Anita Egger

Das schmutzige Mädchen


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      Was weiß ich! Seit wann interessiert es mich, was ein Bulle denkt oder nicht? Ich musste Koffner unbedingt loswerden, besser heute als morgen.

      Er rief mich an: „Sag' mal, spinnst du?“, fuhr er mich an.

      „Was denn?“, fragte ich unschuldig, obwohl ich durchaus wusste worum es ging.

      „Warum besuchst du Carsten Fischer im Gefängnis? Weshalb hast du das getan?“

      „Wenn er wirklich unschuldig ist, dann habe ich ihm sehr viel unnötigen Ärger eingebracht“, erklärte ich, obwohl ich nach diesem Gespräch mit Christoph ganz und gar nicht mehr daran glaubte, er wäre es nicht gewesen.

      „Würdest du vielleicht die Güte haben, mich über derartige Vorhaben rechtzeitig zu informieren?!“, schrie er in den Hörer. Er war richtig wütend.

      Doch auch mich machte seine Reaktion wütend: „Ich kann tun und lassen was ich will!“, entgegnete ich. „Weshalb sollte ich auch nur auf die Idee kommen, dich über meine Vorhaben zu informieren?“

      „Wie soll ich dir Personenschutz gewähren, wenn ich nicht weiß, wo du bist?“, konterte er.

      Ich lachte verächtlich auf. „Personenschutz! Wovor denn? Die Sache ist vorbei, ihr habt meinen Widersacher dingfest gemacht, also brauche ich keinen Schutz mehr. Würdest du jetzt einfach aus meinem Leben verschwinden, ja?“

      Dann sagte er nichts mehr, gar nichts. Ich hielt noch immer den Hörer ans Ohr. Nach einiger Zeit wusste ich nicht, ob die Leitung noch offen war. „Dieter?“, fragte ich.

      Es war seltsam, ihn bei seinem Vornamen zu rufen, das hatte ich noch nie getan. Doch wie sollte ich ihn sonst ansprechen, waren wir ja per Du?

      „Du bist jetzt also überzeugt. Was bringt dich dazu zu glauben, es wäre der Mann? Hat dich der Besuch bei ihm davon überzeugt? Gibt es etwas, das du an ihm gesehen hast, was du wiedererkannt hast?“

      „Sein Gesicht“, sprach ich.

      „Er ist es also wirklich? Was genau hat dich überzeugt?“, fragte er einsichtig.

      „Es kann doch niemand anderer sein. Das Alibi ist gekauft. Klar will der um jeden Preis verhindern, dass er überführt wird, doch die Beweise sprechen für sich. Er ist es, wer sonst?“

      „Also gut!“, sagte Koffner, „wenn es jemand weiß, dann du.“

      Doch ich wusste es nicht. Der Grund, weshalb ich mich überzeugen ließ, es gäbe nur diesen einen Mann als meinen Widersacher, der nun in sicherem Gewahrsam war, schien in meinem angegriffenem Selbstbewusstsein zu liegen. Ich wollte nicht mehr verrückt sein, angeschlagen, traumatisiert, schizophren, was auch immer. Ich wollte nicht die Frau sein, die einen Verfolgungswahn hat, weil sie Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist. Nichts Dergleichen ist mir passiert, im Grunde ist gar nichts passiert. Drei Männer hatten mich belästigt, ausgezogen, dann bin ich ins Wasser gesprungen. Die Männer konnten mir nichts anhaben, denn ich bin entkommen. Sicherlich ist es nicht alltäglich im Winter in einen Fluss zu springen, doch es gibt auch Leute, die tun Derartiges freiwillig. Also: Ich bin nicht verrückt und deshalb wollte ich nicht mehr zweifeln an Dingen, die doch sehr offensichtlich waren. Ich wollte den Blick für die Realität als etwas behalten, das mein Leben lenkt.

      Punkt um: Carsten Fischer saß im Gefängnis, deshalb war ich frei von jeglicher Bedrohung.

      Damit lebte ich eine Zeitlang ganz gut. Ich genoss mein Leben, meine Freiheit, nutzte die Zeit, um ein besserer Mensch zu werden. Dies äußerte sich darin, dass ich meinem Job in der Gärtnerei nachging, dass ich keinen Alkohol trank, keine Drogen mehr nahm.

      Manchmal kam mir mein Leben wie etwas Künstliches vor, als spielte ich die Hauptrolle in einem Theaterstück. Alle Figuren um mich herum stellten Gestalten dar, die nicht an mich herankamen. Sie waren um mich, sprachen mit mir, sahen mich an, doch in Wirklichkeit waren entweder sie nicht da oder ich nicht. Dennoch brauchte ich dieses Leben, genauso künstlich, wie es eben ablief.

      Auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wurde ich erst wieder durch die bevorstehende Gerichtsverhandlung. Die Tage zuvor versuchte ständig Koffner mit mir zu sprechen. Was er mir sagen wollte, wusste ich nicht, ich wusste nur, es würde mich wieder abbringen wollen von meinem künstlichen Weg. Denn auch wenn Koffner ein Bulle war, ein Feind also, so war er doch Eines im Vergleich zum Rest der Welt: Lebendig.

      Ich wollte mit Lebendigen aber nichts mehr zu tun haben, also wich ich ihm aus. Ich sprach nicht mit ihm, öffnete ihm nicht die Tür als er bei mir klingelte.

      „Verdammt, Christine, es gibt etwas, das du unbedingt wissen musst, bevor du deine Zeugenaussage machst!“, schrie er, auf meinem Balkon stehend durch das gekippte Fenster.

      „Verschwinde! Aber sofort! Sonst schalte ich einen Anwalt ein!“, drohte ich ihm und sperrte mich ins Badezimmer ein bis er weg war.

      Kurz vor der Verhandlung sah ich ihn wieder. Auch er war als Zeuge geladen, kam aber nicht an mich heran. Ich hatte Christian und meinen Vater als Begleitung bei mir. Als wir kamen, hatten wir einen Gerichtsdiener mit zwei Wachen um uns herum. Ich wurde dem Staatsanwalt vorgeführt. Er begrüßte mich förmlich, reichte mir die Hand.

      Koffner legte verzweifelt den Kopf in die Hände. Er trug einen schwarzen Anzug, die Krawatte saß schief. Er sah lächerlich aus in diesem Anzug, das passte nicht zu ihm.

      Seine Augen waren sehr verzweifelt, er wirkte nervös. Weshalb nur? Konnte es ihm nicht egal sein, wie die Sache ausgeht? Er war doch auch nur Zeuge, ein unwichtiger noch dazu. Wenn er davon ausging, es wäre der falsche Mann, den sie da hatten, dann war das nicht sein Problem. Warum regte er sich überhaupt auf über die ganze Sache?

      Die reine Neugier zwang mich schließlich, auf ihn zuzugehen, ihm in die Augen zu blicken, ihn anzusprechen.

      „Was gibt es denn so Wichtiges?“, fragte ich ihn.

      Er sah mich wütend an. „Das fragst du mich jetzt und hier? Jetzt ist es zu spät, verdammt!“, meinte er. Christian zog mich am Ärmel. „Wer ist der Mann?“, wollte er wissen.

      „Er weiß sehr gut wer ich bin!“, erklärte mir Koffner.

      „Was wolltest du mir so dringend sagen die ganze Zeit?“, fragte ich Koffner.

      „Ich dir? Ich wollte dir nichts sagen, wie kommst du nur darauf? Wir sind schon lange fertig miteinander, Schätzchen, oder?“, entgegnete Koffner mit verzweifelten Augen.

      Er spielte Christian etwas vor, tat so, als hätte ich eine Freundschaft mit ihm beendet. Weshalb musste er ihn täuschen? Was lief hier ab? Ich hatte keine Ahnung. Nun hätte ich wahrhaftig gerne einige klärende Worte von Koffner gehört, doch es war zu spät, er hatte Recht.

      Christian und mein Vater nahmen mich mit sich und folgten dem Gerichtsdiener, hinter uns die beiden Wachen. Es war, als würde ich abgeführt werden, konnte nicht mehr flüchten, weder nach vorne noch nach hinten.

      Wir mussten in einem Vorzimmer warten, nur wir Drei mit den Wachen, sonst war niemand mit im Raum. Es war wohl Absicht, dass wir von der Verhandlung nichts mitbekamen und nicht mit anderen Zeugen sprechen durften. Das Gericht wollte verhindern, dass ich in meiner Zeugenaussage von den Umständen beeinflusst werde.

      Es dauerte zwei unendlich lange Stunden bis ich an die Reihe kam. Im großen Gerichtssaal war es eher leer, die Verhandlung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wer mich sofort fixierte als ich den Raum betrat, war Carsten Fischer, er starrte mich seltsam durchdringend an, grüßte mich mit seinem Blick. Ich grüßte zurück. Christian brachte mich zu meinem Platz. Ich saß dem Richter gegenüber, den beiden Anwälten, den Protokoll-Damen und Gerichtsdienern. Der Angeklagte saß seitlich links von mir in gebührlichem Abstand, aber ohne Handschellen. Zunächst wurde ich vereidigt, dann durfte ich mich setzen. Etwas nervös blickte ich hinter mich. Hier saßen einige Leute, die ich nicht kannte, aber auch welche, die mir sehr wohl bekannt waren. Es war mein Psychiater da, einige Polizei-Beamte, ein Chef-Arzt aus dem Krankenhaus, in dem ich vor einigen Wochen war. Dann entdeckte ich Koffner, er saß zwischen den Kollegen von