Christian Schuetz

CYTO-X


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steckte er den Schlüssel lose in die Hosentasche, den Mietvertrag schlang er wieder um das Pad, da er die Eingabeaufforderung nicht nochmals aktivieren wollte. Dann schnappte er sich die Aktenmappe zum Nordpol-Projekt und legte das eingewickelte Pad einfach provisorisch zwischen die Papiere darin.

      Mit den Gedanken war er aber nicht richtig bei der Sache. Er legte die Mappe auf den Schreibtisch und begann nun die Armeekiste wieder einzuräumen. Seine These Nummer eins „Zeitreisen gibt es nicht!“ stand auf der Kippe und das beschäftigte ihn so sehr, dass er Brugger und seine Begleitung erst wahrnahm, als sie bereits im Türrahmen standen.

      Gerade hatte Erik die Kiste bereits bis auf wenige Mappen komplett wieder eingeräumt, da schlenderte die Hausherrin an ihm vorbei zum Schreibtisch ihres verstorbenen Mannes. Erik fühlte sich, als habe ihm gerade jemand die Faust in den Magen gerammt, als er sah, wie Marit Magnussen mit ihren Fingern leicht verträumt über die Mappe dort auf dem Tisch strich. Was das ein nostalgischer Anfall, weil sie die Handschrift ihres Mannes auf dem Umschlag der Mappe erkannt hatte?

      Erik hatte sich schon in einigen brenzligen Situationen befunden. Fast immer konnte er sich aus Situationen dieser Art herausreden oder wenn nötig, die Flucht ergreifen, aber er war gerade in diesem Moment nicht im Besitz seiner vollen Konzentrationsfähigkeit und als er sah, wie Marit die Finger unter den Rand der Mappe schob, um sie aufzuheben, da rang er nach Worten, einer Ausrede, aber er spürte nur einen Kloß im Hals.

      „Was für ein Ausblick! Kein Wunder, dass Ihr Mann so ein großer Naturforscher wurde!“, kamen Bruggers Worte fast polternd und rissen Marit aus ihrer Träumerei. Sie nahm die Hand von der Mappe und wandte sich dem Professor zu, der an das große Fenster geschritten war und fast theatralisch die Hände erhoben hatte.

      „Wissen Sie, ich bin großer Fan von Edvard Grieg und wenn ich hier über den See und die wunderbare Landschaft sehe, kann ich seine Musik fast hören.“

      Marit lächelte und legte eine Hand sanft auf Bruggers Arm. „Wenn Sie wollen, Arno, kann ich Ihnen Gegenden am Nordkap oder den Lofoten zeigen, da finden Sie diese Aussicht hier lächerlich!“

      Erik konnte es nicht glauben. Dieser alte Hund hatte tatsächlich seine prekäre Lage erkannt, woran auch immer, und ihm den Arsch gerettet. An seinem Schauspiel wäre vielleicht noch zu arbeiten, aber die Improvisation war spektakulär. Während die beiden den Blick aus dem Fenster genossen, schnappte Erik sich die Mappe und klemmte sie sich unter die linke Achsel.

      „Ich kümmere mich mal um die Spedition!“, sagte er und verschwand schnell in den Flur. Dass die Aussage mit der Spedition eigentlich keinen Sinn machte, wurde ihm erst auf dem Weg hinaus zum Mietwagen klar, aber er wollte einfach nur das Haus verlassen und seine Beute im Kofferraum in seinem Rucksack verstecken.

      Das war einer seiner schlimmsten Einsätze bisher. Er hatte Fehler gemacht, wie ein Anfänger. Zum einen, weil er es nicht gewohnt war, mit jemand zusammenzuarbeiten, zum anderen, weil ihn der Fund verstört hatte, anders konnte man es nicht sagen.

      Na gut! Er hatte schon mit anderen Mitgliedern der Brain Factory gemeinsam an Projekten gearbeitet, aber da war es immer so, dass jeder genau wusste, was er zu tun hatte. Bei Brugger hatte Erik das Gefühl, er müsse ihn anlernen oder auf ihn aufpassen, aber dann am Ende rettete ausgerechnet der Spionage-Lehrling den Tag.

      Erik hatte keine Ahnung, wie er dem Professor seinen Fund erklären sollte. Wahrscheinlich würde er sich darüber aufregen, dass er die arme Witwe bestohlen hatte, aber er freute sich schon auf seinen Blick, wenn er das Pad sah und die Schrift, die wie aus dem Nichts auftauchte.

      Er wusste, dass der Professor auch nicht an Zeitreisen glaubte, aber seine Analyse und das Ergebnis hatten ihn wohl dazu gezwungen, sie als Möglichkeit in Betracht ziehen zu müssen. Für Erik blieben einfach zu viele Zweifel offen, die er mit seinem Vier-Punkte-Plan belegen hatte wollen. Aber sein fundamentaler Glaube bröckelte. Zahlen waren eine Sache, aber dieses Mistding in seinem Rucksack war schwer zu widerlegen.

