Anita Egger

Das schmutzige Mädchen


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Ich griff nach seiner Hand. „Du passt immer noch auf mich auf, weil du weißt, dass ich bedroht werde. Weshalb sagst du mir nicht endlich alles? Wieso darf ich es nicht wissen? Ich bin Hauptfigur in einem Spiel, das ich nicht kenne. Aber du kennst es! Sag' mir was los ist und ich verspreche dir, darüber zu schweigen.“

      Er sah mich an mit seinen braunen Augen, die ehrlich sein wollen, es aber nicht sind.

      Jetzt blickte er mich mitleidig an. „Du siehst Zusammenhänge wo es keine gibt. Willst du, dass sie dich alle für verrückt halten?“, erklärte er mit einem Hauch Verbitterung.

      Dass er so zu mir war, mir ins Gesicht log, das kränkte mich immer mehr. Ich fühlte mich wütend im selben Maße wie verzweifelt. Wie soll das nur weitergehen? Ich hatte Tränen in den Augen.

      „Ich halte das nicht mehr aus!“, erklärte ich erschüttert und griff auf die Blutergüsse an meinem Hals. Ich dachte daran, dass der Täter wieder und wieder versuchen könnte mich zu töten. Koffner wusste das, doch er redete nicht mit mir darüber.

      Er blickte besorgt aus dem Fenster, dachte nach, rieb sich seine Stirn. Er selbst fühlte sich auch nicht wohl dabei, das sah man.

      Plötzlich wendete er sich wieder zu mir, fasste meinen Arm an.

      „Also gut!“, sagte er. „Es ist nicht so, dass ich deine Reaktion auf die Ereignisse nicht verstehen könnte“, erklärte er, holte Luft, „doch ich sage dir Eines: Es ist nicht deine Aufgabe, den Personenschutz in Frage zu stellen!

      Du tust nicht was ich sage, hörst nicht auf mich, glaubst mir nicht! Du stellst eigene Ermittlungen an, weil du niemandem vertraust. Das solltest du nicht tun, denn es bringt dich in Gefahr“, erklärte er eindringlich.

      Er war aufgeregt, wütend auf die Situation. Er wollte mich dazu bringen, mich so zu verhalten, wie es für ihn am besten ist. Warum nur sprach er nicht aus, worum es wirklich ging?

      „Du möchtest immer, dass ich mit der Polizei zusammenarbeite, doch du sagst mir im Grunde nicht wobei! Warum geht es? Wer ist der Mann, der mich gestern überfallen hat?“, fragte ich.

      „Ich sage dir jetzt mal einige Dinge, die du wissen musst“, meinte er verbissen. Seine Worte strengten ihn an. Es kam mir vor, als befände er sich in einer Art Zwickmühle. Ich verstand die Situation einfach nicht, doch dann fuhr er fort zu sprechen, seine Augen starr auf die meinen gerichtet:

      „Wenn dir deine Freiheit und dein Leben lieb sind, dann höre auf Fragen zu stellen. Du magst in einer schwierigen Situation stecken, noch aber sitzt du frei und gesund vor mir. Je mehr du dich in die Sache hineinsteigerst, je mehr du versuchst, Antworten auf deine Fragen zu finden, desto mehr läufst du Gefahr, deine Freiheit oder dein Leben komplett zu verlieren. Glaube mir! Höre auf, die Dinge zu hinterfragen! Wir werden weiterhin aufpassen, dass dir nichts passiert, wenn du aber keine Ruhe gibst, dann können wir nichts mehr tun für dich, kapier das!“, erklärte er verbissen im Flüsterton, so als würde uns jemand belauschen.

      „Wer wir?“, fragte ich etwas verdattert.

      „Die Polizei“, gab er zur Antwort.

      „Die Polizei beschützt mich also vor etwas, das stärker ist als die Polizei, stärker sogar als die Justiz?“, fragte ich.

      „Du darfst nichts wissen! Es ist ein dummer, unglücklicher Zufall, dass du in diese Situation geraten bist, keiner weiß weshalb dies geschehen ist, doch du hast keine Ahnung womit du es wirklich zu tun hast. Wenn du es wüsstest, dann wärst du tot oder verschwunden. Das ist kein Scherz.“, flüsterte er mir aufgeregt zu.

      „Christian Lange, er ist kein Psychologe, nicht wahr?“, fuhr ich fort.

      „Verdammt!“, schrie er mich jetzt lautstark an, „was habe ich gerade versucht, dir klar zu machen?“

      „Schon gut“, entgegnete ich eingeschüchtert, „tut mir leid.“.

      Ich musterte seine Augen, die sehr verzweifelt an mir vorbei vor sich hin starrten.

