Christian Schuetz

CYTO-X


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hob nun auch diese Auflage heraus und legte sie vorsichtig auf den Tisch. Die Flüssigkeit, die wohl offensichtlich reines Cyto-X darstellen sollte, waberte in dem Behälter neon-gift-grün vor sich hin.

      Brugger hielt die Hand dicht darüber. Entweder strahlte diese Flüssigkeit die Kälte aus oder die dünne Schicht, die sie umgab, denn mehr war dieser Behälter nicht; eine dünne, membran-artige Schicht um das Cyto-X herum. Brugger schätzte, dass das ungefähr drei Liter sein mussten, oder sogar mehr.

      Wie das funktionierte oder wie man an das Cyto-X gelangen sollte, für solche Fragen war jetzt keine Zeit. Das neunmalkluge Neuro würde das sicher verraten, wenn Erik es befragte. Brugger hob zunächst die Auflage mit dem Behälter in den Koffer, danach obendrauf die Auflage mit den Ringen und deckte es dann mit dem Leinenfetzen ab, ebenso wie es zuvor im Bankcontainer angeordnet war. Allein von der Farbe des Cyto-X konnte einem schon übel werden.

       Würde man nach der Blutwäsche zu einem grünen Männchen mutieren?

      Brugger klappte den Koffer zu und ließ die Schlösser einrasten. Die Kühle, die das Cyto-X abstrahlte war mit einem Schlag ebenso verschwunden, wie das grüne Leuchten. Zurück blieb ein leicht panischer Professor, der kurz vor der Rente stand, in einem kleinen stickigen Kämmerchen im Keller einer Bank.

      Brugger fummelte den Kragen seines Hemdes etwas auf. Er musste hier schnell raus, bevor er sich übergeben musste. Unter Klaustrophobie litt er eigentlich nicht, aber aus irgendeinem Grund bewegten sich hier unten die Wände auf ihn zu und raubten ihm den Atem.

      Er wollte gerade den Deckel wieder auf den Behälter drücken, als er merkte, dass es zu spät war. Er blickte links und rechts nach einem Mülleimer, nach irgendetwas, in das er sich hinein übergeben konnte, aber offensichtlich stand dafür in diesem Moment nur ein Behältnis zur Verfügung.

      Glücklicherweise hatte er aufgrund seiner Nervosität heute nicht viel zu sich genommen, aber das machte die Aktion nicht weniger peinlich. Noch mehr auffallen, als er das schon getan hatte mit seinem Hustenanfall in der Halle, wollte er nun wirklich nicht, also verschloss er den Container und legte damit den Mantel des Schweigens über sein Malheur.

      Die Schnapper waren sehr stramm, also war es unwahrscheinlich, dass das jemals auffallen würde. Er trug den Behälter zurück zum Fach und sperrte sein Frühstück im Dunkel des Schließfachs ein.

      20 - Zoff

      Erik hatte es nicht kommen sehen. Der Streit begann plötzlich und unerwartet. Und es ging um das eine Thema, bei dem mit Brugger nicht zu spaßen war: Emma!

      Der Professor war fix und fertig aus der Bank gekommen, und Erik hatte schon Angst, dass ihm die halbe Belegschaft auf den Fersen sein könnte. Aber nichts dergleichen war geschehen. Brugger war etwas blass um die Nase, und wenn man wusste, dass an seinem Gesicht nicht alles echt war, dann konnte man die Farbunterschiede an den Latex-Schichten deutlich erkennen.

      „Lass uns so schnell wie möglich abhauen! Ich brauche einen Kaffee und einen Weinbrand oder so was Ähnliches und was zu essen!“, keuchte Brugger.

      Erik widersprach nicht. Ein Kaffee war ihm auch recht, dazu vielleicht ein Stück Kuchen, nur auf den Alkohol konnte er verzichten. Er warf einen kurzen Blick auf den Inhalt des Koffers, zuckte bei der Farbe des Cyto-X merklich zusammen, und schon verließen sie die internationale Finanzmetropole wieder.

      Brugger rupfte sich auf der kurzen Fahrt zu einem kleinen Lokal außerhalb der Stadt die Maskenteile herunter. Nebenher berichtete er von seinem Aufenthalt in der Bank. (Dabei ließ aber das kleine Malheur am Ende aus.)

      Es war Erik peinlich, dass er die Abläufe in der Bank so falsch eingeschätzt hatte. Dass die eifrige junge Dame ausländische Grußformeln auswendig gelernt hatte, war nicht abzusehen gewesen, aber Erik war richtig stolz auf Brugger.

      Deshalb fand er es etwas verwunderlich, dass der Professor so schnell die Bank verlassen wollte. Aber Erik wollte jetzt nicht weiter nachbohren und so saßen sie kurz danach beide vor einer großen Wanne Milchkaffee und einem Stück original luxemburgischer Zwetschgen-Torte. Brugger hatte dazu noch seinen Weinbrand und stützte sich beim Genuss nachdenklich auf den Koffer mit den Schätzen.

