Kadhira del Torro

Fast egal


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solltest es dir noch mal überlegen, Samantha Martin. Sprich mit deinem Vater und mit sonst wem. Aber wenn ich dich bei der Verhandlung nicht am Kopfende des Tisches sehe, kannst du dich von eurer Firma verabschieden.”

      Samantha lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Sie stand auf, sah ihn noch einmal kurz an und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Was sollte sie auch noch dazu sagen? Sie kehrte nicht auf die Party zurück, sondern ging in ihr Schlafzimmer, warf sich auf das Bett und starrte in den fast schwarzen Nachthimmel mit den unzähligen, funkelnden Sternen.

      2. Kapitel

       Samantha verbrachte die nächsten drei Tage weitgehend am Strand. Sie brauchte jetzt Ruhe und den Abstand von ihrer Familie, um über alles nachzudenken. Stundenlang hockte sie im Sand und sah auf die plätschernden Wellen, beobachtete die Schiffe, die am Horizont auftauchten und wieder verschwanden, und kehrte erst nach Hause zurück, als die Dämmerung einsetzte. Jedes Mal schlich sie sich förmlich ins Haus, ging sofort auf ihr Zimmer und überhörte regelmäßig das zaghafte Klopfen an ihrer Tür. Wenn sie Hunger hatte ging sie in die Küche, holte sich ein paar Sandwichs und eine Kanne Tee und nahm sie mit auf ihr Zimmer. Nachts lag sie meistens wach, starrte in die Dunkelheit und dachte über Brendon Richmond, die Firma, ihren Vater und besonders über die Herausforderung nach. Obwohl sie gerade das eigentlich nicht wollte.

      In der Nacht zum Mittwoch hielt sie es dann einfach nicht mehr aus. Als es ruhig im Haus war und sie sicher sein konnte, dass alle schliefen, schlüpfte sie in ihren Jogginganzug und lief barfuß die Treppe runter. Sie betrat das Arbeitszimmer ihres Vaters, hatte Herzklopfen wie damals, als sie ihren ersten Arbeitstag hatte. Sie schloss die Vorhänge und ging zum Schreibtisch. Dort nahm sie ein Tuch aus ihrer Hosentasche und stülpte es über die Lampe, schaltete sie erst dann ein. Dann setzte sie sich in den großen, bequemen Sessel, öffnete eine Schublade nach der anderen und runzelte die Stirn. Keine Unterlagen. Sie sah sich im Arbeitszimmer um und entdeckte den Aktenkoffer ihres Vaters neben der Couch. Sie ging hin, legte ihn vor sich auf den Boden und öffnete ihn. Er enthielt einen dicken Stapel Mappen, die fein säuberlich von Gummibändern zusammengehalten wurden. Mit zitternden Fingern zog sie eines der Gummibänder ab und öffnete den Aktendeckel. Dann begann sie zu lesen. Und mit jedem einzelnen Wort, jeder Seite und jedem Hefter, den sie las, wurde ihr bestätigt, dass Brendon seine Drohung wahrmachte. Der Firma ihres Vaters ging es jetzt bereits so schlecht, dass er ernsthaft einen Konkurs in Erwägung ziehen musste. Und das schon bald, denn die finanzielle Belastung war nicht mehr zu verkraften und würde selbst das Privatvermögen der Familie auffressen. Wenn er in den nächsten drei bis vier Tagen keinen größenwahnsinnigen Käufer fand, der einen viel zu hohen Preis zahlte, stand er vor dem Ruin. Der Einzige, der diesen Wahnsinn noch stoppen konnte, war Brendon Richmond. Und der würde einen Teufel tun und ihrem Vater helfen. Sam nahm sich noch einmal die letzten Verträge und Briefe von Brendon vor und las sie sorgfältig durch. Als sie sich alles eingeprägt hatte, manchmal sogar den genauen Wortlaut, packte sie alles wieder ordentlich zusammen, legte die Unterlagen in den Aktenkoffer zurück und verschloss ihn. Dann knipste sie die Lampe aus, entfernte das Tuch und zog die Vorhänge beiseite. Sie schlich aus dem Zimmer und die Treppe hoch, als wäre sie ein Dieb. Und genauso fühlte sie sich im Grunde genommen auch. In ihrem Zimmer holte sie einen Schreibblock und einen Kugelschreiber aus ihrem Nachtschrank und schrieb alles auf, was sie sich hatte merken können, unterstrich einige Absätze, versah sie mit den aktuellen Daten und verglich die Aufzeichnungen mit dem, was sie über die Firma ihres Vaters wusste. Im Morgengrauen hatte sie eine ungefähre Vorstellung von der Katastrophe, in der sie alle steckten. Nicolas Forsyths Geld und Firma reichten schon lange nicht mehr aus, um den Ruin noch aufhalten zu können. Sie brauchte Forsyth also nicht mehr heiraten, weil es sowieso keinen Sinn mehr hatte. Ob er von der Brücke sprang oder nicht. Es gab Wichtigeres, über das sie nachdenken musste. Das war die gute Nachricht. Die schlechte war, dass sie zu Richmonds Marionette degradiert wurde, falls sie seine Bedingungen erfüllte. Grausamer Gedanke.