      Erik schnappte sich noch sein langweiliges, irdisches Notebook, bevor er wieder hineinging und Marit erzählte, dass er ergebnislos versucht hatte, ein Netz zu finden, um dann eine Spedition zu suchen.

      Anscheinend war sie ihm wirklich fast nachgerannt, als er aus dem Arbeitszimmer geflüchtet war. Sie hatte ihm doch schon eine Nummer rausgesucht von einer Spedition, die sie empfehlen konnte und bot ihm sogar an, dort für ihn anzurufen. Erik ließ sie gewähren, weil er nicht mit seinem Norwegisch prahlen wollte und Brugger reichte ihr seine Visitenkarte für die Lieferadresse.

      Kurze Zeit später führte Marit die beiden auf die Terrasse, damit Brugger den herrlichen Blick über den See weiter genießen konnte und verschwand dann zum Telefonieren ins Haus. Beide standen nun an der Brüstung und blickten auf den See hinaus. Erik spürte, dass Brugger zu ihm herüber linste und auf eine Art Anerkennung wartete, aber Erik ließ sich Zeit.

      Solange, bis er grinsen musste. Dann sagte er: „Gar nicht schlecht!“

      „Wie? Gar nicht schlecht für einen alten Mann?“

      „Nein, für alle Altersklassen. Sie haben mir den Arsch gerettet. Danke!“

      „Geht doch!“ Beide mussten ein wenig lachen. „Hat es sich denn gelohnt?“

      Erik blickte nachdenklich auf den See hinaus. Gelohnt hatte es sich sicher, wenn man die Ausbeute betrachtete. Aber zu welchem Preis? Was würde die Entdeckung dieses Pads nach sich ziehen und was wartete da noch in diesem Schließfach in Luxemburg auf sie?

      10 - Hotel am See

      Brugger fühlte sich blendend. Er hatte eine faszinierende, noch dazu junge und gut aussehende Frau kennengelernt, zu der er sofort einen Draht spürte. Er dachte noch immer, dass es eine gute Idee war, sich diese Armeekiste zu sichern, auch wenn Erik dies eher als hinderlich ansah. Und er hatte diese Sternstunde für Laien-Spione, als er erkannt hatte, dass sich sein junger Komplize in Schwierigkeiten befunden hatte.

      Er konnte es kaum erwarten, Emma zu erzählen, wie er Eriks verzweifelten Blick und Marits Finger auf dieser Mappe gesehen und sofort den Zusammenhang erkannt hatte. Aus seiner Perspektive war auch die Wölbung der Mappe gut zu sehen gewesen, die ihm verraten hatte, dass Erik dort etwas versteckt hatte. Er hatte seinen Moment der Glorie auf der Fahrt zum Hotel immer wieder in Gedanken durchgespielt.

      Und obwohl sie sich nun ein wenig nähergekommen waren, fuhr wieder ein recht gegensätzliches Pärchen im Bonzen-Mercedes Richtung Hotel. Dass Erik an etwas zu knabbern hatte, war offensichtlich, aber Brugger wollte sich keine Sorgen machen, bevor sie sich ihm wirklich präsentierten. Vielleicht war es einfach nur eines jener Probleme, die man mit etwas Lebenserfahrung und einer soliden Ausbildung lösen konnte. Er hatte ihn zwar schon auf der Terrasse gefragt, was er denn gefunden hatte, aber Erik wollte es ihm nur unter vier Augen anvertrauen.

      Brugger dachte im Auto an Emmas Begeisterungsfähigkeit und wie er sich vorgenommen hatte, zu versuchen, sich von ihr anstecken zu lassen. Das konnte er also schon mal als erledigt betrachten. Er hatte nicht erwartet, dass er das so schnell schaffen würde.

      Und dass im Kofferraum ein geheimnisvoller Gegenstand auf nähere Inspektion wartete, steigerte seinen Enthusiasmus nur noch mehr. Am liebsten hätte er Erik einen festen Klaps auf die Schulter gegeben und laut gerufen: „Jetzt sei doch nicht so negativ!“

      Aber zum einen waren sie nicht plötzlich beste Kumpel geworden und zum anderen wäre es eine blöde Idee, den Fahrer eines Wagens, auf einer engen Landstraße durch den Wald, bei achtzig Sachen so zu irritieren. Also schwieg er und ließ Erik in seinen trüben Gedanken verharren und dachte lieber nochmal an seine Heldentat.

      Er blickte auf die Uhr. „Mensch, wenn wir gewusst hätten, dass das so fix geht, hätten wir noch heute Abend zurückfliegen können!“

      Erik reagierte nicht darauf und schien Bruggers Ausruf eher als rhetorischen Kommentar aufgefasst zu haben. Dabei hatte er es ernst gemeint! Schließlich hatte er seine Zeit auch nicht gestohlen und Erik hatte zuvor etwas von einem Trip nach Luxemburg gemurmelt. Auch das würde nochmal wertvolle Arbeitszeit kosten.