Christian Schuetz

CYTO-X


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sehr er mit sich kämpfte.

      „Wodka? Wirklich? Gibt es nichts, was nicht ganz so brutal ist?“

      „Für einen flauen Magen ist Wodka nicht verkehrt. Entweder kotzt du gleich oder der Magen beruhigt sich. Da drin stehen auch noch Fläschchen mit netten Tierbilden. Da ich aber kein Norwegisch kann, fürchte ich, das könnten Elchmilch und Bärenpisse sein!“

      Nun, jetzt brauchte Erik den Wodka wirklich! Es brannte furchtbar. Er trank sehr selten Alkohol, aber nachdem er zweimal tief durchgeatmet hatte, fühlte sich sein Magen schon besser an.

      „Danke! Geht wieder!“, sagte er, bevor er sich dem Pad und damit seinem Schicksal stellte.

      Er wischte mit der Hand über das Gerät und als das vertraute „Enter name“ erschien, begann er mit krächzender Stimme: „Zsolt! Erik Zsolt!“

      Aber nichts geschah. Ob er jetzt Erleichterung oder Enttäuschung spüren sollte, wusste er nicht, aber Brugger wies ihn darauf hin, dass er es vielleicht eindeutiger sagen musste: „Vielleicht bist du einfach nicht unter Zsolt Erik Zsolt abgelegt?“

      Erik nickte und beugte sich nochmal über das Gerät: „Erik Zsolt!“

      Aber wieder geschah nichts. Er fing nun an, den Namen immer leicht unterschiedlich auszusprechen, schließlich wurde dieser gern falsch betont und so versuchte er von „Schold“ über „Tscholt“ bis hin zu „Tzscholtt“ alles durch, bis auf dem Pad schon kleine Spucke-Tröpfchen zu sehen waren, aber es geschah nichts.

      Das konnte doch nicht sein, dass das Gerät nicht mal seinen Namen kannte? Er wollte ihn schriftlich eingeben, schließlich konnte es sein, dass jemand sich einloggen wollte, der nicht reden konnte. Aber wie zum Geier ...?

      Er beugte sich wieder über das Pad und suchte nach Begriffen, die ihn weiterbringen konnten: „Keyboard! Tastatur! Manual Input! Change Interface!“

      Es war zum Haare raufen und gerade, als Erik dies dachte, bemerkte er, dass er das gerade wirklich tat. Interessant! Er hatte sich schon oft überlegt, wie „Haare raufen“ denn eigentlich aussähe.

      Brugger sparte sich jeden Kommentar. Offensichtlich war auch er mit seinem Latein am Ende. Erik schloss die Augen und ging in sich. Wie sollte denn die Bedienung von Computern und solchen Pads in Zukunft aussehen? In zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahren? Das war doch genau die Sparte, in der er sozusagen arbeitete.

      Zukunftsorientierte Displays, die Wünsche der Benutzer, wie sahen die aus? Einfach und intuitiv. Die Nervosität hatte ihn blockiert und vielleicht wirkte der Wodka nun und nahm ihm die Blockade. Erik legte den rechten Zeigefinger unter das „Enter name“-Feld und schrieb auf das Gehäuse mit großen deutlichen Buchstaben: „Erik Zsolt“

      Sein Name war für kurze Zeit in einer feinen, nicht allzu zittrigen Linienführung zu lesen und verblasste dann. Wieder kein Erfolg! Das war wie ein Schlag in den Magen. Er war sich zu einhundert Prozent sicher, dass das Pad in seinen Händen hatte landen sollen und nun das?

      Er wollte nicht unbedingt temporal relevant sein, aber er hatte sich damit abgefunden, dass dies der Fall sein musste. Dann spürte er die Hand von Brugger auf seiner Schulter. „Erik, lass gut sein! Sei froh! Zumindest bist du auch nicht Sarah Connor!“

      In diesem Moment spürte Erik einen dieser Impulse in dem Bereich seines Gehirns, der etwas anders war. Er hatte Emma davon nichts erzählt, weil es zu vage, zu wenig greifbar und schon gar nicht richtig zu beschreiben war. Es fühlte sich immer so an, als verließe er für Sekunden oder zumindest für Bruchteile davon die Realität.

      Dann flossen Ideen und Bilder durch seinen Kopf. Er erinnerte sich an Erlebtes, stellte Zusammenhänge her, die in seinen normalen logischen Denkprozessen nie aufgetaucht wären. Diese Zeit kam ihm selbst oft wie Minuten vor, aber er hatte gelernt, dass die Menschen um ihn herum eben wirklich nur Augenblicke durchlebten.

      „Du bist nicht Sarah Connor! Du heißt aber auch nicht Erik Zsolt!“, war der Gedanke, der ihn mitriss.

