Christian Schuetz

CYTO-X


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lief wieder an. Er hatte ein betrübtes Gesicht, als hätte er gerade die Katastrophe mit angesehen. „Erik, du kannst dir sicher vorstellen, wie sehr das die USA getroffen hatte. Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft waren furchtbar, aber am schlimmsten traf es die Forschung. Weltweit! Aber am schlimmsten in den Vereinigten Staaten.

      Die USA wurden zu einer Art Gottes Staat. Das klingt für dich sicher befremdlich, aber so war es. Wer wissenschaftlich weiter arbeiten wollte, floh ins Ausland, hauptsächlich nach Europa oder Südostasien. Wer blieb, landete im Gefängnis oder wurde vom Pöbel hingerichtet.“

      Erik spürte, dass das Neuro ihm Aufzeichnungen anbot, aber er wollte das nicht sehen. Emma beugte sich vor und sagte leise: „Keine Details bitte, Erik!“

      Er zuckte kurz zusammen. „Keine Angst! Hatte ich nicht vor!“

      Holo-Staams Ausführungen waren intensiv, aber Brugger spürte, dass sie notwendig waren, um seine Argumentation „Pro-Zeitreise“ zu vollenden. In den Bann gezogen war er mittlerweile auch, spätestens als er hörte, dass man ermordete wurde, nur für die Tatsache, dass man Wissenschaftler war.

      „Alles in allem haben unsere Berechnungen ergeben, dass die Menschheit durch diese und einige folgende Ereignisse in der Forschung um fast zweihundert Jahre zurückgeworfen wurde. Das mag seltsam erscheinen, wenn du das Neuro und das Cyto-X betrachtest oder auch die Feldringe, die dich die Krümmung benutzen lassen werden, aber glaub mir, diese Rückschläge werden dazu führen, dass wir auf eine noch größere Katastrophe nicht vorbereitet sein werden. Eine Katastrophe, die die Erde nicht nur für den Menschen unbewohnbar machen wird.

      Im Jahr 2469 wird ein Planetenkiller die Erde knapp verfehlen, nur um dann in die Sonne zu rasen. Anfangs waren wir froh, dass die Erde verfehlt wurde, aber der Asteroid war riesig und seine Zusammensetzung höchst explosiv. Er verursachte Sonneneruptionen, die fast sämtliche Landmassen verbrannten. Die Ozeane verloren fast zwanzig Prozent ihrer Substanz, und so sind wir durch das verdampfte Wasser seither von einer dauerhaften Wolkensicht umschlossen, die einen kaum sagen lässt, ob es Tag oder Nacht ist.

      Die paar Menschen, die sich in Biosphären gerettet haben, werden für die Erhaltung der Art nicht ausreichen. Und bis sich die Oberfläche der Erde regeneriert und wieder neues Leben erzeugt, nun ja, das kannst du dir sicher selbst ausmalen. Ich glaube, nun verstehst du, warum wir den Aberwitz der Zeitreisen in Kauf nehmen, um diese letzte Katastrophe zu verhindern.“

      Okay, dachte Brugger, das schlägt das Drama um San Francisco nochmal um Längen, aber was wäre denn der Plan? Zweihundert verlorene Jahre im Bereich der Forschung waren ein gutes Argument, aber wer sagte denn, dass man die richtigen Erfindungen machen würde, sobald man die Jahre zurückbekäme?

      Erik rutschte ungeduldig auf dem Stuhl hin und her. Er wartete eigentlich noch immer auf die Erklärungen zu seinem Vater. Das mit dem ARK-Storm hatte ihm schon gereicht als Grund, die Reise anzutreten. Aber jetzt hätte er dann doch gerne Erklärungen, warum sein Vater sein Vater war!

      „Erik, wir haben schon viele Ziele erreicht. Glaub mir, die Welt, in der du jetzt bist, ist schon von so einigem gereinigt. Der Zweite Weltkrieg endete eigentlich nicht mit einem Sieg der Alliierten, sondern mit einer Art Waffenruhe, die dann zu einem weit schlimmeren Dritten Weltkrieg führte. Das alles ist bereits verhindert und dein Vater war vielleicht unser wichtigster Mann dabei.

      Allerdings waren wir immer limitiert durch das Problem, Ereignisse der Vergangenheit ändern zu müssen. Man reist zurück, ändert etwas und wenn man wieder zu Hause ist, sieht man, was man versehentlich kaputt gemacht hat. Da ins Detail zu gehen, wäre jetzt zu umfangreich. Das kann ich dir hier bei mir besser erklären.

      Aber dein Vater hatte eine geniale Idee. Er wollte in der Zeit zurückreisen und sich das Cyto-X aus dem Körper entfernen, um so in der Vergangenheit ansässig werden zu können. Er wäre dann nicht mehr den temporalen Paradoxien unterworfen und könnte statt der Vergangenheit die Zukunft ändern. Das ist wesentlich einfacher und vor allem ungefährlicher. Du wirst das bald sehr genau verstehen.