      Langsam fing ich an zu verstehen. Im Blick dieses Mannes war etwas sehr Hartes. Hatte gar er selbst die Aufgabe, mich aus dem Weg zu räumen, wenn ich ein Sicherheitsrisiko darstelle? Es musste vielleicht um politische Konflikte gehen, oder wer steht sonst über Polizei und Gerichtsbarkeit? Warum bin eigentlich ich das Opfer? Weshalb bedrohte eine Person, die mit derartigen Dingen zu tun hat, eine einzelne junge Frau?

      Als Dieter Koffner weg war, fühlte ich mich sehr hilflos. Nach allem was mit mir in der letzten Zeit geschehen war, hatte ich doch mit einer anhaltend tödlichen Bedrohung nicht gerechnet.

      Auch verstand ich nicht, welche Rolle Carsten Fischer darin spielte. Wusste er, mit wem er es zu tun hatte, war er eingeweiht? Wie würde es nun weitergehen? Bedroht mich dieser mächtige Mann, der Doppelgänger von Fischer, immer noch? So wie es sich anhörte wohl eher schon. Was hatte er nur davon, mich zu bedrohen? Welche Rolle war mir zugeteilt bei diesem seltsamen Spiel?

      Ich wusste es nicht. Ich wusste gar nichts mehr. Was sollte ich tun?

      Eines durfte ich nicht mehr tun: Fragen stellen. Was ich verstanden hatte, brachten mich Fragen in noch größere Gefahr. Je mehr ich wusste, desto eher wurde die Polizei dazu gezwungen, mich aus dem Weg zu räumen, mich zum Schweigen bringen zu müssen. Dieser Gewalttäter, mein Widersacher, musste ein Mann sein, der von der Regierung geschützt wird, egal was er auch anstellte. Welche Person könnte das denn aus welchem Grunde sein? Ein Mann in einer sehr hohen Position vielleicht. Aber weshalb riskiert er sein Amt und bedroht mich?

      Ich verstand es einfach nicht.

      Die Anrufe hörten nicht auf, immer wieder wurden Drohungen ausgesprochen, immer krasser wurden die nahezu perversen Ankündigungen des Unbekannten. Wenn ich fragte warum, dann pflegte er zu sagen, es mache Spaß.

      Koffner erkundigte sich nach mir, er rief mehrmals täglich an. Ich erzählte ihm von den Anrufen. Er versuchte immerzu mich zu beruhigen und versicherte, es gäbe keinen weiteren Angriff, der Täter begnüge sich damit, mir zu drohen.

      Koffner half mir neue Telefonnummern zu bekommen, die nicht so leicht ausfindig zu machen wären. Doch mein Widersacher bekam sie heraus, machte weiter.

      Koffner besuchte mich noch am selben Abend als der nächste Anruf auf die neue Nummer kam.

      „Vielleicht solltest du für die nächste Zeit überhaupt kein Telefon einschalten“, meinte er nachdenklich.

      „Was macht der Kerl dann? Also wenn er mich übers Telefon nicht erreicht, wird er andere Wege suchen, mich mit seinen Drohungen zu konfrontieren. Ist doch so? Er ist so ein Verrückter oder etwa nicht? Im Normalfall würde er weggesperrt werden in eine Anstalt. Aber er ist ja etwas ganz Besonderes, nicht wahr? Er darf tun und lassen was er will. Vermutlich würdet ihr ihn nicht mal verhaften, wenn er mich getötet hätte. Ist es so?“

      Dieter Koffner blickte mir ernst und streng in die Augen. „Ja so ist es“, sagte er.

      „Ich weiß, ich darf nicht fragen, aber ich denke du verstehst, dass es mich interessiert, wer der Mann ist, der eine derartige Macht besitzt.“, meinte ich.

      „Es hat dich aber nicht zu interessieren, verstanden! Dir wird nichts geschehen, egal womit er droht, also lass' es gut sein! Du bist sicher vor ihm, er wird dich nicht angreifen. Alles was du zu tun hast, ist dir keine Angst machen zu lassen. Wir werden versuchen, dass der Mann aufhört, dich zu bedrohen. Wenn er es aber dennoch tut, dann höre einfach nicht hin.“, erklärte Koffner.

      „Er hat mir versichert, er würde mich in die Finger bekommen und mich qualvoll zunichtemachen. Er bekommt mich auch in die Finger, wenn er nur will. Ich bin jederzeit schutzlos ihm gegenüber. Ich lebe allein, bin oft zu Fuß unterwegs, es gibt tausende von Möglichkeiten seine Drohungen in die Tat umzusetzen. Und er wird ja nicht mal bestraft, wenn er es tut. Weshalb also sollte er seinen Mordgelüsten nicht nachgehen, wenn ihm so sehr danach verlangt und es so einfach für ihn ist?“

      „Du musst mir glauben: Er tut es nicht!“, fuhr mich Koffner an.

      Nun klingelte es an