Christian Schuetz

CYTO-X


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er es eben für sich, dass Erik Glück hatte, dass er nicht auf den Namen „Dodo“ getauft wurde.

      Das Hologramm kehrte nun in den natürlichen Modus zurück. „Bevor ich näher auf deinen Vater eingehen kann, muss ich erst etwas ausholen! Die Frage, die dich wahrscheinlich am meisten beschäftigt, ist wohl: Warum greifen wir auf diesen Wahnsinn zurück? Erik, die Menschheit hat im vergangenen Jahrhundert Vieles durchgemacht. Es gab Epidemien, Pandemien, in immer kürzeren Abständen. Manche meiner Kollegen sahen dies als Versuch der Natur, sich gegen den Menschen als Hauptverursacher der meisten Umweltprobleme zu wehren.

      Dazu müsste man aber die Gesamtheit der Natur als ein einziges, denkendes Individuum betrachten, was ich für Unfug halte. Vielmehr wurde das Erbgut der Menschheit einfach immer anfälliger gegen die neuen Erreger, die sich auf der Spitze ihrer evolutionären Leistungsfähigkeit befanden. Mitte bis Ende des 21. Jahrhunderts kamen die Mediziner einfach nicht mehr mit dem Entwickeln von neuen Impfstoffen und Seren hinterher.

      Ob das Erbgut der Menschen durch die Krankheiten oder durch die Heilstoffe mehr geschädigt wurde, das lässt sich rückblickend nicht mehr feststellen. Dort, wo die Menschen nicht zu Hunderten und Tausenden starben, wurden sie unfruchtbar oder verzweifelten an den Behinderungen ihrer Nachkommenschaft. Die Genforschung erlebte dadurch einen unglaublichen Aufschwung. Weltweit versuchten Forscher die Erbschäden durch Reinigung und Perfektion des menschlichen Genoms zu beseitigen, um ein Fortbestehen der Menschheit zu gewährleisten.“

      Brugger blickte auf die Uhr. Natürlich wollte er auch Erklärungen, aber dieser Staam schien einer der Menschen zu sein, die sich gern selbst reden hörten. Außerdem wollte Brugger definitiv keine Einzelheiten hören. Er mochte eine Zukunft, auf die man noch gespannt sein konnte. Warum hatte niemand „Spoiler-Alarm“ gemeldet, bevor die Aufzeichnung begann?

      Emma dagegen war sehr angetan von dem kleinen Ausblick. Sie war eine Vertreterin der Ansicht, dass sich die Natur früher oder später gegen den Menschen wehren würde. Ihn mit immer neuen Krankheiten zu bombardieren, war in ihren Augen ein probates Mittel dafür.

      Sie war der Meinung, dieser Kampf der Natur hatte längst begonnen, weil die Erde gnadenlos überbevölkert war. Aber Staam berichtete gerade, dass sie den Sieg der Natur in hohem Alter wohl noch miterleben würden. Also besser keine Kinder mehr in die Welt setzen?

      Holo-Staam fuchtelte nun etwas mehr mit den Händen. Er kämpfte gerade darum, dass Erik seine Argumentationskette verstehen und akzeptieren würde. „In den USA wurden religiöse Gruppierungen in der Politik immer einflussreicher. So hatten die Genetiker dort einen harten Stand. Und dann geschah ein Unglück fast biblischen Ausmaßes. Ein ARK-Storm traf die Küste von Kalifornien. Die Verwüstungen waren verheerend und die Bibelfanatiker hatten die Schuldigen natürlich schnell ausgemacht: Die Genforscher und eigentlich alle anderen Wissenschaftler gleich mit.“

      Emma räusperte sich. „Ähm, Erik, ARK-Storm, kannst du da eine Erklärung einholen?“

      Ihr Vater war aber schon zur Stelle: „Stell dir extrem feuchte Luft über dem Pazifik vor. Das Luftpaket wird durch starke Aufwinde von unten und Abwärtsströmungen von oben zusammengepresst. Das ARK steht für Atmospheric River 1000. Die Tausend haben sie eingeführt, dass man das schicke Wortspiel mit der Arche machen kann. Also Tausend als Kilo ausgedrückt.“

      Emma sah plötzlich vor ihren Augen, was ihr Vater beschrieb. Aber das war tatsächlich eine kleine Projektion neben dem angehaltenen Hologramm. Dann plötzlich zeigte das Diagramm, wie beim Auftreffen auf die Landmasse die Aufwärtsströmung abriss und der „atmosphärische Fluss“ auf die Landmasse niederknallte.

      Emma bekam Gänsehaut. Überschwemmungen hatten vor wenigen Wochen ganze Landstriche in Deutschland zu Seenplatten werden lassen. Allein die Vorstellung, das Wasser käme nicht einigermaßen geordnet in Flussläufen an, sondern einfach direkt aus dem Himmel, ließ sie erschaudern.

      „Ist das denn bekannt? Ich meine, kann man da nichts dagegen machen?“ Sie schaute ihren Vater an, der für Wissenschaftliches immer ihre Adresse war.

