Christian Schuetz

CYTO-X


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alles ausführlich, wenn es vorbei ist. Aber sie wird akzeptieren müssen, dass sie raus ist!“

      Mit einem Mal verstand Erik, dass Brugger zwar sauer auf ihn war, weil er ihn darauf hingewiesen hatte, dass er seine Tochter selbst mit reingezogen hatte, aber der Streit hier, das war kein Streit zwischen Erik und Brugger, sondern der Streit, den Brugger mit Emma würde austragen müssen.

      „Darum geht es also? Du streitest mit mir, weil du weißt, dass Emma nicht auf dich hören wird?“

      Brugger schwieg, aber in ihm kochte es ganz offenkundig. Dann blickte er sich kurz um und stand auf. Er packte den Koffer und ging plötzlich los, in Richtung des kleinen Baches, der am Lokal vorbei rauschte.

      Das Lokal war wohl früher eine alte Mühle, denn der Bach stürzte hier über eine kleine Staustufe nach unten. Bis Erik so richtig reagieren konnte, sah er schon, wie Brugger den Koffer über das Schutzgeländer vor dem kleinen Wasserfall hielt.

      Er sprang auf, um ihn aufzuhalten, aber da kam gerade die Bedienung mit der Gabel zurück und rief ihm nach, offensichtlich in der Angst, hier würde die Zeche geprellt. Brugger und der Koffer waren aber jetzt wichtiger. Zumindest lief die Bedienung Erik hinterher und nicht von ihm weg, wie der alte, störrische Bock. „Brugger nicht! Das Zeug ist doch die einzige Möglichkeit, Emma wieder rauszuholen! Und dich auch!“

      Nebenher fummelte Erik einen Zwanziger aus der Hosentasche und gab ihn der leicht zeternden Kellnerin. Er legte einen Zehner nach, damit sie endlich Ruhe gab. Brugger schaute ihn abwartend an, den Koffer noch immer über den Sturzbach haltend. Erik merkte nun, dass es der Bedienung nicht mehr um die Zeche ging, sondern darum, dass sein „Vater“ nicht einfach da was in den Bach werfen durfte.

      Er wechselte ins Französische, was die Dame deutlich besser sprach als Deutsch und erklärte ihr, dass dies weder sein Vater sei und wie sie überhaupt darauf käme und vor allem, dass er schon dafür sorgen würde, dass er den Koffer da nicht reinwarf, aber dazu solle sie sie bitte endlich in Ruhe lassen. Sie schimpfte noch in einem Letzebuerger Kauderwelsch, aber dampfte wenigstens davon und beäugte sie nur argwöhnisch aus der Ferne.

      Wenigstens konnten Erik und Brugger sich hier vor dem tosenden Wasser endlich anschreien. Brugger gab ihm fünf Minuten, um zu erklären, wie er das meinte, mit der einzigen Möglichkeit, Emma rauszuholen.

      Erik war baff, dass sein neuer Freund, der Professor für Theoretische Physik, nicht in der Lage war, dieses einfache temporale Phänomen zu entschlüsseln, aber er schrieb das der Sorge um Emma zu. Sobald es um sie ging, war es wohl aus bei Brugger.

      „Wenn ich diese Reise mache und Novalik Staam verhindert dafür die Ermordung von Leif Magnussen, dann wird Thorwald Magnussen nie sein Experiment am Nordpol starten. Du wirst nie diesen Datensatz zur Untersuchung bekommen und Emma wird mich nur als Patienten kennen. Wir beide, werden uns wohl dann nie kennenlernen. Oder kennengelernt haben, wenn du es so ausdrücken willst.“

      Brugger überlegte eine Weile und hob den Koffer dann wieder zurück in Sicherheit. Vorbei war es damit aber noch nicht. „Emma ist stur. Und ja, das hat sie von mir, das ist mir klar.“

      Er machte eine Pause und Erik dachte, dass diese Sturheit ihm wohl damals bei der OP das Leben gerettet hatte. Insofern dankte er für die Sturheit und Bruggers Erbgut, auch wenn das gerade sehr anstrengend war.

      „Erik! Du musst mir helfen, sie zu überzeugen, dass sie sich raushält, bis alles vorbei ist!“ Bruggers Blick duldete kein Nein.

      „Wenn Emma die Blutwäsche nicht ausführt, wer dann? Willst du deine Frau auch noch mit ins Boot holen? Oder hast du noch einen Freund, der Arzt ist, der dir einen so großen Gefallen schuldet, dass er einem Fremden eine unbekannte giftgrüne Substanz in den Körper spült?“

      Brugger resignierte sichtlich. Eben hatte er sich drohend aufgebaut und nun sanken die Schultern nach unten. „Karina ist gar nicht da, die ist in Äthiopien oder Ägypten oder so. Die rettet wieder die Welt.“

      Erik war es peinlich zu sehen, dass Bruggers Augen ein wenig feucht waren. Bitte nicht, dachte er, das kann ich jetzt gar nicht brauchen!