      Als dein Vater diese Reise antrat, gab es noch einen Rat der Wissenschaften hier. Heute bin ich, abgesehen von einigen Technikern, die alles am Laufen halten, der letzte dieses Rats; alle anderen sind den Folgen ihrer Zeitreisen bereits zum Opfer gefallen. Bevor du auf den Sensoren aufgetaucht bist, dachte ich das auch von Hermelin.

      Der Rat hatte die Reise eigentlich abgelehnt, aber dein Vater hat sie dennoch durchgeführt. Er wollte in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts, um dort als erstes die blutige Eskalation des Volksaufstandes in der DDR zu verhindern. Das gelang ihm wohl auch. Danach haben wir aber jegliche Spur verloren. Er hat wohl später kein Glück mehr mit seinen Eingriffen gehabt, aber er hat dich gezeugt und damit eine neue Hoffnung!“

      Brugger beobachtete Erik und Emma während Staams Vortrag sehr genau. Erik war sehr ruhig, fast schon zu ruhig, wenn man bedachte, was ihm da gerade offenbart wurde. Aber er hatte in den letzten Tagen gelernt, dass Erik sehr introvertiert sein konnte. Ein Junge, der sicher nicht zu Schnellschüssen neigte, sondern sich wirklich alles durch den Kopf gehen ließ und das war einer der Gründe, warum er ihn mochte.

      Und Emma kannte er ganz genau. Auch wenn sie vorhin den Streit angezettelt hatte, so konnte Brugger sehen, dass Erik ihr viel bedeutete. Eben deshalb hatte sie ihn vorhin hart ins Gericht genommen. Sie war aber jede Sekunde dazu bereit, Erik zur Seite zu stehen, um ihn zu trösten, obwohl sie selbst gerade leicht feuchte Augen hatte.

      Staam unterbrach Bruggers Gedanken wieder. „Dass eines unserer Mitglieder den Sohn von Professor Magnussen getötet hat, war eine inakzeptable Tragödie, aber danach bist du auf unseren Karten aufgetaucht. Ich mochte meinen Augen nicht trauen, aber dieser Moment änderte für uns alles. Erik, ich habe noch einen, maximal zwei Zeitsprünge übrig. Es nimmt den Körper mehr mit, als es das Hologramm von mir zeigen mag.

      Ich bin nun fast neunzig Jahre alt. Die genetischen Upgrades lassen uns viel länger leben als zu deiner Zeit, aber dem Stress der Reisen durch die Zeit können auch diese nichts entgegensetzen. Wenn meine Berechnungen stimmen, wirst du nach dem Besuch bei mir nur noch drei Reisen durchführen müssen, um das Schlimmste zu verhindern. Nach deren Abschluss werde ich mein Versprechen an Professor Magnussen einlösen können.“

      Brugger und Emma blickten sich an, beide leicht mit den Achseln zuckend. Sie brauchten nichts zu sagen. Die Geste bedeutet für beide, dass sie sich kein abschließendes Urteil bilden konnten, aber fürs Erste gab es keinen Grund, an Staams Ausführungen zu zweifeln.

      „Den Rest entnimmst du dem Neuro, Erik! Wir sehen uns, nun ja, aus meiner Sicht in ein paar Tagen! Ich freue mich!“, beendete Staam seinen Vortrag.

      Und dann war die Show plötzlich vorbei und keiner wusste so recht, was man sagen sollte. Eigentlich warteten Vater und Tochter darauf, dass Erik eine Art Statement abgab, weil er schließlich die Hauptperson war, aber der saß weiter in sich versunken da und schien ins Leere zu starren.

      Brugger vermutete, dass er gerade die Infos aus dem Neuro abrief, von denen Staam gesprochen hatte. Er konnte Emma noch kurz davon abhalten, Erik in seiner Trance anzusprechen, aber dann war sie mit ihrer Geduld einfach am Ende.

      „Erik, nun sag schon was!“, sagte sie leise, so als wolle sie ihn nicht erschrecken und berührte vorsichtig seine Schulter.

      Er zuckte trotzdem heftig. „Was ist los?“

      Emma wunderte sich nur kurz über die Frage. Sie hatten sich fast zwei Stunden lang mit seiner Vergangenheit und seiner Zukunft auseinandergesetzt und er fragte, was los sei?

      „Was denkst du, Erik? Zu all dem hier!“, sagte sie leicht angespannt und fuchtelte dabei mit den Armen herum.

      Erik sah sie eine Weile an, bis sie wohl kurz davor war, zu explodieren. Dann sagte er: „Ich denke, dass Professor Staam mich nach Strich und Faden verarscht!“

      25 - Glaubensfrage

      Erik hatte keine Erfahrung mit den angemessenen Mengen für ein geselliges Frühstück für drei Personen. Selten hatte es in