Anita Egger

Das schmutzige Mädchen


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ihn.

      Er lachte. „Wie kommst du nur darauf? Weil ich kein Wartezimmer habe? Ich mache meine Termine immer so aus, dass die Patienten sich nicht ablösen. Zwischen zwei Terminen habe ich mindestens eine halbe Stunde frei. Das brauche ich, um hier zu lüften, um mir Notizen zu machen und letztendlich, um den einen Fall in meinem Kopf niederzulegen und mich auf den nächsten einzustellen. Verstehst du was ich meine?“

      Ich stimmte zu. Doch unser Verhältnis war seltsam, auch in den kommenden Sitzungen. Mir kam es vor, als hätte Christian etwas zu verbergen, er verbot es mir jedoch danach zu fragen.

      Eines Abends beschloss ich, meinem künstlichen Leben ein wenig zu entkommen. Ich ging nach der Arbeit nicht nach Hause, sondern in eine Musik-Kneipe. Ich wusste, dass meine alten Leute hier oft sind. Meine Freunde von früher trinken Alkohol, rauchen Pott, ziehen sich weißes Pulver in die Nase, machen lange Finger im Supermarkt und reißen bei den Bonzen-Autos die Sterne ab.

      Nun ja, ich wollte nicht mehr dazugehören, nicht nach dem was ich erlebt hatte. Zum Ersten hatte ich ja andauernd mit Polizisten zu tun. Ich hätte meine Freunde nur unnötig in Gefahr gebracht, wenn ich mich in ihrer Nähe aufgehalten hätte. Zum Zweiten gab ich mir manchmal die Schuld an allem. War es nicht so, dass ich beinahe jeden Abend nachts in der Stadt betrunken nach Hause wackelte? Da treiben sich eben solche Leute wie Carsten Fischer herum, es musste irgendwann etwas passieren. Ich sollte ausschließen, dass es nochmal geschieht.

      Heute dachte ich mir, werde ich nicht über die Stränge schlagen. Doch ich musste mal raus aus dem künstlichen Leben.

      Zunächst traf ich auf Heike und Andy. Sie waren sehr betrunken. Er spielte wieder den Macho und hatte ein junges Mädchen im Arm. Doch diese Leute freuten sich als sie mich sahen, luden mich ein auf Bier und Schnaps, fragten mich über die Geschehnisse aus.

      Es tat gut mit ihnen zu sprechen. Endlich gab es jemanden, der sich für mich selbst interessierte und nicht nur für meine Widersacher.

      „Was ich nicht verstehe“, meinte Mario, die später dazugekommen war, „warum suchen sie nicht nach den anderen beiden Männern, die dabei waren in der Winternacht? Die sind doch ebenso schuldig, die hätten dich auch bei minus 10 Grad auf der Straße vergewaltigt und wahrscheinlich danach erschlagen. Oder etwa nicht? Wenn die Bullen, wie du sagst, sicher gehen wollten, dass der Verbrecher gefasst wird, damit er niemandem mehr etwas antun kann, dann ist aber immer noch niemand sicher, weil die beiden anderen Männer völlig unbekümmert frei herumlaufen.“

      „Vielleicht versuchen sie die Namen aus Carsten Fischer herauszuquetschen“, meinte Andy, „die haben da ihre Methoden.“

      Es tat verdammt gut mit normalen Leuten zu sprechen, ohne Hemmungen, ohne Lügen, einfach frei heraus.

      „Vielleicht ja. Mario hat Recht. Was machen sie mit den anderen beiden? Weshalb werden die nicht verfolgt?“, fragte ich in den Raum und mich selbst.

      In derselben Nacht hörte ich den Anrufbeantworter ab. Hier gab es eine Nachricht von unbekannter Herkunft. Als ich die Stimme hörte, erschrak ich entsetzlich.

      Es war die Stimme des Mannes, der mich überfallen hatte: „Wenn du denkst, die Sache wäre vorbei, dann täuscht du dich. Ich komme wieder! Dieses Mal entkommst du mir nicht!“, sprach er. Das war alles.

      Ich hörte die Nachricht immer und immer wieder ab. Dabei wurde mir klar: Diese Stimme gehörte nicht Carsten Fischer, wohl aber dem Mann, der mich überfallen hat.

      Ich rief Koffner an.

      Er ging nicht ran mitten in der Nacht, ich sprach ihm auf Band. Doch noch bevor ich fertig war zu sprechen, meldete er sich.

      „Lass dich nicht verrückt machen von irgendwelchen Idioten“, sprach er, „deine Geschichte ist überall bekannt, der Anruf ist sicher nicht echt.“

      „Doch das ist er, ich erkenne die Stimme. Ich hätte bei der Wahrheit bleiben sollen, Carsten Fischer ist der Falsche“, plapperte ich aufgeregt.