      Brugger wollte weiter nach Auswegen suchen. „Was wäre, wenn ich das Zeug doch wegwerfe oder du einfach nicht reist, dann passiert doch auch nix!“

      Erik hatte sich auch das schon überlegt und es gab da keine Antwort, die Brugger beruhigen würde. Er beugte sich über das Geländer und sah dem Bach zu. Brugger tat ihm gleich und wartete auf Eriks Einschätzung.

      „Dieser Staam hat ganz schön was in Bewegung gesetzt, um mich in die Zukunft zu holen. Wenn wir das hier in den Bach werfen oder ich mich einfach weigere zu reisen, dann hat er fast fünfhundert Jahre Zeit, das zu merken, nicht wahr?“

      Brugger nickte nachdenklich. Ein paar der Gedankenspiele hatte er offensichtlich auch gemacht.

      „Wenn Staam einer der Guten ist, habe ich nichts zu befürchten mit der Reise. Falls nicht, was glaubst du, könnte der alles anstellen, um mich zu der Reise zu zwingen?“

      „Du glaubst also, er könnte nicht nur noble Absichten haben?“

      „Ich kann es nicht sagen, aber ich halte mir beide Optionen offen. So verblendet von meinem Neuro, wie du denkst, bin ich noch nicht.“

      „Wie meinst du das mit dem Zwingen?“

      Erik merkte, dass Brugger das etwas unsicher fragte, so als ob er sich auch schlimme Dinge ausmalen konnte oder dies bereits getan hatte. Er formulierte es also vorsichtig: „Weißt du, im Moment ist mein Anreiz für die Reise das Leben eines Kindes, das ich nicht mal kenne. Wenn das nicht ausreichen sollte, könnte ein anderes Faustpfand gesucht werden.“

      21 - Reisegeschichten

      Emma war die kurzen, pragmatischen Nachrichten ihres Vaters gewohnt, aber eine einzige SMS, während er in Norwegen unterwegs war, um nach Spuren einer Zeitreise zu suchen?

      „Hallo Kleines! Kommen erst Freitagabend heim!“

      Erik hatte natürlich Nachrichtenverbot verhängt, aber musste es gleich so knapp sein? Sie hatte sich den Samstag komplett freigeschaufelt und bekam am Freitag kurz vor Feierabend die zweite üppige SMS: „Um 8 bei mir! Kein Essen!“

      Sie wollte den beiden ordentlich die Meinung sagen, aber als sie ankam, merkte sie, dass ihr Vater ziemlich blass war und besorgt aussah.

       Oh Gott! Und die grauen Haare! Wo kommen DIE denn her?

      Sie bombardierte ihn mit besorgten Fragen, aber er konterte, dass das nur gefärbt sei und die Fussel in seinem Gesicht seien der Rest einer Maske. Seine Antworten führten also nur zu noch mehr Fragen, und erst Erik konnte sie einbremsen. Sie würden ihr schon alles erklären, aber dazu sollte sie sich alles von vorne anhören.

      „Das erwarte ich aber auch! Ihr habt mich hier völlig dumm sterben lassen!“

      Erik führte Emma an den Tisch, wo sie sich setzen sollte. Ihr Vater stellte ihr ein großes Glas Wasser hin und dann begannen sie abwechselnd, fast wie einstudiert, von den Ereignissen zu berichten.

      Anfangs störte Emma noch kurz mit Zwischenfragen, durch die sie zum Beispiel erfuhr, dass Marit Magnussen es ihrem Vater ziemlich angetan hatte, aber dann, als ihr das Hologramm vorgeführt wurde, verstummte sie. Emma wollte schon fragen, ob die beiden sie verarschen wollten, aber der ernste Gesichtsausdruck ihres Vaters sagte ihr, dass dem nicht so war.

      Sie lauschte dann Eriks Ausführungen zu all dem, was er von seinem Spielzeug gelernt hatte. Als das Glas Wasser leer war, schob ihr Vater ihr einen Weinbrand hin. Er hatte immer ein gutes Händchen dafür, welches Getränk gerade angebracht war.

      Und so wurde ihr im Schnelldurchlauf erklärt, dass sie bei Erik eine Blutwäsche durchführen sollte, damit der in die Zukunft reisen könnte, um dort vielleicht in einem Haufen Geröll elend zu verrecken.

      „Sagt mal, spinnt ihr?“, war alles was sie von sich geben konnte. Die beiden breiteten mit toller Logik vor