Mel Mae Schmidt

Die vom glänzenden See


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sah sie Karl an. Dieser seufzte. „Nun ja, du musst entscheiden, wie wichtig dir diese Ahnenforschung ist. Wenn sie dir nichts bedeutet, dann bleib zu Hause und such´ dir eine neue Arbeit. Bedeutet sie dir jedoch alles, weil du sonst in einem Nichts lebst, dann musst du wohl oder übel dieses Opfer bringen.“

      Lavinia stöhnte. „Och menno.“

      Karl lachte leise. „Ich komme doch mit auf deine Spurensuche, Livi. Du wärst nicht alleine. Warum sich also Sorgen machen? Außerdem bin ich Anwalt, die wird sich hüten, dir etwas anzutun.“

      Lavinia nickte. „Ja, hast ja Recht.“

      „Außerdem ist morgen Samstag. Vielleicht ist sie dann etwas entspannter, wenn wir mit ihr reden.“ Karl sah sie aufmunternd an.

      Lavinia sah nachdenklich drein. „Wir wollen schon morgen dorthin fahren?“

      Karl sah sie verwirrt an. „Ja, wieso nicht? Worauf warten?“

      Lavinia seufzte. „Weil ich nicht weiß, wo dieses Heim ist. Ich kenne den Ort nicht, habe mir den Namen nie merken können. Das müssten wir als Allererstes herausfinden.“

      Karl hob die Augenbrauen. „Puh, na schön. Das wird langwieriger als ich dachte. Und du hast null Ahnung, wo es in etwa stehen könnte?“

      „Hmm. Ich kann mich kaum erinnern. Es ist schon so lange her, als ich von dort in einer Nacht- und Nebelaktion geflohen bin.“

      Karl nickte. Beide saßen sie nun da und überlegten.

      „Aber“, fing Karl plötzlich an und Lavinia horchte auf, „kann man nicht herausfinden, in welchem Heim diese alte Hexe arbeitet, von der du gesprochen hast? Vielleicht findet sich im Internet oder in Stadtarchiven etwas über sie.“

      Lavinia sah wieder enttäuscht aus. „Ich kenne ihren Namen nicht. Sie hieß bei allen nur die alte Hexe. Oder in meinem Fall Schnepfe. Wie soll man da etwas Vernünftiges herausfinden können?“

      „Naja, aber vielleicht gibt es irgendwo im Internet zum Beispiel Einträge von Ehemaligen, die über diese Hexe herziehen und demnach Anhaltspunkte, wo sich dieses Heim befindet. Ein Versuch wäre es wert.“

      Lavinia nickte. „Okay, ja, wenn du meinst. Willst du das jetzt machen oder morgen?“

      Karl erhob sich vom Sofa. „Wie gesagt, warum warten. So könnten wir es eventuell jetzt herausfinden und doch schon morgen losfahren.“

      Lavinia nickte. Sie stand auch vom Sofa auf, immer noch mit der Kuscheldecke umschlungen. „Hier steht mein PC, da kannst du gerne suchen.“

      Karl setzte sich an den PC und gab in einer Suchmaschine die Worte „Hexe, Kinderheim, Deutschland“ ein. Die ersten Treffer ergaben nichts, er musste einige Seiten weitersuchen, um auf einen annehmbar guten Treffer zu geraten. Es schien ein Forum zu sein, wo sich Menschen über bestimmte Themen austauschten. Darunter befanden sich auch zwei Frauen, die in einem Kinderheim aufgewachsen waren und sich mit krassen Schimpfworten über eine alte Erzieherin ausließen. Karl sah Lavinia an. „Kann es das sein?“

      Lavinia blickte auf den PC-Bildschirm und las die Einträge der Frauen. Der Name der alten Erzieherin wurde hier mit Frau Notburga Welmers bezeichnet. Lavinia dachte nach. Konnte sie allen Ernstes diesen Namen der Frau vergessen oder so stark in ihr Unterbewusstsein verdrängt haben, dass sie nun keine Spur hatte, um auf Ahnenforschung gehen zu können? Nervös versuchte sie sich zu erinnern, irgendeine Erinnerung aus ihrer Kindheit hervorzukramen, der einen kleinen Fetzen des Namens enthielt.

      Notburga Welmers. Sie wiederholte diesen Namen immer wieder im Geiste. Karl sah sie erwartungsvoll an. „Und?“, fragte er ungeduldig.