      „Kleines, das Phänomen kennt man. Man hat auf Satellitenbildern schon solche Flüsse am Himmel gesehen, aber die entleeren sich immer schnell, weil sie zu schwer werden. Man sieht das wohl nicht als dringendes Problem an.“

      Brugger verzog dabei eine bittere Miene. Das alte Leid der Wissenschaften! Gelder für solche Forschung oder gar Gegenmaßnahmen mussten von der Politik kommen. Aber ein ARK-Storm hatte weder größere Wahrscheinlichkeiten, noch interessierte sich die breite Masse der Leute dafür.

      Wenn in Japan ein Reaktor in die Luft flog, wurde in Deutschland gleich die Atomenergie eingemottet. Wenn ein Tsunami Thailand plättete, gab es sofort neue Frühwarnsysteme. Aber sicher auch nur, weil man in Thailand eben gut Urlaub machen konnte. Brugger war sich sicher, dass ein Tsunami in Bangladesch keine Sau interessiert hätte.

      „Die USA haben vor über fünf Jahren an einem System gegen ARKs gearbeitet“, fügte Erik hinzu. Emma zuckte etwas. Ach ja, sie hatte seit kurzem noch einen zweiten schlauen Kopf zum Thema Wissenschaften! „Aufgrund der Wirtschaftskrise wurde das aber schnell eingemottet, weil es geschätzte fünf Milliarden Dollar gekostet hätte.“

      Erik schüttelte den Kopf. Die Brain Factory hatte sich die eingestellte Forschung zu fast hundert Prozent unter den Nagel gerissen und dann ein wenig weiterentwickelt. Aber als man den USA einen Steuerchip verkaufen wollte, der die Kosten um fast ein Drittel reduziert hätte, lehnten sie immer noch ab.

      „Die geben jedes Jahr sechs- bis siebenhundert Milliarden für ihren Militäretat aus. Die Schäden in Kalifornien werden sich auf zweihundert Billionen Dollar belaufen! Und ich rede von europäischen Billionen und nicht von amerikanischen.“

      Brugger grunzte leicht verächtlich. Er hatte auch nie verstanden, warum ein Land mit so vielen begnadeten Mathematikern, nicht in der Lage war, die richtige Nomenklatur für große Zahlen anzuwenden. Wahrscheinlich klang „One Milliard“ einfach komisch oder war schwer auszusprechen in Südost-Tennessee, also nennen wir es doch lieber gleich „One Billion“!

      Emma sah, dass Erik ein wenig verwirrt schien. „Erik, was ist los?“, fragte sie besorgt.

      Erik suchte noch ein wenig nach Worten, um zu erklären, was passiert war: „Ich habe während der Rede Infos aus dem Neuro mit eingebaut. Die Schadenshöhe! Hast Du das gemerkt?“

      Emma nickte. „Ja, ich hab' mir fast schon so was gedacht. Da war hinter dir, also so seitlich neben deinem Kopf eine Grafik von einem ARK-Storm. Ist da einfach in der Luft geschwebt. Kam das von dir oder dem Gerät?“

      „Ich glaube, das kam von mir. Als dein Vater das Prinzip erklärte, dachte ich an ein Diagramm, das ich damals dazu gesehen hatte, als wir an dem Problem gearbeitet haben.“ Erik überlegte. Er wollte testen, ob er das bewusst wiederholen konnte.

      „Ich versuche, euch mal eine Grafik von der Katastrophe in Kalifornien zu zeigen. Passt auf!“ Dann schloss er die Augen und konzentrierte sich.

      Direkt über Erik tauchte aus dem Nichts eine Landkarte der Küste Kaliforniens auf und zoomte auf die Bucht von San Francisco. Aus dem Nordwesten näherte sich nun ein fast zehn Kilometer breites hellblaues Band. Als es San Francisco passiert hatte, wurde es dunkelblau und auf der Karte war nun zu sehen, wie sich das Wasser sintflutartig über das gesamte Silicon-Valley ergoss. Erik genügte die Darstellung aber nicht und neigte die Achse.

      Brugger und Emma staunten nicht schlecht, als die Welle des ARK-Storms nun dreidimensional angezeigt wurde. Wie hoch war diese Welle? Sechs oder sieben Meter? Und die Geschwindigkeit ließ die Tsunamis aus Thailand und Japan erblassen. Autos auf den Highways wurden von der Welle mühelos eingeholt. Gebäude wurden nicht einfach umspült, sondern weggerissen. Emma wandte sich schockiert ab, als sie sich das Ausmaß der Katastrophe für die Opfer vorstellte.

      Erik bemerkte, dass es Emma zu viel war und er ging wieder mehr zurück in die Totale. Die Welle wurde immer breiter, verlor aber kaum an Höhe und Geschwindigkeit, weil aus dem Atmosphären-Fluss immer neues Wasser nachgeführt wurde. Am schlimmsten erwischte es San Jose, das Herz des Silicon-Valley. Die Metropole war von