Christian Schuetz

CYTO-X


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Ihnen alles Gute damit!“

      Erik sah nicht so aus, als ob er sich über die Herausforderung freuen würde. Er war nach dem Blutverlust schon etwas käsig im Gesicht gewesen, aber während das vorhin noch ein fahles Camembert-Gelb war, ging es nun in Mozzarella-Weiß über. Brugger wusste nicht, wie nahe Erik daran war, seine eigene geheime Prophezeiung zu erfüllen und sich über das Neuro zu übergeben.

      „Ich sollte langsam zum Abschluss kommen! Der Mann aus der Zukunft heißt Novalik Staam, und Sie werden ihn bald selbst treffen. Ihre erste Aufgabe wird eine zeitliche Verschiebung sein, um ihn im Jahr 2476 aufsuchen zu können. Alles Nötige dazu finden Sie in dem Schließfach in der Banken Letzebuerg. Das Passwort heißt: Novalik! Was Besseres war mir nicht eingefallen und das hatte die erforderlichen sieben Buchstaben.

      Ich habe alle meine Aufgaben erfüllt. Ich habe die Forschung meines Kollegen zerstört, die auf die Zeitsprünge aufmerksam hätte machen können. Ich habe dieses Experiment am Nordpol gestartet und damit meine Glaubwürdigkeit als Wissenschaftler in Frage gestellt, damit Sie auf diese verrückte Studie stoßen und somit letztendlich in den Besitz von all dem gelangen können. Und ich, nun ja, ich weile nicht mehr unter Ihnen.“

      Brugger sah, dass Erik nickte. Ganz so, als ob das Sinn ergäbe, als ob eine solche Kette an Ereignissen und Zufälligkeiten planbar wäre. Sogar ein leichtes Lächeln war zu erkennen. Dabei hatte er in dem Moment, als Magnussen den Zeitsprung erwähnte, der Erik bevorstehen sollte, eigentlich gedacht, dass es jetzt soweit wäre. Das müsste das Tröpfchen sein, das das Fass zum Überlaufen brachte.

      Aber Erik musste sich weder übergeben, noch wurde er ohnmächtig. Es schien ihm sogar besser zu gehen. Eher hatte Brugger nun den flauen Magen und überlegte schon mal, ob er nicht noch ein Wodka-Fläschchen holen sollte.

      „Mein Sohn wurde aus der Zeitlinie entfernt“, klang die Stimme Magnussens nun sehr angestrengt und seine Fäuste waren deutlich sichtbar auf dem Tisch geballt, „weil er angeblich im Alter von neunzehn Jahren bei einem Terrorakt die Stadt Oslo mit einer Kobalt-Bombe vernichten würde.“

      Das Hologramm musste sich erst beruhigen, bevor es weiter reden konnte. „Warum man ein Kind ... Warum es allmächtige Zeitreisende nicht schaffen, diesen angeblichen Terrorakt zu verhindern und stattdessen ...“

      Das zog nun tief runter in die Magengrube. Der Kampf des Professors mit der Fassung, seine Erinnerung an den furchtbarsten Tag, den man sich als Vater wohl vorstellen kann, löste in Brugger eine ungeahnte Beklemmung aus.

      Allein der Gedanke, jemand würde Emma heute töten, wäre unerträglich, geschweige denn, so etwas wäre passiert, als sie noch so klein war. In ihm keimte ein furchtbarer Hass gegen den Täter auf. Brugger hatte die Fäuste nun ebenso auf dem Tisch geballt wie Holo-Magnussen.

      Nachdem sie alle drei tief durchgeatmet hatten, fuhr Magnussen fort: „Mir wurde versichert, dass der Täter in der Zukunft gerichtet worden sei. Eine Korrektur der Tat könne aber angeblich erst erfolgen, nachdem Sie, Herr Stolz, sich mit Novalik Staam getroffen haben. Man lässt mich mit Vielem im Unklaren, das ist mir bewusst. Antworten bekomme ich nur auf die wenigsten Fragen, aber ich bitte Sie, treten Sie diese Reise an, damit die Zeitlinie korrigiert werden kann und mein Sohn wieder lebt. Ich habe meinen Teil erfüllt. Bitte, helfen Sie meinem Sohn!“

      14 - Wodka

      Erik schaute auf den nun leeren Stuhl. Das Hologramm war so schnell verschwunden, wie es erschienen war. Zurück blieben ein Professor aus Fleisch und Blut und der Sohn eines mysteriösen ostdeutschen Arztes, der vielleicht ein Zeitreisender war. Beide gleichermaßen sprachlos, ob der Vorführung, deren Zeuge sie gerade geworden waren.

      Brugger gewann seine Fassung ein wenig schneller als Erik wieder und beschloss, die beiden letzten Wodka-Fläschchen zu holen, bevor Erik überhaupt in der Lage war sich zu erheben. Diesmal nahm er sich aber noch die Zeit, Gläser vom Regal über der Minibar zu holen.

