Mel Mae Schmidt

Die vom glänzenden See


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Das eine war düster und böse und kein Leben herrschte darin, und das andere war hell und gut und das Leben blühte nur so.

      Der Bub war wohl doch müder als er dachte und so schlief er Stunde um Stunde. Erst gegen Abend schaute die Königin vorbei und weckte ihn sanft.

      „Wach auf, kleine Schlafmütze“, sprach diese sanft zum Buben. „Gleich ist es Zeit zu dinieren. Oder möchtest du lieber hier oben essen? Fühlst du dich noch nicht wohl?“

      Der Bub sah sie schlaftrunken an. „Ich möchte sehr gern hier oben dinieren, wenn es in Ordnung geht.“

      Die Königin lächelte. „Natürlich. Ich sage dem Dienstmädchen Bescheid, dass es dir etwas zu essen bringen möchte.“

      * * *

      So verstrichen die Tage und der arme Junge musste Tag für Tag neue Streiche des Vettern der Prinzessin über sich ergehen lassen. Einmal stellte er ihm beim Spiel auf der Wiese vor dem Palaste ein Bein, dann stieß er ihn hart zu Boden oder trat ihn heftig gegen das Schienbein unter dem Tisch beim Dinner. Der Bub musste bei Letzterem arg an sich halten, um nicht vor allen anderen laut aufzuheulen und so schluckte er mit heißen Tränen in den Augen den furchtbaren Schmerz hinunter, den der grausamen Tritt verursacht hatte.

      Da sah ihn der Vetter mit höhnisch grinsendem Gesichte an und sah zur Prinzessin, die von alledem nichts mitbekam.

      An einem schönen Tage im Garten des Palastes saß der arme Bub auf einer Bank und sah traurig auf die feinen Blumen, die ihm zu Füßen emporwuchsen. Auf einmal gesellte sich der Vetter dazu und der arme Bub wagte gar nicht zu ihm aufzuschauen. So behielt er den Blick gesenkt und starrte wie gebannt auf die Blumen.

      „Wenn ich erstmal die Prinzessin geheiratet habe“, so sprach plötzlich der Vetter, „dann kommt all der Schund hier weg. Wenn ich hier regiere, gibt es keine dummen Blumen mehr. Dann trample ich hier alles tot!“

      Er sah zum Buben. „Und dich will ich hier dann auch nicht mehr sehen. Selbst wenn du der beste Freund meiner Braut bist oder eine Art Sohn der Königin und des Königs. Du kommst in den Kerker!“

      Angewidert sah er ihn an. Der Bub reagierte nicht darauf.

      „Dummer Pöbel!“ Dann schritt der Vetter davon.

      Welch´ ein sonderbares Benehmen für einen Neunjährigen!, dachte da der Bub und blickte zur Prinzessin, die lachend um den Vetter tanzte und ihm einen Büschel Blumen hinhielt. Er roch daran und tat, als gefiele es ihm. Lange beobachtete der Bub die beiden und ein seltsames Gefühl regte sich in ihm. Eifersucht? Er wusste es nicht zu benennen, er wusste nicht mal das Gefühl wahrhaft zu benennen, das ihn plagte, wenn er die Prinzessin ansah. Liebe?

      Der Junge blickte lange auf die Prinzessin und ihre langen Locken, ihr rotblondes Haar. Einem Engel gleich …

      * * *

      Nach langen Wochen des Besuches des Vetters kam endlich der ersehnte Tag der Abreise. Zumindest ersehnte der Bub dich diesen Tag seit dem ersten Tag der Ankunft.

      Beim Abschied würdigte er den Buben keines Blickes und gab stattdessen seiner Base einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

      „Au revoir, Mademoiselle“, sprach dieser wie ein rechter Edelmanne und stieg dann in den Wagen.

      Die Prinzessin war davon ganz entzückt.

       Sie winkte ihm wild hinterher und als der Wagen nicht mehr zu sehen war, wandte sie sich an den Buben und rief: „Jetzt haben wir wieder zu zweit Spaß!“ So lief sie auf ihn zu und umarmte ihn. Dem Buben wurde es warm ums Herz und er nahm den sanften Geruch von Lavendel wahr, den er tief einsog, um ihn nie mehr zu vergessen …

      * * *

      So trug es sich zu, dass die Jahre ins Land gingen und der Bub und die Prinzessin nun zarte dreizehn Jahre zählten.

      Noch immer waren sie die besten Freunde und noch immer spielten sie gemeinsam. Aus dem kleinen hübschen Mädchen ward eine wunderschöne junge Dame geworden, die nicht mehr ganz so ausgelassen war, wie noch zu Kindertagen. Der Bub ward zu einem jungen kräftigen Jüngling herangereift, dessen Gefühle für die Prinzessin von Jahr zu Jahr intensiver schienen.