      Koffner kam zu mir, mitten in der Nacht. Wir hörten uns die Ansage einige Male an. Dann setzte er sich an den Tisch, warf die Stirn in Falten, stützte den Kopf ab.

      „Du bist sehr müde, tut mir leid, dass ich dich überredet habe zu kommen...“, fing ich einen Satz an, weil ich mich schlecht ihm gegenüber fühlte.

      „Dich trifft keine Schuld, ganz sicher nicht. Ich weiß nur im Augenblick nicht was ich denken soll.“

      „Glaubst du mir denn, dass dies der Mann ist und nicht Carsten Fischer?“, fragte ich verzweifelt.

      Ob ich es nun wollte oder nicht, Koffner war der einzige Mann, der mir helfen konnte. Auch wenn er es letztendlich bestritten hatte, so hatte er, das fühlte ich, ebenfalls daran geglaubt, dass Carsten Fischer der falsche Mann war.

      „Ich glaube es dir nicht nur, ich weiß es. Was ich aber nicht verstehe, ist dass du diesen Anruf bekommen hast.“

      „Was soll das heißen?“, fragte ich unverständig.

      Er antwortete nicht, seine Reaktion war derart seltsam, dass ich mir sicher war, es gab etwas, das er mir verschwieg in dieser Sache. Gab es ein Geheimnis? Warum aber bemühte sich Koffner um mein Wohlergehen, wenn er mich doch hinterging?

      „Dieter?“, holte ich ihn aus seinen Gedanken. Wieder kam es mir seltsam fremd vor, ihn bei seinem Vornamen zu nennen.

      „Entschuldige“, entgegnete er schließlich, „das hat sich jetzt wohl sehr dumm angehört für dich.“, meinte er etwas unsicher.

      „Dumm nicht, nein, eher interessant“, meinte ich.

      „Ich werde versuchen in Erfahrung zu bringen, ob Carsten Fischer die Möglichkeit hatte, dich vom Gefängnis aus anzurufen oder ob er jemanden beauftragen konnte, dies zu tun. Wenn nicht er, dann war es wohl ein Trittbrettfahrer in Sachen 'dem Opfer Angst machen':“, erklärte er.

      „Nicht dein Ernst!“, rief ich aus. „Eben wolltest du mir noch helfen, jetzt lügst du mich an!“

      Er warf die Stirn erneut in Falten, sein Blick war müde und besorgt. Er stöhnte, lehnte sich nach vor, stützte den Kopf ab.

      „Ich bekomme auch immer Kopfschmerzen, wenn ich jemanden, der mir sein Vertrauen geschenkt hat, aufs Ärgste hintergehe“, erklärte ich sarkastisch.

      „Sagtest du gerade, du hättest mir dein Vertrauen geschenkt? Für dich bin ich doch nur ein Scheiß-Bulle, oder etwa nicht? Von wegen Vertrauen!“, gab er contra.

      Ich schüttelte verächtlich lachend den Kopf. „Du willst den Kopf aus der Schlinge ziehen, indem du mir die Schuld zuschiebst? Los, raus mit der Sprache! Sag' mir jetzt gefälligst, wer der Andere ist!“, befahl ich ihm.

      „Welcher andere?“, meinte er unschuldig.

      „Du weißt sehr gut was ich meine! Zu wem gehört die Stimme auf dem Band? Du weißt es, doch du willst es mir nicht sagen. Ich verstehe nicht, dass das ein Problem ist. Wenn die Polizei weiß oder zumindest du es weißt, dass Carsten Fischer der Falsche ist, weshalb wurde er dann rechtskräftig verurteilt, der wahre Täter läuft aber frei herum?“

      „Eben, du hast es selbst gesagt, so ist es nicht, weil es die Polizei nicht zulassen würde. Wir verurteilen nicht den Falschen zu zehn Jahren Knast und lassen den wahren Täter entkommen.“, erklärte er eindringlich, war aufgestanden und laut geworden.

      „Und du? Würdest du es zulassen?“, fragte ich ebenfalls sehr laut.

      „Nein! Natürlich nicht!“, schrie er mich an.

      Wir tauschten einen Blick voller Hass und Wut. Ich war wütend, weil ich wusste, dass er log. Koffner tat etwas, das ihm absolut gegen den Strich ging, doch er tat es sehr konsequent. Es musste wahrhaft viel auf dem Spiel stehen für ihn, sonst würde er sich anders verhalten. Ich war mir nun absolut sicher, dass er den wahren Täter kannte, ihn mir aber nicht verraten würde. Er ging wieder auf die Couch zu, trank die Cola leer, die ich ihm gebracht hatte, suchte nach seiner Jacke. Er wollte weg, möglichst schnell, ohne