Christian Schuetz

CYTO-X


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abgesehen hatte. „Könntest du deinem Neuro sagen: Bitte trenne den Behälter so, dass ich die zwei Liter habe, die ich brauche und dann einen kleineren zweiten Behälter mit dem Rest?“

      Erik hatte gegrinst und den Behälter auf den Tisch gelegt. Das Neuro hatte er noch als Stirnband getragen. Brugger hatte ihn eine Weile beobachtet, wie er versuchte, die Anfrage mit geschlossenen Augen richtig zu formulieren. Dann hatte Erik das Stirnband abgenommen, es in die Ausgangsform zurückverwandeln lassen, und es einfach auf den Container gelegt.

      Kurz danach waren beide Zeuge geworden, wie sich der Behälter durch das Erzeugen von einer neuen Membran ungefähr im Verhältnis ein Drittel zu zwei Drittel teilte. Erik hatte den kleineren Container oben abgehoben und ihn mit einem Schmunzeln an Brugger weitergereicht.

      „Sagst du mir, was du damit vorhast?“ Brugger hatte dies verneint und dann den Wodka verteilt. Erik hatte zwar die Stirn in Falten gelegt, aber es dann dabei bewenden lassen.

      Das Übergangsversteck „Kühlschrank“ hatte Brugger bewusst gewählt. Erik würde dadurch nicht wissen, wo er es wirklich lagern würde. Ob diese Geheimhaltung tatsächlich nötig war, stand noch in den Sternen, aber Brugger dachte eher daran, das Versteck vor Staam geheim zu halten, als vor Erik. Man konnte nie wissen!

      Nun trug er den kleinen Behälter nach oben in Karinas kleine Giftküche. Sie war spezialisiert auf tropische Krankheiten und hatte zahlreiche Präparate und Heilmittel in ihrem Kühlschrank dort oben gelagert. Der Schrank war natürlich abschließbar, wie es sich gehörte, selbst wenn man in einem Haus lebte, in dem ansonsten nur noch eine weitere Medizinerin lebte, die mit solchen Sachen ebenso umzugehen wusste.

      Brugger vertraute darauf, dass Karina den Schlüssel noch immer in seinem alten Versteck aufbewahrte. Er ging zu dem kleinen antiken Apothekerschränkchen neben ihrem Schreibtisch. Es war sicher ein Vermögen wert, darauf ließ eine kleine geschnitzte Signatur, hergestellt 1875, schließen.

      Der Schrank war aus massiver Eiche gefertigt, mit silbernen Beschlägen, die aber mittlerweile schwarz waren. Es hatte fünf Reihen zu je sieben Schüben. Brugger hatte immer gewitzelt, dass es 1875 wohl genau fünfunddreißig verschiedene Medikamente gegeben haben musste.

      Dritte Reihe, vierter Schub, also genau mittig, öffnete er die kleine Schublade. Da lag ein Päckchen Aspirin. Er grinste, weil er genau wusste, wie sehr Karina gerade dieses Präparat verachtete. Eine frisch gepresste Zitrone hatte mehr Heilkraft! Aber in dem Schächtelchen waren auch keine Tabletten. Brugger nahm es heraus und schüttelte es. Schön, dass sich Gewohnheiten bei Menschen so selten änderten!

      Er nahm den Schlüssel aus der Schachtel und öffnete damit Karinas Kühlschrank. Er deponierte das Cyto-X ganz weit hinten, hinter Blutkonserven der ganzen Familie, die sie immer vorrätig hatte. Brugger prüfte die Ablaufdaten und war erfreut, dass Karina diese sowieso bald würde ersetzen müssen. Jetzt stand der Herstellung von etwas mehr Cyto-X nichts mehr im Wege.

      28 - Kartoffelkeller

      Erik war nach dem Trinkspruch mitsamt eines kleinen Akku-Staubsaugers in den fehlkonstruierten Bunker abmarschiert. Staub und Spinnweben würden ihn zwar nicht gefährden, aber es gab ihm doch ein besseres Gefühl, wenn der Raum gründlich sauber wäre.

      Viel zu tun, gab es nicht. Offensichtlich hatte jemand vor nicht allzu langer Zeit bereits dort durchgesaugt. Der Raum war sogar so sauber, dass man hätte einziehen können. Falls man auf Annehmlichkeiten, wie fließendes Wasser und eine Toilette verzichten konnte. Ein Bunker war dies wahrlich nicht, aber auch kein Kartoffelkeller. Nein, das war der ideale Ort für das große Vorhaben.

      Wieder musste Erik sich wundern. Konnte das alles wirklich so aus der Zukunft gesteuert worden sein? War er irgendwie zu Emma „dirigiert“ worden? Vielleicht hatte jemand die Rankings der Gehirnchirurgen frisiert, damit er in ihrem Wartezimmer landen konnte? Denn nur so konnte er mit Brugger Bekanntschaft machen und nur so konnte er Magnussens Hinterlassenschaften finden, die wohl explizit an ihn gerichtet waren.

