Mel Mae Schmidt

Die vom glänzenden See


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das zeugt von Schwäche. Im Gerichtssaal geht es um Stärke. Um Macht. Um Gerechtigkeit. Du musst dort alles geben für deinen Mandanten. Und dein Mandant bezahlt dich nicht dafür, dass du wie ein kleines Mäuschen herumpiepst und keinen Ton herausbekommst. Du musst ihn verteidigen. Stark, gefasst und selbstsicher.“ Gefasst sah er wieder auf die Straße.

      Lavinia sah ihn bewundernd an. Wie gern sie so wäre wie er. So entspannt. Überlegen. Mächtig. Als er das kleine herumpiepsende Mäuschen erwähnte, kam es ihr so vor, als rede er von ihr. So kam sie sich immer vor, wie ein kleines Piepsmäuschen. Unterlegen. Nervös. Mädchenhaft.

      Geknickt schaute sie nun auch wieder nach draußen auf die Straße.

      Lange saßen beide nur da und sagten kein Wort. Karl schaute ernst und konzentriert auf die Straße und wollte offensichtlich nicht mit Lavinia reden. Zum Teil schien er heute abwesend. Als bedrücke ihn etwas. Lavinia konnte sich nicht erklären, was es sein könnte, immerhin war sie diejenige, die eine Last auf ihrem Herzen hatte. Das, was ihr bevorstand.

      Nach fast zwei Stunden und wenig Verkehr erreichten Karl und Lavinia Freudenstadt. Ein herrliches kleines altes Städtchen, wie Karl fand. Sehr hübsch, um Urlaub zu machen. Lavinia nickte zustimmend. Warum war sie nur von hier geflüchtet damals? Nur wegen dem Kinderheim? Damals mit achtzehn hatte sie wohl kein Auge für die Schönheit der Stadt und wollte nur weg. Ganz schnell weg. Doch nun, wo sie an einem schönen sonnigen Wintertag hier war, fand sie, dass diese Stadt wirklich auf den ersten Blick zauberhaft war. Ein Märchenort!

      „Ich muss noch rasch einen Parkplatz finden“, sagte Karl und schlich mit dem Auto von Sträßchen zu Sträßchen. „Schlimm, wenn man sich nicht auskennt.“ Er hielt ganz konzentriert nach einer Parkmöglichkeit Ausschau. „Und das Navi kann mir hier auch nicht helfen. Ob mein Smartphone weitere Infos hat?“ Er dachte laut nach.

      „Hier ist ein Kaufhaus. Wir können doch hier parken“, schlug Lavinia vor.

      Karl verzog das Gesicht. „Dann kommen wir hier nur wieder raus, wenn man was kauft. Bezahlen für einen Parkplatz ist generell nicht meine Strategie. Ich versuche einen freien kostenlosen Parkplatz zu bekommen.“ Er fuhr durch verschiedene Straßen und bekam schließlich was er wollte. In der Friedrichsstraße gab es einige freie und kostenlose Parkplätze. „Und ein paar Meter weiter ist schon das Rathaus!“, rief Karl begeistert. „Dort können wir doch auch als erstes hingehen, oder? Naja, oder eben das Kinderheim.“

      Lavinia seufzte. „Keine Ahnung. Was eben besser ist. Ich weiß auch nicht, ob das Kinderheim irgendwelche Informationen über mich hat. Meine Geburt, meine Familie. Wenn ich dort nur abgesetzt wurde, was sollen die schon wissen?“ Lavinia sah etwas traurig drein.

      Karl schnallte sich vom Auto ab und lächelte. „Du weißt nicht, ob das Kinderheim keinerlei Infos über dich hat. Vielleicht ja doch. Es könnte doch sein, dass für dich dort etwas hinterlassen wurde von deinen Eltern. Alles ist möglich, Livi.“

      Lavinia stöhnte und schnallte sich nun auch ab. „Wenn du meinst.“

      Karl lachte. „Na komm schon. Wir gehen also erst zum Kinderheim.“

      „Konnten wir nicht näher am Kinderheim parken als näher am Rathaus? So müssen wir noch weit zu Fuß gehen!“, jammerte Lavinia und fing an, sich wie ein kleines Kind zu benehmen.

      Karl sah sie ausdruckslos an. „Wirst du nun wieder zum Kind, je näher wir uns dem Kinderheim nähern, oder wie darf ich deine Quengelei verstehen? Dann gehen wir eben etwas zu Fuß! Wir haben nun fast zwei Stunden nur gesessen, da ist das nun wirklich nicht zu viel verlangt.“ Karl sprach wie ein Vater zu Lavinia und grinste sie neckisch an. Diese verzog nur das Gesicht.

      Sie gingen einige kleine Straßen entlang und bewunderten die schöne Altstadt. Die Bauten waren noch aus vergangenen Jahrhunderten und schnell verschwand man im Geist in frühere Zeiten. Karl und Lavinia fanden es erstaunlich hier.

      Fast eine halbe Stunde später kamen sie dann am Kinderheim SONNENLICHT an und Lavinia wurde sehr nervös.

