Christian Schuetz

CYTO-X


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mich neugierig! Was hat er angestellt?“

      „Hab' nicht gesagt, dass er was angestellt hätte! Ich hab' nur den Verdacht, dass er ein eher auffälliger Zeitgenosse war. Möglicherweise ein hervorragender Arzt, eventuell mit etwas unkonventionellen Behandlungsmethoden. Und wenn die Vermutung stimmt, dann erinnert sich da vielleicht noch jemand an ihn.“

      Brugger wusste, dass er zwar vage sein musste, um nicht zu viel zu verraten, aber er musste auch Bernds Neugier wecken, damit dieser sich richtig ins Zeug legen würde.

      „Na gut, das pfiffige Kerlchen gibt sein Bestes. Aber ich stochere da doch in keinem Wespennest herum und werde von irgendwelchen Stasi-Nachkommen verprügelt, wenn ich den Namen erwähne?“

      Brugger musste lachen. Immer noch der alte Bernd! Dabei lagen die Streiche unter Kommilitonen doch nun schon lange zurück. „Nein Bernd, das kann ich mir so nicht vorstellen. Ich kenne jemand, der gerade erfahren hat, dass der gute Dr. Stolz wahrscheinlich sein Vater war. Keine Panik! Das fällt eher unter die Rubrik: Gute Tat!“

      „Ich hör' mich um! Mehr kann ich nicht machen. Und bei dir? Alles in Ordnung?“

      Die beiden tauschten noch kurz den aktuellen Stand der Dinge aus, aber die vorgerückte Stunde machte sich nun doch bemerkbar und auch Brugger zog es bald ins Bett. Er würde die Suchanfrage fürs Erste für sich behalten, um bei Erik keine Hoffnungen zu schüren, aber falls Bernd fündig würde...

       Ah, was für ein schöner Gedanke zum Einschlafen!

      15 - Im Schlaf

      Eriks Plan, das Neuro unter das Kopfkissen zu legen, war grundsätzlich nicht verkehrt. Allerdings schlief er nach drei Gläsern Wodka sehr schnell ein, so dass er ein wenig offen war für alle Informationen, die auf ihn einströmten. Hätte er die ersten Kontaktversuche seines neuen Spielzeugs im Halbschlaf oder gar im Halbwachzustand wahrgenommen, wäre es wohl auf dem Nachttisch gelandet oder noch weiter weg. Im leicht angesäuselten Zustand allerdings sendete sein Gehirn nur eine Nachricht: „Hereinspaziert!“

      Sich intuitiv leiten oder gar fallen zu lassen, war die richtige Idee und natürlich war dies in schlafendem Zustand, noch dazu leicht angetrunken, viel besser möglich. Keine störenden Nachfragen des eigenen wachen Geistes, ob man denn alles richtig mache oder was man besser machen könne. Lediglich der gezielte, strukturierte Aufbau der Fragestellung war so nicht realisierbar, also sprang der Geist munter von links nach rechts oder in alle vorstellbaren Richtungen.

      Durch Eriks etwas anderes Gehirn, in dem die Logik und die Kreativität zu einer logischen Kreativität oder einer kreativen Logik verschmolzen, war dies sicher noch ausgeprägter, als es bei einem anderen Menschen gewesen wäre.

      Die erste Frage, die in ihm brannte, war natürlich, was für eine Art Technologie das Neuro darstellte, und da man gerade erst dabei war, sich besser kennenzulernen, war die Antwort „Organische“ ein wenig ungeschmückt, traf aber den Kern. Das Frage-Antwort-Spiel pendelte sich aber immer besser ein, so dass die Informationen stetig reicher an Gehalt wurden. Interessanterweise berichtete das Neuro von der Zukunft als Vergangenheit, was aus seiner eigenen Sicht sicher richtig war.

      Erik erfuhr, dass bereits im 22. Jahrhundert Computer auf organischer Basis gebaut wurden, oder besser gesagt, werden würden. Aber auf die leicht verquere Verwendung von Zeitformen nahm Erik bald keine Rücksicht mehr. Man würde sich im Laufe der Zeit schon auf eine gemeinsame Sicht der Zeitlinie verständigen.

      Die Entwicklung der organischen Rechner entstand rein aus der Logik, dass elektronische Datenübertragung immer auf die Werte Eins oder Null limitiert sein würde, eben durch die Übermittlung eines Elektrons oder sozusagen die Nicht-Übermittlung. Dagegen boten Moleküle und auch ganze Zellen ein fast unendlich höheres Potenzial an Optionen und Kombinationen. Allein am Beispiel der Kombinationsmöglichkeiten eines DNA-Strangs ist dies schnell nachvollziehbar. Die Nachkommenschaft eines Menschenpaares hat gemäß der „Mendelschen Regeln“ beispielsweise fünfunddreißig Billionen verschiedene mögliche Ergebnisse.

