Urs Rauscher

Die Zweitreisenden


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riesigen Schmerz im halben Körper, aber kein Vibrieren mehr. Es war dunkel. Aber nicht ganz dunkel.

      Es ist dunkel, weil wir diesmal wirklich tot sind, dachte Martin.

      Es ist dunkel, weil diesmal wirklich der Strom ausgefallen ist, dachte Benjamin.

      Es ist dunkel, weil unsere Augen nicht richtig sehen können, sagten sie sich gleichzeitig.

      Martin blinzelte. Es blieb dunkel und das wenige Licht, das er sah, waberte umher.

      Benjamin blinzelte. Es blieb fast ganz dunkel und die paar Sonnenstrahlen, die er ausmachte, kamen ihm verschwommen vor.

      Irgendetwas an meiner Haut ist anders, dachte Martin. Sie fühlt sich nass an.

      Irgendetwas an meiner Haut ist anders, dachte Benjamin. Sie fühlt sich mal kühl und mal warm an.

      Sie versuchten sich zu bewegen. Jede Bewegung war unendlich zäh.

      Die Raumkapsel vibriert so sehr, dass sie sich anfühlt wie ein Tauchgang in einem lichtarmen Bad, dachte Benjamin.

      Die Raumkapsel vibriert so sehr, dass sie sich anfühlt wie Schnorcheln in einer mondlosen Nacht, dachte Martin.

      Alles nur Schwingungen, dachte Martin. Gleich sind wir auf dem Alex.

      Ich hätte kein Koks nehmen sollen, dachte Benjamin. Dann sähe der Alex ganz anders aus.

      Zeitreisen sind nur der Anfang, dachte Martin. Das hier ist eine Dimensionsreise.

      Zeitreisen sind anstrengend, dachte Benjamin. Und nass.

      Man kann nicht zum Alex gelangen, indem man in den Wannsee fliegt, dachte Benjamin. Experimentelle Logiker haben Recht.

      Man kann nicht atmen, wenn man unter Wasser ist, dachte Martin. Biologen haben Recht.

      Plötzlich fingen sie wie wild an zu paddeln. Als sie an der Wasseroberfläche waren, prusteten und schnauften sie.

      Der Wannsee sieht komisch aus, dachte Benjamin. Die Uferbäume hatte ich auch anders in Erinnerung.

      Dieser Baggersee ist merkwürdig, dachte Martin. Sein Strand ist gelb statt kiesfarben.

      Ich habe nur auf einer Körperseite Schmerzen, dachte Benjamin. Die Raumkapsel schießt die Wasseratome in eine Richtung zu schnell.

      Ich habe nur auf einer Körperseite Schmerzen, dachte Martin. Ich bin aus der Raumkapsel rückwärts gegen die Wasserwand gefallen.

      Ich bin aus vielen Metern auf mit dem Bauch auf der Wasseroberfläche aufgekommen und eingetaucht, fasste Benjamin beider Gedanken zusammen. Hier ist ein exotischer Strand mit gelbem Sand und Palmen. Dies ist die verdammte Schuld von Nick oder ein Fehler im System, aber ich kann trotz meiner Schmerzen und meiner Schnappatmung schwimmen und meinem Freund, der durch denselben Fehler aus vielen Metern mit dem Rücken durch dieselbe Wasseroberfläche gebrochen ist, von der Rückenlage in die Brustlage helfen.

      Sie waren ungefähr fünfzig Meter vom Ufer entfernt. Da sie Kleidung und Schuhe anhatten, brauchten sie eine gefühlte Ewigkeit, bis sie auf dem Sand zum Liegen kamen. Sie stöhnten und keuchten. Martin spuckte Salzwasser aus, Benjamin pustete sich Rotz aus der Nase. Sie robbten den Strand ein paar Meter hoch und kamen atemlos zur Ruhe. Ihre Köpfe fielen in den Sand, der sofort an ihren nassen Haaren zu kleben begann.

      Beide konnten sie den jeweils anderen heftig atmen hören. Martin wimmerte wegen seiner Rückenschmerzen, Benjamin ließ einen langgezogenen Laut erschallen, weil seine Brust brannte wie Hölle.

