Mel Mae Schmidt

Die vom glänzenden See


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wenn er kommt. Dann spielen und toben wir Tag und Nacht und lachen und sind heiter!“ Jauchzend hüpfte sie nun in ihrem Spielzimmer umher.

      Der Junge wurde nun noch trauriger. „Wenn Sie also Ihren Vetter hier haben, Fräulein, dann brauchen Sie mich ja nicht. Wo soll ich dann hin?“

      Mit gesenktem Haupte stand er vor ihr.

      Diese blieb nun reglos stehen. „Was redest du da? Du spielst natürlich mit! Zu dritt wird es noch viel lustiger!“ Somit fing sie wieder an, jauchzend herum zu hüpfen.

      Jonathan sah überrascht drein. „Wie meinen? Ich darf mitspielen? Was würde aber denn Ihr Vetter dazu sagen?“

      Theresia lachte vergnügt. „Ach, der tut das, was ich sage und wenn nicht, dann werde ich dem die Leviten lesen.“

      Lachend und ausgelassen tobte sie durch den Palast. Dem Jungen ging das Herz auf bei diesem Anblick. Und auch darüber, dass er gar mitspielen durfte.

      So ging es noch den ganzen restlichen Tag, dass die kleine Prinzessin nicht still halten und nur mit erquicktem Herzen umherspringen und heitere Lieder singen konnte.

      Die Eltern, der König und die Königin, sahen der ausgelassenen Heiterkeit ihrer Tochter glücklich zu.

      Noch ein Spielgefährte für die Prinzessin!

      * * *

      Schließlich war der große Tag da, an dem der Vetter, Prinz Stephanus von Lörrach, der Prinzessin – ein sehr wohlhabender Bursche und recht eitel – am Palast eintraf und mit ihm sein Hauslehrer, der Kammerdiener und sein „Meister“, wie er ihn nannte, der dafür zuständig war, dass dem kleinen Edelmann keine Frivolitäten in den Kopf kamen und für die Rolle eines rechten Aristokraten vorbereitet wird.

      Mit offenen Armen und Gejauchze lief die Prinzessin auf ihren Vetter zu und schlang ihre Arme um ihn.

      „Wie ich mich freue, dich zu sehen“, rief sie aus und ihr Vetter umarmte sie ebenfalls. Doch eher zögerlich und verhalten. Eher kühl.

      „Ich freue mich auch, Kusinchen“, erwiderte dieser hochnäsig und löste sich aus der Umarmung. „Es ist immer eine Freude und eine wahre Lustigkeit, hier sein zu dürfen.“

      Die Prinzessin strahlte ihren Vetter munter an und ignorierte wie stets dessen ausgeprägten und frühreifen Snobismus.

      Dann erblickte der Vetter den Jungen, der recht schüchtern dastand und sah ihn herablassend an. „Wer ist das denn bitte?“ Theresia grinste. „Das ist Jonathan; mein bester Freund, Gefährte und Spielkamerad. Er lebt seit einiger Zeit bei uns. Wir werden alle zusammen spielen.“ Vergnügt klatschte sie in beide Hände.

      Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte der königliche Vetter den Jungen. Unsägliche Arroganz füllte seine Brust. „Ach ja? Woher kommt er? Ist er auch von Adel?“ Sein Tonfall war sehr kühl und als könne man den Charakter und die Herzensgüte eines Menschen bloß an der Herkunft des Blutes messen.

      Die Prinzessin schüttelte den Kopf. „Nein, wohl eher nicht. Und wenn, dann verarmter Adel. Wir haben ihn im letzten Winter mit ärmlicher Kleidung draußen im Schnee liegend gefunden. Er wäre fast erfroren.“

      Der Ausdruck auf des Vetters Antlitz wurde noch arroganter. „Soso.“

      Er trat näher an den armen Jungen heran, dem das alles nun recht peinlich war. Der Vetter musterte ihn mit hasserfülltem Blick. „Ein armer Bursche wie du“, zischte er so leise, dass es die Prinzessin nicht hören konnte, „getarnt in Kleidung eines Prinzen gesteckt, gehört hier nicht her. Damit wir uns gleich richtig verstehen: Ich hasse euereins! Wärst du doch nur erfroren!“

      Der Junge sah den Vetter regungslos in die dunklen bösen Augen. „Gewiss.“

      Er ließ sich nichts anmerken und bemühte sich, nach diesen Worten nichts zu empfinden.

      Der Vetter nickte und wandte sich nun mit aufgesetzter Freundlichkeit seiner Base zu. Diese strahlte weiter, denn sie glaubte, ihr Vetter habe ihrem Gefährten gute freundschaftliche Worte zugeraunt.