      Erik schlürfte an seinem Kaffee und sagte dann beiläufig: „Wir inspizieren das erst bei Dir daheim, dann brauchen wir Emma das nicht alles doppelt zu erzählen.“

      Bruggers Mine verfinsterte sich sofort. „Emma ist aus der Sache raus! Das Zeug ist mir zu gefährlich für sie.“

      Ob es daran lag, dass Erik einfach keine Ahnung davon hatte, wie beschützend man sich als Vater vor seine Tochter stellt, oder einfach daran, dass er gerade mit halb geschlossenen Augen den leckeren Kuchen genoss, konnte er später selbst nicht sagen. Er schätzte Bruggers Gemütslage in diesem Moment einfach völlig falsch ein und sagte etwas flapsig: „Na, das hättest du dir überlegen müssen, bevor du sie da selbst mit reingezogen hast!“

      Mächtig böser Fehler!

      Das Einzige, was Erik gerade vor einer typischen Brugger-Standpauke bewahrte, war die Tatsache, dass man im Garten des Lokals nicht alleine war. So musste Brugger ihn „leise“ anschreien, aber auch das war eindeutig genug.

      „Meinst du denn, ich hätte sie da reingezogen, wenn ich gewusst hätte, was das wird? Ich dachte, das ist einfach der Anfang von einer wissenschaftlichen Entdeckung! Ich wollte höchstens ihren Segen haben, falls ich es veröffentliche oder für immer begrabe.“

      Erik hob die Hände beschwichtigend, aber es half nichts. Der Professor war mit der Standpauke in vollem Gange.

      „Ich wollte nicht nach Norwegen fliegen und dort nach Spuren suchen. Ich habe sie auch nicht gebeten, mir einen dahergelaufenen Hallodri als Unterstützung mitzugeben. Ich bin nicht losgezogen, um dieses Dreckszeug zu finden. Ich habe gehofft, dass wir NICHTS finden! Oder etwas, das zeigt, dass alles Blödsinn war, was Magnussen da am Nordpol gemacht hat. Aber jetzt, wo wir das alles haben, da weiß ich eine Sache ganz genau und zwar, dass Emma raus ist! Haben wir uns verstanden?“

      Erik war eine Weile sprachlos. Emma hatte ihren Vater als den liebsten Menschen der Welt beschrieben, der keiner Fliege was antun könne. Er selbst hatte ein wenig mehr recherchiert und Verweise darauf gefunden, dass Brugger ein gefürchteter Diskussionspartner war, weil er durchaus zur Cholerik neigen konnte, wenn er erkannte, dass alle um ihn herum Ignoranten waren. So hatte es ein Kollege von ihm freundlich in einem Artikel ausgedrückt.

      Aber während es dort „nur“ um seine Arbeit ging, ging es hier um Emma. Brugger hatte ihm die Wertigkeiten von Emma und der Wissenschaft für ihn schon erklärt. Diese Augen, die ihn da anfunkelten, waren die Augen eines Vaters, der alles für das Wohl seiner Tochter tun würde, also blieb Erik momentan nichts anderes übrig, als zu nicken und fürs Erste klein beizugeben.

      Brugger nahm noch einen Schluck Weinbrand und Erik wollte abwarten, bis dessen beruhigende Wirkung einsetzte, bevor er das Thema nochmals auf den Tisch brachte. Wie lang dauert das? Sind dreißig Sekunden genug?

      „Emma ist aber ein Teil des Paradoxons. Falls das hier ein Zeit-Paradoxon ist!“

      Bruggers Faust landete auf dem Tisch, so dass seine Kuchengabel auf den Boden fiel. Die beiden starrten sich eine Weile an.

      „Allet in Ordnüng?“, fragte die Bedienung, die besorgt zum Tisch kam und die Gabel aufhob, in holprigem Deutsch.

      „Nichts ist in Ordnung!“, zischte Brugger. Erik schenkte der Bedienung ein verlegenes Lächeln, das ihr bedeuten sollte, dass es nichts mit ihr zu tun hatte. Sie schien aber nicht das erste Mal in eine solche private Differenz geraten zu sein und entfernte sich kommentarlos, um eine saubere Gabel zu holen.

      Erik begann verbal um das Minenfeld herumzuschleichen: „Brugger, wenn das wirklich ein temporales Paradoxon ist, dann ist Emma da drin, ob du willst oder nicht. Ohne sie hättest du mich nie kennengelernt. Wüsste jedenfalls nicht wie! Und anscheinend bin ich die Zielperson dieser Unternehmung oder wie man dazu sagen soll. Ich möchte nur, dass dir das bewusst ist.“

      Der