      Allein hier das eine genau gewünschte Ergebnis entstehen zu lassen, war lange Zeit der limitierende Faktor dieser Forschung. Sobald diese Hemmschwelle überschritten war, ging es rasant mit der Entwicklung voran, und Erik wunderte sich nun nicht mehr, warum man bei dieser Technologie auf Arbeitsspeicher keine Rücksicht nehmen musste. Erik selbst war immer ein Vertreter der Ansicht, dass der stärkste Rechner der Welt, inklusive der besten Grafikkarte, immer noch das menschliche Gehirn sei. Die Organische Technologie könnte diese Weisheit vielleicht irgendwann widerlegen.

      Ganz ohne Elektronen ging es zwar nicht, aber dieser Elektronenaustausch erfolgte über eine neue Art von Cytoplasma. Erik schmunzelte im Schlaf, als er auf diesem Weg die Erklärung für die Substanz erhielt, die Magnussen regelmäßig am Nordpol hatte nachweisen können. Natürlich nannte sich die Substanz nicht „Magnasse“, sie hieß „Cyto-X“.

      Wieso der norwegische Professor einen anderen Namen erfunden hatte, konnte Erik nur so erklären, dass die Bezeichnung „Cyto-X“ sehr offensichtlich auf modifizierte Zellflüssigkeit hingewiesen hätte. Magnussen hatte wohl verhindern wollen, dass sich Biologen besonders für seine Studie interessierten.

      Und warum war dieses Cyto-X nun für Zeitreisen notwendig? Es war fast so, als stutzte das Neuro kurz, weil die Frage so selbstverständlich zu beantworten war. Natürlich könnten nur Körper, deren komplette Zellstruktur auf Cyto-X aufgebaut war, eine Phasenmodulation erfahren, die den temporalen Transport durch eine Krümmungswelle erlaubte.

      Ha! Da war es! Eine Phasenmodulation! Erik hatte richtig gelegen mit seiner Vermutung, die für Brugger aus der Luft gegriffen war. Aber es war eigentlich logisch, dass man nicht in materieller Existenzform solch eine Reise antreten konnte.

      Erik war an einer Stelle angelangt, an der er sich mit Fragen überschlug. Wenn es unklar wurde, streikte das Neuro einfach. Erik wunderte sich, warum man eine so altmodische Form für das Gerät gewählt hatte, woraufhin das Neuro protestierend erwähnte, dass Erik auch die Formen Circlet oder Bib wählen könnte. Das erste war ihm klar, ein Kopfreif oder so, aber ein Bib? Das kannte er nur als Lätzchen, wie war denn das zu verstehen?

      Eine modische Erfindung, klärte ihn das Neuro auf, die entstanden war, als Kleidung im Laufe der Organischen Technologie-Revolution multifunktional wurde. Und hier waren keine Jacken mit abnehmbaren Ärmeln gemeint, sondern wirklich Kleidung, die sich veränderte.

      Der Zukunfts-Mensch trug Kleidung, die sich auf Wunsch in Form und Farbe den Anforderungen anpasste. Sie machte sich beispielsweise bei Berührung mit Wasser automatisch für Flüssigkeiten undurchdringlich. Sie erhöhte ihre Dichte, je nach Veränderung der Temperatur und regelte den Temperaturaustausch zwischen Kleidung und Träger.

      Anfangs waren es nur einzelne Teile der Kleidung; später trug dann fast jeder eine Art Einheitskleidung, die mal eine Art Anzug, mal legere Freizeitkleidung oder gar feine Abendgarderobe sein konnte.

      Modeschöpfer waren nur noch damit beschäftigt, Muster zu entwerfen, die man dann als Verwandlungsoption in die Kleidung programmieren konnte. Der dem Menschen angeborene Drang nach Individualismus verlangte aber bald nach anderen Utensilien, mit denen man sich unterscheiden konnte und so wurde der Bib erfunden.

      Tatsächlich wie ein Lätzchen, legte man ihn locker mit einer Schlaufe um den Hals und der kleine Latz bedeckte dann mit etwa zehn Zentimetern Breite und sechs Zentimetern Höhe den oberen Bereich der Brust. Manchmal aus Stoff, manchmal aus Metall oder gar Holz, aber stets unveränderbar und frei von Technik, stellte man etwas Persönliches von sich zur Schau, sei es ein Familienwappen, ein Bild, ein Wahlspruch, da waren der Fantasie und der Freiheit keine Grenzen gesetzt.

      Erik fand es faszinierend, dass man erst alles vereinheitlichte, aber dann doch etwas fand, um den Einzelnen als Individuum darzustellen. Prinzipiell lachhaft, aber auch ermutigend, dass der Mensch der Zukunft sich um seine Einzigartigkeit trotz allem solche Gedanken machte.

      Erik wachte auf. Draußen wurde es schon hell, aber das bedeutete in Norwegen um diese Jahreszeit nicht viel.