      „Nicht schon wieder Wodka!“, stöhnte Erik

      „Fällt dir was Besseres ein? Oder willst du doch lieber auf die Elchmilch umsteigen?“

      Es war eine rhetorische Frage, denn Brugger hielt ihm bereits das Glas zum Anstoßen hin. In Ermangelung wirklich vernünftiger Alternativen ergriff Erik sein Glas, stieß mit ihm an und kippte den Wodka diesmal runter ohne groß nachzudenken.

      Brugger tat ihm gleich und füllte die Gläser danach wieder. Diesmal verzichtete Erik allerdings und umkreiste nachdenklich den Tisch, die Augen auf das Neuro gerichtet. Er überlegte, sicher war „Neuro“ die schicke Abkürzung für eine kompliziertere Nomenklatur, aus der sämtliche Funktionen des Geräts abzuleiten waren, aber „Neuro“ sollte einstweilen genügen.

      Erik wollte nach dem Neuro greifen, zog seine Hand dann aber doch wieder zurück. Das mit dem „Einheitbilden“ könnte noch etwas warten, wenn es nach ihm ginge. Er blickte zu Brugger, der sich wieder gesetzt hatte. Die Beine hatte er über die Tischkante gelegt und er kippte entspannt seinen zweiten Wodka. „Brugger, was ist los? Willst du dich besaufen?“, fragte er ihn leicht schockiert.

      „Nein, ich halt schon ein bisschen was aus, aber so wie es aussieht, ist das hier eher deine große Show. Außerdem schuldest du mir noch eine Erklärung zu Papa Hermann!“

      Erik schüttelte sich. Dazu war er vorhin nicht mehr gekommen. Das war keine Viertelstunde her, aber es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, und er hatte sogar Mühe, die Gedankengänge zu reproduzieren, die ihm vorhin durch den Kopf geschossen waren, als ihm diese Eingebung gekommen war.

      „Ich hab dir doch von meinem ... mutierten Gehirn erzählt“, begann er, und Brugger nickte. „Ich habe Emma nie erzählt, wie sich dieser zusätzliche Teil meines Gehirns bemerkbar macht. Ich habe solche Aussetzer. Für meine Umwelt dauert das gerade mal ein paar Sekunden, aber in meinem Schädel läuft da oft ein ganzer Film ab. Ich erstelle komplette Lösungen für irgendwelche technischen Probleme oder finde die Erklärungen für Systemabstürze oder komplette Fehlerserien. Ich weiß auch nicht, wie ich es erklären soll.“

      Erik griff nach dem Glas Wodka, das Brugger ihm hingestellt hatte und setzte an. Aber dann ergab er sich dem Trinkreflex doch nicht und stellte das Glas wieder ab. „Nein! Ich brauche jetzt einen klaren Kopf!“

      Erik ging ein wenig auf und ab und versuchte sich die Geschichte mit seinem Vater zurechtzulegen, aber das Neue, das Kommende, beschäftigte ihn mehr und lenkte einfach ab.

      „Ich habe bei meiner Suche nach meinem Vater ein winziges Detail übersehen. Ein Zeugnis von einem Arzt aus Dresden, das Hunyar Zsolt eine bestandene Sanitätsausbildung bescheinigt, aber das war eine Fälschung. Verstehst du? Zsolt! Stolz?“

      Brugger nickte: „Ein Anagramm! Und noch dazu ein ziemlich billiges, aber wo ist dein Beweis dafür? Das hätte doch alles ein Zufall sein können!“

      „Zeitlinien! Ich habe Zeitlinien oder Zeitstränge gesehen. Das war alles plötzlich so einleuchtend, dass ich keine Beweise mehr gebraucht habe. Wissenschaftlich ist das sicher höchst schlampig, aber du kennst in der theoretischen Physik sicher viele Bereiche, in denen es keine Beweise geben kann. String-Theorie? Loop-Theorie? Da gibt es doch Fanatiker unter den Physikern, die mit den Wahrscheinlichkeiten das eine oder andere praktisch bewiesen haben wollen!“

      „Na ja, beides nennt sich immer noch Theorie!“, relativierte Brugger. „Aber ich verstehe, worauf du hinaus willst! Du meinst, alles passt so gut und greift ineinander, dass es gar nicht anders sein kann. Dein Vater hieß also Hermann Stolz oder Dr. Stolz und er hat sich als ungarischer Sanitäter ausgegeben. Warum? Vor wem musste er untertauchen?“

      „Da habe ich nun wieder nur Theorien. Wenn er vor 1957 von Dresden nach Ungarn floh, dann vielleicht wegen der Stasi? Oder falls er schon im Zweiten Weltkrieg hier war, dann hat er da vielleicht was angestellt!“ Erik hätte noch ein gutes Dutzend an Möglichkeiten von sich geben können, aber diese beiden waren so seine Favoriten.

      „O.K., Erik!“, unterbrach ihn Brugger. „Ich höre leicht heraus, dass du annimmst, dein Vater selbst könnte