Christian Schuetz

CYTO-X


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mit einer falschen Identität in eine Bank zu gehen, um dort ein Schließfach zu leeren. Die kleine Schauspieleinlage bei Marit hatte ihm das Gefühl gegeben, dass er so etwas schon durchziehen könnte, aber jetzt, wo er nur Minuten davon entfernt war ein Verbrechen zu begehen, da traf ihn die Einsicht, dass das eine Nummer zu groß war.

      „Ja, ich glaube das wäre besser“, sagte er leicht geknickt. „Mensch, ich bin weder Schauspieler noch Trickbetrüger. Mir rast die Pumpe, wenn ich dran denke, dass ich wegen der Sache im Knast landen könnte. Du bist frei und ungebunden, aber ich hab' einen Beruf, eine Familie, eine Reputation zu verlieren. Ich kann einpacken, wenn das auffliegt. Wenn du das machst und etwas schiefläuft, schnappst du dir einen deiner Reisepässe und setzt dich nach Südafrika oder sonst wo ab.“

      Brugger merkte, dass er Erik damit getroffen hatte. Eigentlich wollte er darauf abzielen, wie gut Erik es doch hatte, dass er solche Dinge machen konnte, und wenn es nicht klappte, dann gab es immer einen Ausweg.

      Aber natürlich bedeutete dieser Lebensstil auch den Verzicht auf Familie und einen Freundeskreis. Und mit dem „Betrüger“ hatte er ihn auch nicht persönlich adressieren wollen, aber es kam einfach nicht gut rüber. „Sorry, vielleicht ziehst du die Mullbinde nicht ganz so fest, wie ich es verdiene.“

      „Das kriegen wir schon hin! Ich bin Dein Anwalt und übernehme das Reden. Viel ist eh nicht zu sagen. Du musst dann aber auch bitte die Klappe ganz halten, sonst fliegen wir wirklich auf. Hauptsache, du hast die Unterschrift geübt. Bei der kann ich dir nämlich nicht helfen.“

      Brugger nickte brav. Die Unterschrift war wirklich einfach genug. Das Gekrakelte hätte alles heißen können. Nur das „M“ am Anfang musste aussehen, als hätte er es bei einer Fast-Food-Kette abgepaust.

      „Du improvisierst gerne, oder?“, fragte Brugger. „Ich meine, das mit der Mullbinde. Hast du dir das gerade einfallen lassen oder hattest du das als Plan B schon parat?“

      „Nun, ich hatte mir überlegt, ob wir dir optisch eine Gesichtsseite etwas hängend gestalten und sagen, du hättest einen leichten Schlaganfall gehabt und könntest deshalb nicht mehr richtig reden.“

      Brugger wollte lachen, merkte dann aber, dass das ernst gemeint war. „Und warum dann doch nicht?“

      „Weißt du, je unauffälliger man ist, desto weniger Fragen und Komplikationen gibt es. An einen Mann mit gelähmtem Gesicht nach Schlaganfall erinnert man sich eine Weile. Man muss dann ja auch erklären, warum der Mann nicht reden kann. Da bleibt immer was im Gedächtnis hängen. In unserem Fall wahrscheinlich unwichtig, weil wir nicht verfolgt werden, aber wer weiß schon, was noch passiert, bis das alles vorbei ist!“

      „Du meinst also, es wäre besser, wenn ich das ohne die Kehlkopf-Operation durchziehen könnte? Weil ich dann unauffällig bleibe.“

      „Wir müssen dir das nicht jetzt sofort rumwickeln. Dauert noch gut eine Stunde bis wir da sind. Kannst dich ja später noch entscheiden.“

      „Ist das für dich eigentlich Routine? Also, mit falschen Papieren in die Bank gehen und ein Fach leerräumen?“

      Erik schaute ihn kurz an und musste dann loslachen. „Die Papiere sind doch echt! Nur der Professor ist falsch!“

      Auch Brugger musste schmunzeln, aber für richtiges Lachen war er anscheinend noch zu angespannt. Erik kontrollierte die Mundpartie des Professors, während seine Mundwinkel langsam weiter nach oben gingen, aber da hielt alles. Sie saßen eine Weile so im Auto, bevor Erik das Schweigen wieder brach.

      „Ich habe das noch nie gemacht. Ich bin eher derjenige, der in Online-Banking eindringt und die Millionen transferiert, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Nervös bin ich auch, aber ich muss mir natürlich wirklich keine Gedanken darüber machen, was passiert, falls ich erwischt werde. Keine Familie, kein Arbeitgeber, vor dem ich mich rechtfertigen müsste, keine Angst um meine wissenschaftliche Reputation. Das stimmt alles.“

      Brugger sah, wie Erik die Hand auf den Getränkehalter legte, unter dem das Neuro versteckt war. War das Nachdenklichkeit oder eine gewisse Sehnsucht, das Gerät um Rat zu bitten? Brugger blieb still und wartete, bis Erik mit seinen Erklärungen fortfuhr.

