen Menschen brüllen. Engelbert hatte sich den wie einen Derwisch aufführenden Fischkoch angesehen, seinen von ihm geliebten Kamillentee ausgetrunken, war aufgestanden, hatte wortlos den Koch am Schlafittchen genommen und ihn vor die Tür getragen. Und dann war der Brüller von Engelbert gekommen, von dem die Einheimischen heute noch erzählen. „Und die Möwen kreischen hier auch wohl anders als in deinem Kaff in Ostfriesland, oder wie?“, hatte Engelbert seinen Fischkoch angebrüllt, der ganz erschrocken zu ihm aufgesehen hatte. Damit hatte er den Koch in die volle Regentonne gestellt - und draußen war es kalt gewesen. Was sollten Engelbert und seine Schwester nun machen, beide konnten nicht kochen. Er hatte aber einen alten Freund von der Seefahrt hier auf der Insel und der war unter Engelbert als Koch und gefahren schon war die Rettung da gewesen.

      Also, im Ort wurde aktuell schon gemunkelt, dass es jetzt irgendwann wieder mit dem Fischessen bei Engelbert losgehen sollte. Die Plätze waren begehrt wie teure Opernkarten, obwohl der Fisch von Donnerstag bis Montag jeweils um 20 Uhr serviert wurde und Einlass mit einem Aperitif war immer ab 18 Uhr. Die Konkurrenz war in dieser ungewissen Zeit des Fischessens bei Engelbert schon ganz kribbelig, denn auch dort fragten die Gäste nach, wann es denn wieder den guten Fisch bei Engelbert geben würde. Die Konkurrenz konnte nur mit den Schultern zucken und sagen: „Wir haben auch eine gute Fischküche.“ „Ja, ja“, sagten einige unerschütterliche Gäste, „aber nicht so eine gute Küche wie bei Engelbert. Hier kocht immer derselbe Koch und dort kommt jedes Jahr ein anderer Fischkoch. Wie der Engelbert das mit seinen wechselnden Köchen bloß immer so schafft?“ Der Konkurrenz blieb nichts anders übrig, als eine dicke Zornesader zu bekommen und wortlos in die Küche zu gehen, um dort an unschuldigen Töpfen und Pfannen Dampf abzulassen.

      Engelbert und seine Schwester Gundula Hermine nahmen heute um 16 Uhr die heilige Handlung der Plakatenthüllung mit dem lang gehüteten Geheimnis vor, was denn wohl diesmal an Fisch angeboten werden würde. Sie stellten die Schilder auf und dort standen in großen Lettern der Termin und der angebotene Fisch der Saison. Als Vorspeise gab es mit Nordseekrabben gefüllte Regenbogenforellenfilets und geräucherte Aalröllchen in Dillsauce, als Hauptgericht den Moronidae, den Wolfs- oder Streifenbarsch auf Kartoffelstampf. Als Nachtisch wurde ein raffinierter Cocktail aus verschiedenen Fischhappen und mit frischem, selbst gemachtem Eis mit Sahne serviert. So, als wenn man Möwen füttern würde, kamen auch schon die ersten Gäste um zu sehen, was es wohl geben würde und was es denn Schönes sei. Früher schrieb man das Rezept vom Plakat ab und ging zum Telefon nach Hause. Heute hatte man ein Handy, machte ein Foto vom Plakat und verschickte dieses an Bekannte auf dem Festland oder auf eine andere der ostfriesischen Inseln. Engelbert goss sich aus der Kanne auf dem Warmhaltestövchen einen Becher Kamillentee ein, in Wirklichkeit sein sehr großer XXL-Becher. Böse Zungen behaupteten, er tränke den Kamillentee immer direkt aus einer Kanne. Er ging nachdenklich mit dem Becher an das Fenster und sah die Touristen vor seinem Plakat stehen. Es vergingen keine zehn Minuten und schon hatte er die erste telefonische Tischbestellung für den Sonnabend nächster Woche für, sage und schreibe, zwanzig Gäste aus München bekommen. Die moderne Technik machte es eben möglich. Nach dem Notieren und der Bestätigung der Reservierung, nach dem Preis fragte der Anrufer erst gar nicht, musste Engelbert Gundula über das Haustelefon von dieser Tischbestellung berichten, worüber sie sich sehr freute. In diesem Augenblick kamen weitere Touristen und auch Einheimische in die Kneipe und baten um Tische für den Sonnabend und den Sonntag. Das Wochenende war naturgemäß immer sehr beliebt und, was sollte man machen, wenn alles ausgebucht war, blieb ja noch der erste Tag, der Donnerstag. Engelbert hatte sich diesmal aber etwas Besonderes ausgedacht. Es war wie bei dem Zirkus in der Stadt. Wenn die Nachfrage übergroß war, wurden die Plakate überklebt und die Verlängerung des Gastspieles somit offiziell von der Direktion höchstpersönlich angekündigt. Sie hatten vor, notfalls den Montag und auch den Dienstag der Folgewoche zu nehmen, denn der Koch blieb auf eigene Kosten für weitere drei Wochen auf der Insel. „Da ist ja noch Potenzial ungeahnten Ausmaßes in der Sache“, dachte Engelbert bei sich und nahm einen Schluck Kamillentee. Der Lieferant könnte genügend frischen Fisch besorgen, wie er augenzwinkernd sagte. Unter den Touristen war auch ein Einheimischer, der einige Tische gleich komplett reservieren wollte, was Engelbert aber doch nicht wollte. „Hier wird keine Butterfahrt verramscht, sondern hier wird eine kulinarische Köstlichkeit kredenzt und deswegen soll es so sein, dass ich nicht mehr als zwanzig Anmeldungen pro Abend annehmen werde.“ Diese Zahl fiel ihm plötzlich aufgrund der Münchener Reservierung ein. Sein Lokal wurde für diese Zeit auch zusätzlich mit Tischen bestückt und der Schankbetrieb endete spätestens um sechzehn Uhr. Dann mussten alle Gäste das Lokal für den Umbau verlassen haben, denn nach zwei Stunden ging es los und bis dahin musste alles fertig sein. Engelbert hatte Helfer aus dem Ort engagiert und jeder Tisch hatte seinen festen Platz, das wurde schon in den Jahren davor mit Erfolg geprobt. Pannen kamen ohnehin von alleine ohne jedwede Anmeldung. Doch die Insulaner waren besonnene Leute, dann musste man eben etwas länger auf sein Essen warten, es lohnte sich ja in jedem Fall. Zum Essen gab es erlesene Weine aus einer Sonderweinkarte passend zum Fisch. Weil Engelbert gut zu tun hatte - es klingelte nun ständig neben dem Festanschluss zu allem Stress auch noch sein Handy - übernahm Gundula das Büro mit dem Festanschluss für die Tischbestellungen und Engelbert setzte sich mit einem Block und einem Stift zu seinem Stövchen an das Fenster und nahm die Bestellungen auf dem Handy an. Dabei verständigte er sich mit Handzeichen über die Tische und nur die Tage wurden laut gerufen. Ein Gast kam in die Schankstube, setzte sich an den Tresen, blickte wie bei einem Tennismatsch immer hin und her, von einem zum anderen und sagte: „Was ist denn hier los, sind wir hier auf der Börse oder kauft ihr auf einer Auktion in Amerika Rinder auf?“ Engelbert bekam den Spruch seines Gastes mit und prustete in sein Handy. „Nur eine terrestrische Störung“, bemerkte Engelbert beschwichtigend zum Handyanrufer. „Wir leben eben auf einer Insel.“ Als er nach der Bestellung aufgelegt hatte, lachten er und sein Gast lauthals los. Das Handy war aber humorlos und klingelte schon wieder laut und fordernd.