      Sam verschloss die Unterlagen in ihrem Nachtschrank, legte sich ins Bett und schlief exakt eine Stunde. Dann stand sie auf, duschte ausgiebig und schlüpfte in ein bordeauxfarbenes Kostüm, eine weiße Bluse und schwarze Pumps. Ein ebenfalls schwarzer, breiter Gürtel betonte ihre schlanke Taille. Sie bürstete ihr Haar kräftig durch, steckte es an den Seiten nach oben und legte nur wenig Make-up auf, um die Spuren ihres Schlafmangels zu überdecken. Die goldenen Ohrringe und die dazu passende Kette, die sie von ihrer Großmutter zu ihrem ersten Geschäftsabschluss geschenkt bekommen hatte, legte sie als Talisman an. Sie sollten ihr Glück bringen bei dem, was sie heute vorhatte.

      Sie nahm ihre Aufzeichnungen und legte sie in ihren Aktenkoffer. Er hatte Staub angesetzt und sie wischte ihn mit einem feuchten Tuch ab, polierte sogar die goldenen Initialen auf dem weichen Leder. Unwillkürlich wurde sie an ihren letzten Arbeitstag erinnert, der an Hektik und Stress den anderen in nichts nachgestanden hatte. Sie lächelte. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass sie das nervenaufreibende Geschäftsleben einmal vermissen würde, hatte gedacht, dass sie wie ihre Schwestern ihre Erfüllung in der Familie fand. Böser Irrtum. Es gab nichts langweiligeres als Einkaufen, Partys planen und sich mit den falschen Leuten zu verloben.

      Sie ließ ihren Aktenkoffer im Schlafzimmer stehen und lief die Treppe runter. Wie erwartet fand sie die Familie auf der Terrasse beim Frühstück. Sie grüßte freundlich, setzte sich auf ihren Platz und ignorierte das plötzliche Schweigen am Tisch und die überraschten Blicke. Samantha trank Orangensaft, aß einen Toast mit Butter und warf schließlich ärgerlich ihre Serviette auf den Teller. „Was ist? Ist es so interessant, mir beim frühstücken zuzusehen?”

      Alle wandten sich wieder ihren Tellern und Tassen zu, aber niemand antwortete ihr. Nur Marlene sah sie weiterhin an, senkte aber ebenfalls den Blick, als Sam sie ansah.

      Rosalie Martin kam mit müden Schritten auf die Terrasse und freute sich sichtlich, dass Samantha ebenfalls da war. „Guten Morgen, Sammy. Schön, dass du wieder mit uns frühstückst. Ich habe mich schon gefragt, ob du eine Abmagerungskur machst.”

      „Ich habe genug Sandwichs und Tee gehabt, Grandma.”

      „Du siehst trotzdem blass und übermüdet aus. Das Make-up täuscht nicht darüber hinweg.”

      „Ich fühle mich wohl.”

      Donald Martin ließ geräuschvoll seine Zeitung sinken. „Samantha, ich möchte dich gleich in meinem Arbeitszimmer sprechen.”

      „Natürlich.”

      „Nicolas wird auch bald da sein. Sagen wir in einer halben Stunde?”

      „Warum nicht gleich? Wir brauchen nicht auf Nick zu warten. Oder möchtest du noch etwas Essen?”

      „Nein.” Er zuckte mit den Schultern und stand auf. Samantha folgte ihm ins Arbeitszimmer, setzte sich auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch und wartete, bis er die Papiere aus seinem Aktenkoffer geholt und auf dem Schreibtisch deponiert hatte.

      Schwerfällig ließ er sich in seinen Sessel fallen und lehnte sich zurück. Er schob seine Brille ein Stück an der Nase runter und musterte sie über den Rand hinweg. „Es sind Probleme aufgetreten, Samantha. Erhebliche Probleme sogar.“

      „Es geht um Brendon Richmond, nicht wahr, Dad?”, begann Sam, um ihrem Vater den Einstieg zu erleichtern.

      Trotzdem zögerte er und schien zu überlegen, wie er sich ausdrücken sollte. „Ja. Er hat mich an der Angel. Die Firma ist pleite.”

      „Nicht ganz.”

      „Nicht ganz? Habt ihr auf Grandmas Party darüber gesprochen? Warst du deswegen in den letzten Tagen...?“

      „Ja, haben wir und ja, deswegen brauchte ich Ruhe. Brendon hat mir die ganze Geschichte erzählt. Jedenfalls seine Version der Geschichte – und wie ich letzte Nacht festgestellt habe, war es wirklich die ganze Geschichte. Er war in den letzten Tagen sehr fleißig.“

      „So kann man es auch ausdrücken.“

      „Dad, es tut mir leid. Aber ich habe letzte