      Lavinia schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, ich kann es nicht sagen. Wenn man sich nicht mehr erinnern kann, ist das schwierig. Wir haben nie ihren Namen gesagt, nur schlimme Namen für sie. Wenn er vielleicht nur ein einziges Mal gefallen ist, dann ist das nicht einfach, sich wieder daran zu erinnern, wenn er mir als Kind nichts bedeutet hat.“

      Karl seufzte. „Ja, aber dieser Name ist wichtig. Wenn wir sonst keine anderen Treffer finden, der auf eine Hexe in einem Kinderheim hinweist, müssen wir diese hier nehmen und morgen dorthin fahren.“

      Lavinia nickte. „So ist es dann wohl.“

      Karl nickte ernst und widmete sich wieder seiner Internetsuche. Er durchforstete alle 20 Seiten der Treffersuche der Suchmaschine, doch kein Eintrag passte so gut wie die Einträge der jungen Frauen. Ob es sich hier wirklich um das Kinderheim handelte, in dem Lavinia aufgewachsen war?

      II.) AD 1204 n.Chr., Schwarzwald, Heiliges Römisches Reich

      Einst trug es sich zu, dass ein nie enden wollender Winter das Land bedeckte und es unter sich begrub. Es lag bereits eine enorme Decke aus weißem jungfräulichen, glitzerndem Schnee auf der Erde und munter rieselte der Schnee weiter leise hernieder.

      Es war Nacht und ein kleiner Junge in Armenkleidung, in dreckigen, zerrissenen Lumpen, stapfte halberfroren durch den immer höher werdenden Schnee. Bibbernd und keuchend kämpfte sich der arme Bub durch das eisige Weiß, ohne irgendetwas in der Dunkelheit zu erkennen.

      Er befand sich im Wald, doch konnte er nicht recht sagen, ob vor ihm sich weiterhin der Wald erstreckte oder ob er bereits so weit gewandert war, dass sich eine Stadt vor ihm auftat.

      Zwar erkannte er nun Lichter, doch wusste er nicht recht woher sie kamen.

      Allmählich schwanden dem Buben die Kräfte und sein Leib war eiskalt.

      Er durfte jetzt nicht stehenbleiben, durfte nicht das Bewusstsein verlieren.

      Er musste auf jeden Fall seine erfrorenen Gliedmaßen bewegen, sie warmhalten.

      Doch so sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht und so fiel er bewusstlos inmitten der Nacht in den eisigkalten Schnee.

      * * *

      Wärme. Wohlig weiche Wärme. Ein Duft nach Lavendel erfüllte seine Sinne. Ein zarter Windhauch fuhr durch sein Haar. Ihm war, als läge er auf einer Wolke. Was war geschehen?

      Ein paar sanfte Laute entfuhren ihm und sogleich erklangen laute Schritte, die sich ihm näherten. Jemand legte eine Hand auf seine Stirn. Eine kleine zarte Damenhand. Noch mehr Lavendel zog in seine Nase.

      War er tot?

      War er im Himmel?

      War die Hand auf seiner Stirn die eines Engels gar?

      Mit Bedachtheit bemühte sich der Junge darum, seine Augen zu öffnen. Ihn umgab ein helles, gelbliches Licht.

      Eine zierliche in Weiß gekleidete Gestalt saß an seiner Seite. Verschwommen nahm er alles wahr. Erst bei mehrmaligem Blinzeln verschwand die Verschwommenheit und sodann empfing ihn die Gestalt in Weiß mit einem sonnigen Lächeln. Es war eine Dame. Rotblonde Locken zierten ihren Schopf und große grüne Augen leuchteten auf ihn herab.

      „Sind Sie ein Engel, mein Fräulein?“, flüsterte der Bub.

      Die weiße Gestalt lachte laut. Es war ein wohliges, warmes Lachen, voller Sonne und Frieden und Heiterkeit. „Oh, nein, mein lieber Junge“, begann die warme weiche Frauenstimme zu sprechen. „Ich bin gewiss kein Engel. Ich kümmere mich um dich.“ Sanft strich sie über seine Wange. „Und meine Tochter auch.“ Sogleich trat ein Mädchen hinzu, die genauso warm lächelte, mit rotblonden Locken und grünen Augen, wie die ihrer Mutter.

      „Guten Tag, mein Werter. Ich bin Theresia“, sprach das Mädchen und tätschelte sanft die Hand des Jungen. „Du hast draußen im kalten Schnee gelegen, wir dachten schon, du wärest tot!“ Das Mädchen sprach recht hastig und Sorge mischte sich in ihre Erzählung. „Gott sei Dank haben dich unsere Bediensteten rechtzeitig gefunden, sonst wärest du es jetzt wirklich.“ Nun kehrte wieder Heiterkeit in ihr Antlitz zurück und sie strahlte den Jungen an, der wiederum bei diesem Anblick des Mädchens, bei dieser engelsgleichen Schönheit, nichts zu entgegnen vermochte.

      Doch dann