Anita Egger

Das schmutzige Mädchen


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und ging zur Tür. Es war klar, dass dies kommen würde, irgendwann: Die Nachbarin stand da, beschwerte sich über das Geschrei, über unseren lautstarken Streit. Sie sagte, es wäre nicht das erste Mal, dass hier mitten in der Nacht derart lautstark gestritten wird. Dann drohte sie noch die Polizei zu holen. Sie streckte den Kopf zur Tür hinein, erblickte den großen starken Mann im Hintergrund.

      „Haben Sie Beziehungsprobleme?“, fragte sie nun etwas besorgt.

      Sie glaubte wohl, er wäre gewalttätig. Es war fast schon wieder nett von ihr, dass sie sich um mich sorgte.

      „Mit dem habe ich ganz sicher keine Beziehung. Sie können es sich sparen, die Polizei zu rufen, er ist die Polizei.“, erklärte ich.

      „Wirklich? Was tut er hier? Ist das eine Razzia?“, fragte sie äußerst interessiert.

      Jetzt hasste ich sie wieder. Sie hatte mich immer schon im Verdacht, mit Drogen zu tun zu haben. Und sie lag nicht falsch, bisher zumindest nicht. Ich sollte ihr nicht böse sein, schließlich wohnte sie auch schon hier, als ich Abend für Abend mit meinen Freunden eine Zeit verbrachte, in der wir uns jenseits von Gut und Böse befanden.

      „Nein, das ist keine Razzia, ich bin privat hier“, meinte Koffner und baute sich vor ihr auf. „Verschwinden Sie!“, sprach er mit bösem Blick.

      Die kleine dicke blonde Frau wich eingeschüchtert zurück. „Ich wollte ja nur um etwas Ruhe bitten, ich muss morgen früh raus“, erklärte sie beinahe weinerlich, dann entfernte sie sich eiligst.

      Koffner schloss ganz sachte die Tür, dann fixierte mich sein extrem aggressiver Blick. Er packte mich so grob am Kragen, dass meine Füße vom Boden abhoben, schleppte mich von der Tür weg und drückte mich gegen die Wand. Ich war derart erschrocken, dass mir kein Ton über die Lippen kam.

      Mit wütendem, ungehaltenem Tonfall, fuhr er mich in einer möglichst geringen Lautstärke an:

      „Bist du wahnsinnig dieser Frau zu erzählen, dass ich von der Polizei bin!“, er war außer sich vor Wut. „Was hast du dir dabei gedacht?“

      Ich reagierte ähnlich wie Emina Kaufmann eben, sein Blick, seine Wut schüchterten mich ein. „Aber ich wusste doch nicht, dass das ein Geheimnis ist“, erklärte ich zaghaft.

      „Natürlich weißt du, dass es geheim ist! Was meinst du, weshalb du nichts wissen darfst über die Sache? Was meinst du, weshalb die Polizei den Mann schützt, der dich bedroht? Mach' nur nicht nochmal einen Idioten aus mir, hast du das verstanden?“, fragte er hasserfüllt.

      „Ja“, erklärte ich kleinlaut, „ich habe verstanden.“

      Er hatte mich noch immer am Kragen, hielt mich gegen die Wand gedrückt. Es tat nicht weh, es gab mir nur zu verstehen, dass mir keine Wahl blieb. Der Mann wusste, wie er Menschen anfassen muss.

      „Lässt du mich dann runter?“, fragte ich untertänig.

      Langsam lockerte er seinen Griff. Er sorgte dafür, dass ich unversehrt die Wand entlang nach unten glitt, meine Füße wieder auf dem Boden aufsetzten. Dann ließ er meinen Kragen los, zupfte meine Kleidung zurecht.

      Etwas verlegen sprach er: „Bitte entschuldige, dass ich grob werden musste. Ich hoffe, du hast jetzt verstanden, dass du tun musst, was ich sage und dass du schweigen musst, wenn du willst, dass es dir gut geht.“

      Irgendwie wurde mir das zu viel. Ich verstand überhaupt nicht mehr, worum es ging. Doch Eines verstand ich immer besser: Mein Leben war in Gefahr. Der Einzige, der mich in Schutz nahm vor einer tödlichen Gefahr, war der Mann vor mir: Dieter Koffner.

      Ich war mir nicht sicher was er fühlte: Wollte er mich tatsächlich schützen? Wenn ja, so hatte er diese Aufgabe mit Sicherheit von der Polizei erhalten. Oder hatte er es sich sogar zu seiner eigenen Sache erklärt? Er sprach davon, dass ich längst meine Freiheit oder gar mein Leben verloren hätte, gäbe es ihn nicht. Wahrscheinlich stimmte das sogar in gewisser Weise. Was aber würde passieren, kümmerte er sich nicht um meine Sicherheit? Würde sich ein Anderer an seiner Stelle um mich kümmern? Und wenn ja, wäre ich dann schon weg? In einer geschlossenen Anstalt oder einem Gefängnis? Unter der Erde?