      Die Silhouette der Prinzessin war nun viel femininer und noch engelhafter und so konnte der Bub nur noch tagein, tagaus ihrem federleichten Gang und ihrer sanften Anmut zuschauen. Er war fasziniert von ihr.

      Beide wurden nun erwachsen und so sehr der Bub die Prinzessin liebte, desto weniger glaubte er daran, dass sie für ihn genauso empfand.

      Er schlich sich so manche Nacht nach heftigen Albträumen zu ihr in ihr Schlafgemach und besah sich im Mondeslichte Schein des Prinzessin Antlitz, wie er es schon so oft als junger Bub getan hatte.

      Aus dem Mädchen war eine Frau geworden und ihre Schönheit entfaltete sich immer mehr. Hin und wieder kam es vor, dass der Bub die Zeit vergaß und gar eine Stunde nur so dastand an ihrem Bette und sie anschauen konnte. Ein heftiges Sehnen erfüllte seine Brust. Bald schon feierten sie ihr vierzehntes Wiegenfest und er wollte ihr so gern sagen, was er fühlte. Aber er konnte nicht.

      Wie eine wunderschöne und leicht zerbrechliche Porzellanpuppe behandelte er sie, so kostbar erschien sie ihm.

      An einem sonnigen Nachmittage im Garten des Palastes, am Tage ihres vierzehnten Wiegenfestes, saß die Prinzessin auf einer Decke auf der frühlingshaft blühenden Wiese und zeichnete. Ihr gegenüber auf der Decke saß der Bub. Er beobachtete, wie die Prinzessin die schöne Flora nachzeichnete. Wie ihre schmalen und eleganten Finger mit dem Kohlestift über den Zeichenblock flogen, wohlbedacht, ihre Damenfinger nicht zu schwärzen dabei. Sie selber trug ein weißes Rüschenkleid mit roten und gelben Blümchen darauf. Ihre langen rotblonden Haare lagen als lockerer Zopf seitlich über ihre Büste bis hinunter auf ihren Schoß, auf dem sie zeichnete. Ihre Wangen waren rosig und ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht.

      Mit Hingabe und Ruhe saß die engelgleiche Prinzessin da und der Bub war hin und weg von ihrer Erscheinung.

      Noch Stunden hätte er sie so ansehen können. Er hatte sich überlegt, ob er ihr heute, an ihrem Wiegenfeste, sagen sollte, dass er sie liebte. Nur wusste er nicht, wie genau er dies tun sollte. Er konnte es ihr immerhin nicht einfach so mir nichts, dir nichts sagen!

      Plötzlich hob die schöne Prinzessin den Kopf und lächelte den Buben an, als habe sie seine Gedanken mitangehört. Ihre grünen Augen strahlten ihn an. Sie hob die Zeichnung von ihrem Schoß hoch und zeigte sie ihm. Sie seufzte. „Ich will deine ehrliche Meinung hören. Scheußlich, oder?“ Traurig sah sie ihn an.

      Der Bub besah sich die Zeichnung genau. Scheußlich? Wie konnte die Prinzessin nur so etwas denken? Es war grandios!

      Der Bub lächelte. „Sie sind zu bescheiden, Fräulein. Diese Zeichnung ist wohl gar noch viel besser als jene von Michelangelo! Ich hoffe, Sie werden sie nicht auch ins Feuer?“

      Die Prinzessin schaute ihn überrascht an.

      „Michelangelo? Na, ich weiß nicht. Selbst wenn die Zeichnung nicht scheußlich wäre, so wäre diese aber bei Weitem nicht so genial wie die von Michelangelo.“ Die Prinzessin sah sich nun ihre Zeichnung genau an.

      „Wenn Sie nun auch noch mit dem Schreiben anfingen, dann wären Sie eine Michelangela“, sprach der Bub und lachte.

      Die Prinzessin schaute verdutzt. „Schreiben? Michelangelo?“

      Der Bub nickte. „Ja, er hat auch Geschichten geschrieben. Aber da er sie für so scheußlich hielt, warf er sie allesamt ins Feuer, wie auch Teile seiner Zeichnungen.“

      „Oh“. Die Prinzessin sah betrübt zu Boden.

      Eine Stille trat ein, die nur erfüllt war von Vogelgezwitscher und dem Summen der Bienen und Hummeln.

      „Bei diesem Duft nach blühenden Blumen und die milde Luft und das Vogelgezwitscher bekommt man ja Frühlingsgefühle“, kicherte die Prinzessin und hielt sich verlegen die Hand vor das Gesicht.

      Der Bub sah hier seine Gelegenheit. Er schluckte. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte. Und doch musste er sich beeilen, sonst war die Gelegenheit weg.