      „Hey, keine Sorge“, versuchte sie Karl zu beruhigen. „Ich bin ja da, okay? Dir wird nichts geschehen.“ Er lächelte sie aufmunternd an. Lavinia nickte. Sie bemühte sich um mehr Gelassenheit. „Denk wie ein Anwalt, sei ein Anwalt“, flößte ihr Karl ein und Lavinia nickte. „Sei stark.“

      Mit wild pochendem Herzen trat Lavinia näher an das Gebäude heran. Karl folgte ihr mit einigem Abstand. Lavinia lugte zunächst vorsichtig durch eines der Glasfenster und atmete tief durch ehe sie, mit einem letzten Blick zu Karl, den Klingelknopf drückte.

      Es dauerte eine Weile bis jemand öffnete. Es war die Schnepfe.

      Lavinia sah sie panisch an. Diese blickte Lavinia mit äußerster Kühle an. „Sieh mal einer an, da ist sie ja wieder“, gab die kleine streng aussehende Frau mit rauchiger Stimme zu erkennen. „Lange nicht gesehen nach deiner Flucht, du undankbares Gör!“ Ihre Gesichtszüge verhärteten sich und aus ihrem Innern drang ein Knurren.

      Karl verschlug es den Atem. Es kam ihm vor, als stünde er vor dem leibhaftigen Teufel. Oder seiner Mutter. Oder sogar Großmutter.

      Er fing sich bald wieder und gab seine Anwesenheit mit einem Räusperer zu erkennen. Die Hexe wandte sich ihm unbeeindruckt zu. „Sind Sie etwa Ihr Begleiter? Kann sie nicht alleine herkommen? Oder hat sie zu viel Schiss?“ Belustigt ließ sie ein krächzendes Lachen verlauten.

      Karl verwandelte sich augenblicklich vom Menschen und guten Freund zum kühlen und mächtigen Rechtsanwalt. „Nun, Frau Normandell braucht Ihnen keine Rechenschaft abzulegen. Sie kann kommen und gehen wie und mit wem sie will. Ich habe sie hergefahren, um Ihr juristischen Beistand zu leisten. Aus diesem Grund haben wir bei Ihnen geklingelt. Wir brauchen von Ihnen Informationen, wenn es genehm ist, Frau –„ er stockte und wartete ab, bis die Hexe von selber ihren Namen preisgab.

      Diese schaute ihn amüsiert an. „Juristischer Beistand? Soso. Und Sie brauchen Informationen von mir? Was könnte ich Ihnen denn schon geben? Was meinen Sie, könnte ich an Informationen haben, die Sie interessieren könnten?“ Überlegen sah sie von Lavinia zu Karl.

      Karl spürte, wie seine Anwaltschaft in den Dreck gezogen wurde, angezweifelt von einer Hexe. Kühl und ebenso überlegen blickte er zu ihr hinab.

      „Nun, Frau … wie auch immer Ihr Name lautet. Frau Normandell begehrt Informationen über ihre Vergangenheit. Ihre Familie. Sie waren immerhin ihre Bezugsperson vom ersten Tage. Sie werden doch sicherlich Informationen für sie haben, die sie verwenden kann, um mehr Forschung betreiben zu können. Oder etwa nicht?“ Erwartungsvoll sah er sie an.

      Die Hexe lachte spöttisch. „Sie sind ja ein lustiger Kauz. Kommen einfach so ohne Ankündigung her und meinen, ich würde springen, wenn Sie pfeifen. Glauben Sie etwa, ich habe nichts anderes zu tun? Ich betreibe hier immerhin ein Kinderheim! Ich muss auf zig Bälger aufpassen, die nicht genug haben können und immer mehr, immer mehr haben wollen. Ihr Maul kann ich ihnen nicht genug stopfen und ihr Gequengel macht mich wahnsinnig! Ich hab jetzt keine Lust mit Ihnen zu reden. Kommen Sie irgendwann anders wieder. Kapiert?“ Mit diesen Worten wollte die Hexe die Türe zuschlagen, aber Karl ließ sich nicht einfach so abwimmeln. Flink wie er war schoss er vor und setzte seinen Fuß zwischen Türe und Türrahmen. So konnte die Hexe nicht schließen.

      „Wir gehen erst, wenn wir haben was wir begehren. Wir sind fast zwei Stunden gefahren und lassen nicht locker. Was Sie da tun ist gegen das Gesetz!“, raunte Karl der Hexe zu und starrte sie ernst an. Die Hexe schnaubte verächtlich. „Sie sind sehr aufdringlich. Ich habe keine Lust auf Spielchen!“ Sie bemühte sich mit aller Kraft die Türe zu schließen, indem sie Karl wegzustoßen versuchte. Doch dieser war größer und kräftiger als sie und so blieb er wo er war. Er lachte nun ebenso spöttisch. „In der Zeit, wo Sie versuchen uns loszuwerden, hätten wir schon längst Informationen von Ihnen erhalten können. Sie rauben sich gerade selber Ihre kostbare Zeit. Machen Sie die Türe auf, wir treten ein und Sie sagen uns, was Sie wissen. Dann sind wir so schnell wie möglich wieder weg von hier!“ Karl genoss die unterentwickelte Intelligenz dieser Hexe und fand es sehr unterhaltend, ihr bei ihren kläglichen Versuchen, ihn loszuwerden, zu beobachten.

      Die Hexe seufzte. Ihr Gekrächze war kaum zu ertragen. „Na