      Dann sah er vor seinem geistigen Auge Emma, an dem Tag, als er bei ihr das erste Mal vorgesprochen hatte, und sah, wie sie ihn nach seinem Vater gefragt und er geantwortet hatte: „Mama sagte oft, er wäre Arzt gewesen, aber ich glaube eher, er war Sanitäter bei der Armee. War jedenfalls der einzige Hunyar Zsolt, den ich bei meinen Recherchen später gefunden habe. Allerdings kann es sein, dass er den Namen ändern musste.“

      Die Alarmglocken klingelten nun. Deshalb kannte ihn das Gerät nicht! Weil sein Vater seinen Namen geändert hatte und damit auch den von seiner Mutter und ihm! Und weil das Gerät von der Namensänderung nichts wusste!

      Wieder zuckte er und befand sich mental an einen noch früheren Zeitpunkt zurückversetzt. Und zwar in die Zeit, kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag. Er hatte gerade seine Mutter zu Grabe getragen. Sie hatten einige gute Bekannte, aber kaum echte Freunde und eben gar keine Familie. Deshalb hatte Erik begonnen, nach seinem Vater zu suchen.

      Er hatte nicht erwartet, ihn lebend zu finden, weil seine Mutter ihm gesagt hatte, dass er tot sei. Sie hatte sich stets geweigert, ihm zu erzählen, wie er gestorben war, aber in ihren Augen konnte er sehen, dass es die Wahrheit war, dass sein Vater nicht mehr am Leben war.

      Erik suchte nach einer Spur zu Verwandten, aber es war erschreckend, wie wenige Beweise es für Hunyar Zsolts Existenz überhaupt gab. Alles, was er gefunden hatte, waren eine Heiratsurkunde seiner Eltern aus einem Kaff in der Nähe des Plattensees und ein Führungszeugnis der ungarischen Armee für acht Jahre Dienst als Sanitäter.

      Das war jetzt dreizehn Jahre her, aber er konnte dieses Zeugnis vor seinen Augen sehen, als hielte er es gerade in der Hand. Er konnte in Gedanken sogar darin blättern, weil es ein paar Anhänge enthielt, die mit Tacker-Klammern an das Zeugnis geheftet waren.

      Da war ganz am Ende das Abschlusszeugnis einer Sanitätsschule in Dresden aus dem Jahre 1953. Sein Vater müsste damals gerade einmal siebzehn gewesen sein. Unterschrieben war das Zeugnis von einem Dr. Hermann Stolz.

      Erik erinnerte sich daran, wie er kurz erkannt hatte, was für ein billiges Anagramm Stolz zu Zsolt wäre. Dieses billige Anagramm war aber nun eine Offenbarung für ihn. Es gab nie eine Namensänderung! Nur gefälschte Papiere und das wahrscheinlich seit 1953!

      Sein Gehirn begann damit, mögliche Erklärungen zu generieren. Erik hatte noch nie eine so brutale Abfolge an Gedanken erfahren. Dieses kleine Detail, diese Unterschrift eines Arztes aus Dresden, setzte eine Kaskade an möglichen Abfolgen frei, die Erik überforderte.

      Dieser Doktor aus Dresden war in Wirklichkeit sein Vater. Einen Hunyar Zsolt hat es nie gegeben. Aber wer war dieser Doktor Stolz? Und woher kam er? War Doktor Hermann Stolz vielleicht in Wahrheit ein Kriegsverbrecher, der untertauchen musste? Und wie konnte er dann als Siebzehnjähriger durchgehen? Wie oft hatte er schon die Identität gewechselt?

      Woher kam er wirklich? Lebte er seit Jahren auf der Erde wie ein Unsterblicher? Oder ein nahezu Unsterblicher, denn trotz aller alternativer Erklärungen, die sich vor Erik ausbreiteten, zweifelte er zu keiner Sekunde daran, dass sein Vater tot war.

      Eriks Unterbewusstsein wehrte sich noch eine Weile gegen das Offensichtliche. Er hatte heute schon akzeptieren müssen, dass es Zeitreisen wirklich gab. Und jetzt ging es noch einen Schritt weiter. Sein Vater musste einer dieser Zeitreisenden sein. Nur so ließen sich alle Widersprüche um die Person von Dr. Hermann Stolz erklären.

      Die Möglichkeiten, die sich aus dieser Offenbarung ergaben, konnte aber auch Erik in diesem Moment nicht verkraften. Er sah hunderte, wenn nicht tausende, von möglichen Realitätssträngen und versuchte diese irgendwie zu verarbeiten, aber plötzlich war es, als würde jemand das Licht mit einem Dimmer runterdrehen und dann spürte er sich in seinen Körper zurückkehren, der aber gerade dabei war zu Boden zu sinken.

      Jemand sprach mit ihm, aber er konnte nicht verstehen, was derjenige sagte. Er spürte, dass der Fremde ihn stützte, versuchte ihn festzuhalten. Er hörte sich selbst noch sagen: „Meine Nase!“

      Und dann spürte er, wie er mit seinen Fingern die Tropfen von Blut auffing, die aus seiner Nase rannen.