      „Die Verantwortung für andere ist neu für mich. Ich bin nicht dein Babysitter, aber ich habe über dich verfügt oder dich überredet, dass du die Maske kriegst und in die Bank gehst. Damit bin ich mitverantwortlich! Wenn ich mit meinen Leuten sonst einen Job erledige, dann wird jeder einzelne Teil davon von einem absoluten Experten ausgeführt, und niemand muss für einen anderen wirklich Verantwortung übernehmen. Man verlässt sich darauf, dass jeder einzelne seinen Part erfüllt und dadurch das ganze Unternehmen gelingen wird.

      Dann ist da noch dieser Junge, der eigentlich schon lange tot ist. Und es liegt an mir, ihn zurück in die Realität zu holen. Dieser Magnussen hat sich anscheinend freiwillig in diese Lawine geworfen. Das hast du aus seinem Statement doch auch herausgehört! Er hat akzeptiert, dass er sich opfern muss, damit sein Sohn wieder leben kann und jetzt muss ICH durch die Zeit reisen, damit dieser Staam sein Versprechen einlöst. Das ist nicht gerade meine Comfort-Zone!“

      „Du hast das Neuro jetzt fast dreißig Stunden nicht mehr benutzt, oder?“ Erik war etwas verdutzt wegen dieser Frage, nickte aber zustimmend. „Weißt du, ich will dir das Gerät nicht madig machen, aber man merkt es dir an, dass du wieder etwas normaler bist. Gestern früh warst du wie auf Drogen, so überzeugt von dir und deinem neuen Super-Tool, dass ich mir fast ein wenig Sorgen gemacht habe, ob du nicht abdrehst. Ich habe das Gefühl, dass es nicht nur als Wissensspeicher dient, sondern dich auch mental beeinflusst.“

      Jetzt hatte Brugger es doch angesprochen! Als Erik sich nicht mehr ganz so selbstsicher präsentierte, wie in den vergangenen vierundzwanzig Stunden, da dachte der Professor, dies wäre der bestmögliche Zeitpunkt für so eine Ansprache. Außerdem wollte er lieber jetzt wissen, wo man stand und nicht erst, nachdem sie den nächsten Schub an Wunder-Spielzeug aus der Bank geholt hatten.

      „Weißt du Brugger, das Ding ist einfach wie für mich gemacht. Ich kann förmlich spüren, dass es genau diesen Bereich in meinem Gehirn anspricht, der eben anders ist. Als Kind habe ich früher meine Kopfschmerzen immer mit noch mehr Lesen bekämpft. Aber je länger ich Zeug in mich reinstopfte, desto schlimmer wurde es danach. Ich konnte das während des Lesens schon spüren, dass es eigentlich nur schlimmer werden würde, traute mich aber nicht aufzuhören, bis ich völlig übermüdet war.

      Ich wollte mit den Informationen, die ich aufsaugte immer noch etwas mehr machen, aber ich wusste nicht, wie ich das machen sollte. Diese Informationen, die ich aus dem Neuro bekomme, die sind genau für diesen Extra-Hirnlappen gemacht. Ob das jetzt Schwingungen sind oder ob das eine bessere Energieabstimmung ist, das weiß ich nicht, aber das ist definitiv Wissen, das mir später keine Schmerzen verursachen wird.

      Ich weiß, dass ich aufpassen muss, aber wenn du so lange mit Schmerzen zu kämpfen hast wie ich und du dann die Lösung aller Probleme serviert bekommst, ist es schon schwer, sich zurückzuhalten.“

      Brugger schämte sich nun für seine Panikattacke. Natürlich ist es schwierig, sich in einen anderen hineinzudenken und Eriks Probleme waren zugegebenermaßen auch ziemlich einmalig, aber so richtig hatte er sich noch keine Gedanken darüber gemacht, wie man sich fühlen musste, mit einer derartigen Abnormität, noch dazu einer im Gehirn.

      Wenn man dann noch betrachtete, dass ihn das bereits als Kind gequält hatte und er wohl auch mit niemand richtig darüber reden konnte, dann durfte man Erik für seinen Werdegang kaum noch verurteilen. Eher musste man sich darüber freuen, dass aus ihm kein Psychopath geworden war.

      Er legte Erik die Hand fast väterlich auf die Schulter. „Ich glaube, wenn du diese Reise wirklich machst, dann wird sich dein Extra-Hirnlappen noch als sehr nützlich erweisen. Und wenn du es zulässt, dann werde ich auch ein Auge auf dich haben und dich darauf hinweisen, wenn du wegen des Neuros wieder zu euphorisch wirst.

      Aber zu der Sache mit der Verantwortung will ich dir noch was sagen. Bei den Operationen, an denen du bisher teilgenommen hast, da ging es sicher immer um Gewinn oder darum, anderen den Gewinn zu vermasseln. Wenn das hier alles gut geht