      Und was war mit den Zufällen, dass Emmas Mutter ein Dialysegerät im Haus herumstehen hatte und dass ihr Vater einstmals unwissentlich den perfekten Raum für die Zeitreise gebaut hatte? Diese Sachen waren praktisch, aber er hätte sich notfalls ein solches Gerät kaufen und einen passenden Raum mieten können. Aber seltsam war dies alles schon.

      „Grübelst du schon wieder?“, wurde er plötzlich von oben aus der Luke gefragt.

      Erik zuckte zusammen und schaute hoch zu Emma. Sie saß am Rand der Luke und ließ die Beine in den Kartoffelkeller baumeln. Er freute sich, sie zu sehen. Vor allem hatte sie wieder bessere Laune als vorhin, als sie fast wortlos gegangen war. Er reichte ihr den Staubsauger.

      „Hier! Nimmst du mir den bitte ab?“ Emma tat wie gewünscht und stieg dann herunter zu ihm.

      „Und? Zufrieden mit dem Bunker?“

      „Ja, dein Dad hat mir die Geschichte erzählt. Dein Großvater hat es gut gemeint, aber zum Glück wurde der Bunker nie gebraucht.“ Er grinste sie etwas verlegen an. „Lebt er noch?“

      Emma schüttelte den Kopf. „Nein, vor zwei Jahren gestorben.“

      Sie schien aber ebenso verlegen zu sein, wie Erik, der ihr kurz sein Beileid aussprach. Vielleicht machte es die Enge des Raumes, aber irgendwie wussten beide gerade nicht so richtig, was sie sagen sollten.

      „Opa hatte hier so Obstregale und eine alte Couch reingestellt“, sie musste lachen, als sie sich daran erinnerte. „Kannst du dir vorstellen, wie eng das hier war?“

      „Und nicht zu vergessen: Keine Toilette!“ Erik musste nun auch glucksen.

      „Wir haben das hier vor ein paar Jahren ausgeräumt. Alles kaputt und vermodert. Meine Mom wollte hier irgendwelche Sachen einlagern, aber wir haben dann bemerkt, dass die Luke nicht richtig abdichtet. Ich glaube, wir hätten hier unten keine fünf Stunden ausgehalten.“

      Erik nickte grinsend und rieb seine Handflächen an seiner Jeans. Er hätte das Gespräch über diesen gescheiterten Bunker gern weitergeführt, aber er wusste auch, dass es hier eigentlich nicht um diesen Raum ging. Emma wollte ihm etwas sagen.

      Sie legte den Kopf ein wenig zur Seite und ahmte einen Hundeblick nach. „Sorry wegen gestern! Ich war nur so geschockt. Ich liebe San Francisco und die Brücke. Ich hab' in Berkeley sogar ein Semester studiert.“

      Sie streckte die Hand aus und rieb ihm den Oberarm. „Bist du noch böse?“

      Erik hatte mit dieser Entschuldigung nicht gerechnet, aber bei dieser letzten Frage zuckte er sichtlich zusammen. „Ich war nie böse auf dich! Ich dachte, du wärst auf MICH sauer und dass du wegen meines Jobs ...“

      Er wusste nicht, wie er den Satz vollenden sollte. Er hatte an so was gedacht wie: „Dass du mich nicht mehr willst!“ Aber das schluckte er nun herunter, weil es angesichts der Reise einfach ein blöder Moment war, über seine Gefühle zu reden und was daraus werden könnte.

      Emma reagierte spontan auf seine Unbeholfenheit, beugte sich vor und küsste ihn. Es war sicher nicht der leidenschaftlichste Kuss, dazu war Erik viel zu unvorbereitet und deshalb einfach passiv geblieben, aber zumindest hatte nun der peinliche Small-Talk und das nervöse gegenseitige Entschuldigen ein Ende.

      „Ich dachte, nie mit Patienten.“

      „Na ja, dann kann ich dich leider nicht mehr behandeln.“

      Nun küsste er sie. Auch wenn er deutlich mehr Erfahrung mit Frauen hatte, als sie mit Männern, so waren sie trotzdem beide Anfänger, wenn es um Beziehungen und echte Gefühle ging. Erik war nur froh, dass er das Neuro in der Küche hatte liegenlassen. Mit dem Gerät hätte er sich beobachtet gefühlt, irgendwie.

      Erik umarmte sie, schob eine Hand unter ihr T-Shirt. Er spürte, wie sie sich an ihn drückte. Ihr Körper schmolz sozusagen gegen seinen. Es war herrlich! Seit sie sich vor einer Woche bei ihm gemeldet hatte, dachte er nun schon an solche Momente und nun wurde einer davon Wirklichkeit.

      Eriks