      Oder wäre es gar genau anders? Wenn ein anderer Mann als Koffner die Aufgabe hätte, mich zu schützen, wüsste ich dann bereits worum es ging? Würde es mir bei einem anderen Personenschutz-Beauftragten besser ergehen als mit Koffner?

      Ich blickte ihm müde und besorgt in die Augen. Ich war ihm ausgeliefert, mein Leben lag in seiner Hand. Sein Blick war wenig mitleidig, er war streng und kalt. Auf mich aufzupassen war anstrengend, es machte ihn wütend.

      Eines hatte ich also bereits verloren: Meine Freiheit. Aber Koffner hatte dies in gewisser Weise auch.

      Mir wurde plötzlich übel, die Welt um mich her verdunkelte sich, meine Knie gaben nach. Der Boden unter mir war mit Einem so nahe und bedrohlich. Etwas geschah mit mir, nur was?

      Langsam glitt ich mit dem Rücken an der Wand zu Boden, ich weinte. Das Leben war erbarmungslos. Die Sonne hatte sich verdunkelt, ließ sich nicht mehr blicken. Diese Angst um meine Existenz, um meinen Körper, vor Schmerz, Tod und Qual wurde immer übermächtiger, überall lauerte der Feind. Die starke Frau in mir war tot. Zurück blieb ein hilfloses Wesen, das man mit einem einzigen Schritt zertreten konnte.

      Ich kauerte am Boden, weinte, wimmerte, war kaum noch fähig zu sehen, zu hören, zu denken. So hilflos wie ich nun war, hätte mich ein Windhauch schon vernichten können, verschwinden lassen aus dieser Welt, so wie die Mächtigen des Landes sich dies wünschten.

      Immer wieder kam mir der Gedanke: Warum ich?

      Ich mochte kein vorbildlicher Bürger sein, doch bin ich nicht auch harmlos? Zu harmlos und unbedeutend jedenfalls, um es mit Leuten wie Koffner zu tun zu haben, mit Gewaltverbrechern wie Carsten Fischer oder seinem übermächtigen, sadistischen Doppelgänger, einem Mann der mächtiger ist als Polizei und Justiz. Was wollten diese Menschen nur alle von mir? Weshalb ließen sie mich nicht einfach leben wie einen ganz gewöhnlichen Menschen?

      Ja es war vorbei mit meinen revolutionären, gesetzesfeindlichen Gedanken. Ich wollte nicht mehr gegen Polizei und Gesetz aufbegehren, straffällig werden, ein Klein-Krimineller sein. Ich wäre nun am liebsten nur ein friedlicher, gut funktionierender Arbeiter gewesen. Einer, der nicht auffällt, der nichts Außergewöhnliches tut, den man in Ruhe lässt, ignoriert, übersieht.

      Koffner hatte sich zu mir hinuntergebeugt, packte mich an den Armen.

      „Was ist mit dir?“, fragte er.

      Ich hörte auf zu weinen, nicht weil es besser ging, im Gegenteil, die Übelkeit wurde schlimmer, eine schwarze Wand schob sich vor meine Augen.

      „Mir ist schlecht“, lallte ich in das verschwommene Gesicht vor mir.

      Koffner hob mich vom Boden auf, trug mich auf seinen Armen ins Wohnzimmer und legte mich auf meine Schlaf-Couch. Das Bett war nicht gemacht. Was tagsüber als Sofa dienen hätte sollen, war noch von gestern Nacht als Bett ausgezogen, mit Spannlaken bezogen, das Federbett darauf. Es war mir peinlich vor Koffner; das war es mir vorhin schon gewesen als er wegen des Anrufs gekommen war. Jetzt da er mich ins Bett legte, zudeckte, am Bettrand sitzen blieb, versank ich vor Scham.

      Er legte seine Hand auf meine Stirn, nahm den Puls.

      „Du hast Probleme mit deinem Kreislauf. Hast du das öfter?“, fragte er.

      „Nur wenn ich mich in Lebensgefahr befinde“, erklärte ich.

      Langsam kam ich wieder etwas zu mir.

      „Das bist du doch nicht. Ich bin ja hier. Außerdem sagte ich, dir wird nichts passieren.“

      Langsam ging es mir besser, doch es kam eine Erschöpfung über mich, die mich zwang die Augen zu schließen.

      Als ich erwachte, war Koffner weg. Es dämmerte bereits, ich hatte also einige Stunden geschlafen. Kurz darauf surrte mein Wecker. Diese Woche hatte ich die frühe Schicht in der Gärtnerei. Das heißt, ich musste um sechs Uhr da sein, um die Nacht-Aggregate auf die morgendliche