Mel Mae Schmidt

Die vom glänzenden See


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heraus: „Wir sind Könige.“ Stolz sah sie auf den Jungen herab. Sogleich wurde ihre Mutter ernst, und streng entgegnete sie an ihre Tochter gewandt: „Hör mir bitte gut zu, liebe Tochter. Das wir von königlichem Blute sind, enthebt dich nicht vom Menschsein und der Barmherzigkeit. Vergiss das niemals: Vor Gott sind wir alle gleich. Nutze deine Macht niemals für Frevelhaftes. Hast du verstanden?“ Das Mädchen war feuerrot geworden und gehorsam und mit gesenktem Haupte erwiderte sie ein leises „Gewiss, Frau Mutter.“ Der Junge im Bett sah diesem Zwischenspiel entgeistert zu. „Oh, bei meiner Seel! Eure Hoheit! Ich wusste ja nicht! Ich bitte um Verzeihung.“ Hastig suchte der arme Bub nach geeigneten Worten, auch er war nun putterrot. Er wollte schon vor Scham aus dem königlichen Bette steigen, doch die Königin hielt ihn zurück. „Junger Mann, ich bitte darum, liegen zu bleiben. Du musst dich stärken! Und sprich mich bitte an, wie es dir beliebt. Gerne auch etwas legerer.“ Die weiße Dame lächelte milde. Etwas beruhigt legte sich der Bub wieder nieder. Er nickte. „Ist gut, Madame.“ Das Mädchen lächelte. „Du kannst bei uns bleiben, bis es dir wieder gut geht.“ Der Junge nickte erneut. „Vielen Dank, wertes Fräulein.“ Mutter und Tochter lächelten den Jungen aufmunternd an. „Wie ist denn dein Name, mein Junge?“, fragte da die Weiße Dame. Der Junge zögerte kurz. „Jonathan, Madame. Jonathan Engelsen.“ Die Weiße Dame und das Mädchen lächelten einander an. „Nun, dann herzlich willkommen bei uns, Jonathan.“ „Danke sehr, Madame.“ Es herrschte kurz Stille. Dann sprach der Junge weiter: „Vergeben Sie mir, aber … wie lange habe ich geschlafen?“ Die weiße Dame überlegte. „So ungefähr vier Tage. Du scheinst wohl sehr erschöpft gewesen zu sein. Der Doktor war hier und hat nach dir gesehen. Eine leichte Unterkühlung hast du dir zugezogen, die bestimmt inzwischen auskuriert ist. Man bereitet gerade Essen für dich zu, ich nehme an, du hast Hunger?“ Sie zwinkerte den Jungen an, der nun heftig nickte. „Oh ja, Madame. Das habe ich.“ Sogleich trat ein Dienstmädchen hinzu und stellte auf den kleinen Tisch mitten in dem großen Zimmer ein Brett mit Mahlzeiten ab. „Wie gewünscht, das Essen für den Jungen, Eure Hoheit“, sprach das Dienstmädchen, machte einen Knicks und verschwand aus der Türe. Die weiße Dame lächelte den Jungen an. „Nun, dann werden wir dich mal in Ruhe essen lassen. Ich hoffe es schmeckt dir.“

      * * *

      Jonathan gefiel seine neue, ach so königliche Umgebung. Ihm gefiel, wie herzlich der König, die Königin und die Prinzessin ihn aufnahmen. Ihre Güte und Anmut blendeten ihn. Dass er ein armer Bursche war, störte sie nicht. Zum ersten Mal in seinem Leben behandelte man ihn nicht wie dreckiges, lästiges Vieh. Sondern wie einen Menschen, wie ein wertvolles Wesen. Das schätzte er an ihr besonders.

      Er und die Prinzessin waren im gleichen zarten Alter von neun Jahren. Sie verstanden einander, sie sorgten einander. Wie Geschwister spielten sie tagein, tagaus im riesigen Spielzimmer der Prinzessin oder tobten voll Hingabe draußen im Schnee.

      Der König und die Königin sahen diesem Treiben mit warmen Herzen zu. Ihre Tochter war oft und viel allein, hatte keine Kameraden. Nun blühte sie auf, hatte einen gleichaltrigen Gefährten!

      Die Königin seufzte. „Jonathan geht es schon viel besser.“

      Der König nickte. „Ja. Gott sei Dank.“

      Die Königin sah ihren Gatten an. „Wir sagten ihm, er dürfe hierbleiben, bis es ihm gut geht.“

      Der König nickte abermals. „Ich weiß.“

      Die Königin beobachtete ihren Gatten. „Aber wenn er jetzt geht, bricht es unserer Kleinen das Herz und sie ist wieder alleine.“

      Erneut nickte der König. „Ja. In der Tat.“

      Er schwieg kurz, bis er fortfuhr: „Was ist mit seinen Eltern?“

      Die Königin schluckte. „Er erzählte mir, dass sie vor einigen Wochen verstorben sind. Die Not hat ihnen alles zum Leben genommen. Der Junge ist nun ganz alleine.“

      Der König schluckte nun auch. „Gott habe seine Eltern selig.“

      Daraufhin trat Schweigen ein.