      Nach einer Weile, sie hatten immer noch kein Wort gesagt, bemerkten sie, dass die Luft unglaublich heiß war. Die Sonne brannte auf ihrer Haut, ihre Kleidung begann zu trocknen. Eine Salzkruste bildete sich auf ihren Händen und Hälsen, und die Haare waren schon fast wieder trocken. Innerhalb kürzester Zeit begannen sie zu schwitzen.

      Sie vernahmen das Gekreische von Tieren, das Rauschen des Windes in den Palmen und das beharrliche Brausen der Brandung. Über ihnen zogen Vögel ihre Kreise. Es ging ein leichter Wind, der aber warm war wie Luft aus einem Föhn.

      „Alles okay?“, fragte Benjamin, auf dem Rücken liegend.

      „Geht schon“, antwortete Martin, auf dem Bauch liegend.

      Mike kann nicht rechnen, dachte Martin.

      Nick kann nicht tippen, dachte Benjamin.

      „Mann!“, stieß Benjamin aus.

      „Okay, okay“, sprach sich Martin gut zu und betrachtete die Hände.

      Benjamin rollte sich auf die Seite. Martin versuchte, auf die Knie zu kommen, musste aber aufgeben.

      Benjamin rubbelte sich Sand aus den Haaren.

      Martin strich sich die Sandkruste von Backen und Stirn.

      „Ich muss das alles nochmal überdenken“, sagte Benjamin.

      „Was?“

      „Ob ich die Millionen behalten will.“

      „Kannst du dir sparen“, erwiderte Martin mit müdem Spott.

      Benjamin ließ den Kopf hängen.

      Martin schloss die Augen.

      Benjamin ist schuld, dachte Martin. „Nick ist schuld“, sagte er.

      Martin ist schuld, dachte Benjamin. „Mike ist schuld“, sagte er.

      „Ich bring Nick um“, zürnte Benjamin, bevor sich wieder der Schmerz in der Brust meldete.

      „Ich räche mich an Mike“, stimmte Martin in den Zorn ein.

      Beide müssten sie für ihre Fehler büßen, waren sie sich einig. „Wir bringen sie um“, tönten sie synchron.

      „Nur wie…“, begann Benjamin und wurde von beängstigenden Gedanken weggerissen.

      Martin schlug mit der Hand in den Sand. „Ja, verdammt! Wie?!“

      Benjamin wurde kreidebleich „Sie haben sie sicher schon zerstört.“

      Irgendwie schafften sie es, sich auf ihre Hinterteile zu setzen.

      „Albert hat Scheiße gebaut. Es gibt keine Formel. Es war alles nur Zufall“, meinte Martin.

      „Dafür hat unser Brainmapping-Mann wenigstens gebüßt.“

      „Oh, ja. Er hat lichterloh gebrannt“, sagte Martin mit Genugtuung.

      „Muss ganz schön wehgetan haben.“

      „Jedenfalls hat er geschrien ohne Ende.“

      Benjamin erschauderte. „Kann ich mir vorstellen.“

      „Ich hab Durst“, sagte er mit salzigem Mund nach kurzer Pause.

      „Und ich Hunger“, erklärte Martin.

      „Wir sollten ins Innere der Insel gehen“, schlug Benjamin vor, machte aber keine Anstalten, aufzustehen.

      „Woher.“ Martin sah sich um. „Willst du wissen, dass es eine Insel ist?“

      „Na, ja.“ Benjamin presste die Lippen aufeinander. „Wenn es scheiße kommt, kommt es richtig scheiße.“

      „Wir sollten erstmal schlafen“, sagte Benjamin in einem Gähnanfall.

      „Es ist helllichter Tag.“

      „Es ist schon nach Mitternacht“, widersprach Benjamin. „Und das Koks lässt langsam nach.“

      „Das Koks“, entfuhr es Martin. „Hast du es noch?“

      Benjamin langte sich umgehend in die Hosentasche. Alles bis auf die Hausschlüssel war durchnässt. Sein Geldbeutel war ein klammer Lederbatzen mit aufgeweichtem Papiergeld und unbrauchbaren Kreditkarten. Dann Handy ließ sich nicht mehr anschalten. Das Koks sah aus wie ein Klumpen angerührtes Mehl. Der Inhalt des Beutels war um die Hälfte geschrumpft.

      „Sofort