      Kurz vor der Kneipenöffnung am Tag nach der Plakataufstellung waren schon einige Gäste an dem Kneipengebäude und suchten Schutz vor dem Regen, der durch den Wind ziemlich schräg gegen das Haus fiel. Es war ein feiner, unangenehmer und gleichmäßiger Regen, der immer wieder von Windböen unberechenbar abgelenkt wurde. An den Scheiben liefen die Wassertropfen langsam herunter, manche vereinigten sich zu einem kleinen Rinnsal zum unteren Fensterholm. Die Inselgäste, die unerschütterlich am Strand spazieren gingen, hatten die Kapuzen hochgeschlagen und nahmen die typische Haltung gegen den Wind gebeugt ein. Engelbert hatte schon vorher seine Gäste an dem Haus stehen sehen und öffnete früher als gewohnt seine Kneipe. An dem Tresen hatte er ein großes Schild mit der Aufschrift gehängt: Für das geplante Fischessen sind nur noch Plätze am Donnerstag frei.

      In der Musikanlage spielte leise von irgendeinem Radiosender eine maritime Männergruppe Seemannslieder und als Engelbert aufschloss und die Gäste mit einem freundlichen „Moin, Moin“ begrüßte, hörte er Gemurmel, wie 'Sauwetter, mistiger Regen, da buche ich hier Urlaub und Regen habe ich zu Hause.' Engelbert kannte seine Pappenheimer und rief laut und vernehmlich in die Kneipe: „Leute, seid nicht verdrießlich, ich hörte gerade im Radio, auf den Bahamas schneit es, also wir kennen kein schlechtes Wetter, sondern nur schlecht gelaunte Menschen, der Tee ist angerichtet, der Kamillentee ist heiß und der Grog und Glühwein sind dabei, die richtige Temperatur zu bekommen. Nicht drängeln, hier kommt jeder ran.“ „Den Kamillentee trink man selber, ich brauche einen starken Grog, du weißt ja, Wasser kann, Rum muss.“ Der das sagte, wurde hier nur 'der Tüftler' genannt. Es war ein richtiger Professor und hatte zweimal den Doktorgrad, obwohl ein Gast einmal sagte, ein Doktor müsste doch an sich reichen. Dieser Gast setzte sich wie immer an seinen Fensterplatz in der Ecke und hatte auch wie immer Zeichnungen, Stifte und leere Blätter mit. So wie ein Maler auf Motivsuche. Der Tüftler wollte mit den Kneipengästen nicht viel zu tun haben, genoss aber die Menschen in der Kneipe mit ihrem Gerede und sie störten ihn in seiner Arbeit überhaupt nicht. Engelbert hatte den Grog für ihn schon vorbereitet, von wegen Pappenheimer und so. Als er ihm den Grog brachte, sagte Engelbert: „Na, Tüftler, was planst du nun schon wieder, willst du die Weltachse verändern und die Weltumdrehung verlangsamen, damit wir alle älter werden?“ Der Tüftler sah kurz hoch und war mit seinen Gedanken schon ganz woanders. Es handelte sich um Herrn Professor Doktor