      Erst nach Minuten entgegnete der König bestimmt: „Also, dann ist es entschieden. Er bleibt hier. Als Gefährte und Spielkamerad unserer Theresia.“

      Er sah seine Gattin an, die freudestrahlend zurückblickte. Dann strahlte auch er.

      „Die beiden sind wahrlich zu herzallerliebst, um sie zu entzweien“, sprach die Königin.

      Der König lachte. „Wahre Worte. In der Tat.“ Dann wandte er sich wieder dem Fenster zu und beobachtete, wie die Prinzessin und ihr neuer Gefährte gemeinsam einen Schneemann bauten.

      * * *

      Als der Junge bald drei Monate bei der Königsfamilie lebte, hatte er eines Nachts einen schlimmen Traum.

      Einsam, verlassen und lieblos kam er sich darin vor. Dass weder er geliebt wird, noch, dass er selber fähig ist zu lieben.

      Dass sein Leben eine einzige Finsternis war.

      Keuchend und mit wild pochendem Herzen schrak er vom Kissen hoch. Das Laken war voller Schweiß.

      Voller Sehnsucht und Schmerz dachte er an seine Eltern: Wie er sie an jenem Morgen erfroren in ihren Betten, nur mit dünnen Laken bedeckt, vorfand. Seine Mutter, die gute Seele, die ihm trotz all der Not allabendlich heitere Lieder vorsang; und sein Vater, der ihm Disziplin, Strenge und Mut beibrachte.

      Wie er sie beide vermisste!

      Heiße Tränen rollten voll Pein seine Wangen hinab, sein Gesichtchen von Pein gezeichnet.

      Er kletterte aus seinem Bettchen und suchte. Was genau konnte er nicht sagen. Aber etwas trieb ihn an.

      Dann traf er in der Dunkelheit auf ein Zimmer, das wohl das Zimmerchen der Prinzessin zu sein schien, wie der Junge zu erkennen meinte.

      Er öffnete die Türe und trat hinein. Er trat näher heran und erkannte, wie der helle Schein des Mondes durch das unbedeckte große Fenster fiel. So erblickte er voll Wonne das süß schlummernde Antlitz der Prinzessin.

      Sofort wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und besah sich mit nun heiterem Herzen die schlafende Prinzessin. Wie ihre langen rotblonden Haare in sanften Wellen auf ihrem Rücken aufgefächert lagen und sie selbst in Bauchlage in ihrem Bette dalag. In ihrem weißen Nachtgewand glich sie sehr ihrer engelgleichen Mutter.

      Der Junge trat nun ganz nah an das Mädchen heran. Sofort nahm er wieder ganz deutlich den Duft von Lavendel wahr. Sein neuer Lieblingsduft!

      Er beugte sich über sie und küsste sie sanft wie ein großer Bruder auf die Stirn.

      Dann verließ er sie wieder, kehrte in sein Bett zurück und schlief bald darauf mit dem Bild der schlafenden, nach Lavendel duftenden Prinzessin ein.

      * * *

      Es war inzwischen Sommer geworden und die Hitze ergoss sich unbarmherzig über dem Lande.

      Der Lavendel im Garten der Königsfamilie blühte nun sehr deutlich und ein prächtiger Strauß dessen zierte nun jedes Zimmer im Palast.

      Überall duftete es herrlich nach Lavendel und die Hummeln erfreuten sich an seinem Geschmack. Die Prinzessin hüpfte frohlockenden Herzen von Zimmer zu Zimmer und ihr Gefährte sah dieser Ausgelassenheit freudig zu.

      „In zwei Tagen kommt mein Vetter“, rief sie. „Ich freu mich so, ich freu mich so!“

      Dies jedoch ließ den Buben traurig werden. Er wusste nicht wieso, aber Unbehagen machte sich breit in seiner Brust.

      Dieses Gefühl konnte er nicht benennen, und auch nicht, wie sich dies seltsame und doch heitere Gefühl nannte, das er der Prinzessin gegenüber zu empfinden schien.

      Er war noch keine zehn Jahre alt, er wusste noch nicht viel vom Leben und seinen Eigenarten.

      Und doch fühlte er sich bedrängt, gar bedroht.

      So, wie sich die kleine Prinzessin auf den Besuch ihres Vettern freute, schmerzte etwas in der Brust des kleinen Jungen auf. Betrübt lief er seiner Freundin hinterher. „Sie freuen sich gar sehr auf Ihren Vetter, Fräulein?“

      Die