      „Kommt“, rief sie vergnügt aus, „gehen wir in mein Spielzimmer!“

      Mit erhobenem Haupte folgte der Vetter seiner Base und wandte sich dem Jungen zu. „Na los“, zischte er kühl, „komm mit uns, Bauerntrampel.“

      Der Junge setzte sich in Bewegung und folgte dem Vetter ins Spielzimmer.

      Als sie dort waren, erschrak die Prinzessin. „Oh, ich habe etwas vergessen! Fangt schon mal ohne mich an, Jungs!“ So lief sie wieder aus dem Spielzimmer und ließ den Vetter mit dem armen Jungen allein. Der Vetter lachte diabolisch.

      Dem Jungen war es gar nicht wohl zumute.

      „Soso, Bauerntrampel“, begann der Vetter und nahm ein Bauklötzchen in die Hand. Er warf es mehrfach in die Luft und sah es hasserfüllt an, sobald es wieder auf seiner Handfläche landete.

      „Nun sind wir alleine – du und ich.“

      Der arme Junge keuchte. Was hatte er vor?

      Und schon im nächsten Augenblick schoss da das Bauklötzchen gegen seinen Schädel, das der Vetter soeben noch in seiner Hand hielt. Dieser schleuderte dem Jungen immer mehr und mehr Bauklötzchen entgegen, die meisten trafen den Jungen am Kopf, im Gesicht. Trotz der Schmerzen wagte er es nicht zu schreien. Blut rann ihm aus der Nase, aus dem Kopf. Er lag am Boden.

      Erst als alle Bauklötze aufgebraucht waren, hörte der Vetter auf. Abermals lachte er diabolisch.

      „Siehst du“, zischte er, „siehst du nun wo dein Platz ist? Dort unten! Bauerntrampel!“

      Plötzlich riss jemand die Türe zum Spielzimmer auf und die Prinzessin stürmte herein, sah, wie ihr Gefährte blutend am Boden lag und kreischte panisch: „Was ist denn nur geschehen?“

      III.) HEUTE – 05. November 2016, TODTNAU/FREUDENSTADT, SCHWARZWALD

      „Wie lange, hast du gesagt, dauert nochmal die Fahrt?“, erkundigte sich Lavinia bei Karl, während sie auf der Autobahn in Richtung Freudenstadt fuhren.

      Karl seufzte. „Ich habe gesagt, dass es wahrscheinlich fast zwei Stunden dauern wird. Ohne Verkehr wohlgemerkt. Diese ist die kürzeste Möglichkeit, es gab noch zwei längere. Aber über die Autobahn B31 müsste es am schnellsten gehen.“ Er konzentrierte sich wieder auf die Straße.

      Lavinia nickte. „Aber immer noch recht lang. Wie viele Kilometer sind das denn?“

      Karl antwortete nur mit einem weiteren Seufzer. „In etwa 131 Kilometer.“

      „Wollen wir hoffen, dass dort auch wirklich mein Kinderheim steht, sonst war die lange Fahrt umsonst“, entgegnete Lavinia.

      „Werden wir ja sehen. Aber Freudenstadt ist nun mal unser einziger Anhaltspunkt. Wird schon nicht umsonst gewesen sein.“

      Lavinia blickte nachdenklich auf die vorbeiziehenden Bäume und Straßen und Autos. Einerseits wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass es tatsächlich ihr Kinderheim ist und sie dort ihre Vergangenheit findet. Aber andererseits hatte sie große Angst die „alte Hexe“ wiederzusehen. Falls sie noch lebte. Angst und Freude mischten sich in ihr und sie wurde immer hibbeliger.

      „So nervös?“, fragte sie Karl belustigt.

      Lavinia sah ihn an. „Na hör mal! Ich begegne vielleicht dem schlimmsten Menschen dieser Erde und da soll ich nicht nervös sein? Über diese Sache vergesse ich schon fast, weswegen ich dort eigentlich hinwollte!“

      Karl lachte leise.

      Lavinia sah ihn nun ernst an. „Ist ja mal wieder typisch für euch Juristen! Keinerlei Gefühlsregung! Warst du überhaupt schon mal in deinem Leben nervös gewesen?“

      Karl tat beleidigt. „Ich habe keinerlei Gefühlsregung? Ich verbitte mir das!“ Dann lachte er wieder. „Ist mein Lachen etwa keine Gefühlsregung? Aber du hast Recht, ich bin überaus selten nervös.“

      Lavinia schnaubte. „Ja. Sicher. Und du bist total tiefenentspannt