Christian Schuetz

CYTO-X


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Hotel war sehr malerisch, wie bisher alles in Norwegen. Es lag am selben See wie Marits Haus. Man konnte in einer lauen Sommernacht, wie dieser also einfach hinüber schwimmen. Dass der See sehr viele Buchten, Inseln und Landzungen hatte, war Brugger nicht bewusst; er hätte sich furchtbar verfranzt, wäre er diesem romantischen Vorhaben nachgegangen.

      Der Parkplatz war leer. Entweder waren alle noch unterwegs oder sie waren die einzigen Gäste. Er vermutete sogar, dass Erik ganz bewusst nach einem sehr leeren Hotel gesucht hatte. Brugger schnappte sich seine Reisetasche aus dem Kofferraum und Erik, mit auffallend vorsichtigen Bewegungen, seinen Laptop-Rucksack.

      „Professor, wenn Sie nichts dagegen haben, bestelle ich uns zum Abendessen eine Platte mit Lachs und so aufs Zimmer. Ich würde ungern wertvolle Zeit im Restaurant verplempern.“

      Brugger grunzte kurz zustimmend und spürte seine Neugier in ungeahnte Höhen steigen. So aufgeregt war er seit Emmas Geburt nicht mehr gewesen. Er ließ Erik an der Rezeption den Vortritt und folgte ihm dann zu den Zimmern.

      Zwei Einzelzimmer mit einer Verbindungstür, sehr geräumig, wunderbarer Blick auf den See. Brugger war hellauf begeistert. Sie beschlossen kurz zu duschen und sobald die Lachs-Platte eintraf, würde man sich dem Fund widmen. Das Hotel war sehr fix. Als Brugger aus der Dusche kam, stand die üppige Platte bereits auf seinem Tisch. Er war gerade fertig angezogen, da klopfte es auch schon an der Verbindungstür.

      Während sie den frischen Fang aus irgendeinem malerischen, norwegischen Fjord genossen, holte Erik aus seinem Rucksack einen Beutel und pfriemelte einige Seiten Papier heraus, die leicht an den Rändern eingeknickt waren. Brugger konnte deutlich erkennen, dass diese Blätter den wahren Schatz umschlungen hielten, aber er ließ Erik die Zeit, die er wohl für nötig erachtete.

      Nach der Besichtigung hatte der Mietvertrag für das Schließfach ein paar fettige Fingerabdrücke, aber das würde niemand interessieren. Dem Mietvertrag entnahmen sie, dass Magnussen ein Schließfach mit fast zehn Litern Fassungsvermögen angemietet hatte. Für den Zugang war eine Identifikation von Nöten, ein Schlüssel, welchen Erik kurzerhand aus seiner Hosentasche zauberte und ein Passwort.

      Brugger legte seine Stirn in Falten. „Also das macht dann eins von drei! Nicht gerade vielversprechend, oder?“

      Erik holte wieder etwas aus der Tasche; dieses Mal ein kleines, fast knallrotes Mäppchen. Er reichte es ihm und Brugger konnte nun sehen, dass es ein Reisepass war. Er öffnete ihn und blickte auf ein kleines Bild von Thorwald Magnussen, blätterte darin kurz herum und reichte ihn dann mit fragendem Blick zurück.

      „Und wie hilft uns das weiter?“

      Erik räusperte sich. „Nun, der Pass ist noch gültig wie Sie sehen. Er ist noch vor der Einführung der Fingerabdruck-Identifikation ausgestellt worden. Das macht es uns leichter. Die Körpergröße und Augenfarbe ist Ihrer ähnlich, den Rest kriegen wir hin!“

      „Sie glauben doch nicht allen Ernstes, ich gehe da in Luxemburg in die Bank und gebe mich als Norweger aus! Ich spreche kein Wort Norwegisch! Außer Hade, aber damit kann ich wohl kaum ein Gespräch führen!“

      „Professor! Wie hoch stehen die Chancen, dass in einer luxemburgischen Bank jemand mit Ihnen Norsk sprechen wird? God Dag heißt übrigens Guten Tag, falls Sie das noch brauchen sollten. Danach sprechen Sie Englisch. Keine Angst, die Letzebuerger sprechen ein ganz eigenes Kauderwelsch. Die stecken da zwischen Deutschland, Frankreich und Belgien. Das heißt, die brauchen Deutsch und Französisch für die Nachbarn, dazu Englisch für die internationalen Gäste, damit ist der Speicher bei einem normalen Menschen voll.“

      Brugger schnaufte und griff sich den Pass nochmals. Er klappte ihn auf und hielt ihn neben sein Gesicht.

      „Und wie in aller Welt soll mich jemand für Magnussen halten?“

      Allerdings merkte er gerade selbst, dass dies wohl das geringste Problem sein sollte. Erik sah ihn fast etwas mitleidvoll an.

      „Herr Professor, ist Ihnen die Ähnlichkeit wirklich nicht aufgefallen? Ich garantiere Ihnen, dass Frau Magnussen sie bemerkt hat!“

      Brugger spitzte die Lippen. Er wollte retour geben, aber dieser Punkt ging eindeutig an Erik. Plötzlich dachte er auch an diesen Moment zurück, am letzten Freitagmorgen, als er aus dem Schlaf hochgeschreckt war.

      Brugger hatte in den Spiegel gesehen und Thorwald Magnussen erblickt. Dann erst hatte sich seine Wahrnehmung langsam aus dem Halbschlaf gelöst und er erkannte sich selbst wieder. Natürlich ging er nicht als Zwillingsbruder durch, aber vielleicht als Bruder?

      Die Augen waren es. Stahlblaue Mädchenkiller waren das in seiner Jugend. Auch Karina war ihnen verfallen. Und auch sein norwegischer Kollege hatte solche Augen. Kein Wunder, dass Marit auf ihn angesprungen war.

       Sind wir Menschen wirklich so einfach zu manipulieren?

      Brugger gab ihm den Pass zurück. „Also, ab zum Maskenbildner, oder wie?“

      Erik nickte. „Den brauchen wir für Ihre ...“, er malte zwei kleine Bögen mit den Fingern, weil er wohl nicht wusste, wie er die beiden markanten Linien nennen sollte oder durfte, die von der Nase zum Kinn verliefen.

      Brugger zog die Augenbrauen hoch und fragte herausfordernd: „Altersfurchen?“

      „Grübchen!“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.

      Brugger grunzte ein leises: „Arsch!“, und musste sich grinsend abwenden. Genau wie Emma! Er hatte in der kurzen Zeit schon erkannt, dass ihre Gespräche ähnlich pointiert verliefen, wie die mit seiner Tochter. Er ging zur Terrasse und atmete tief durch. Dass sich Erik wunderte, was los war, war offensichtlich, aber Brugger hatte etwas Gravierendes zu entscheiden.

      Verdammt! Zwei Dinge waren Brugger bewusst geworden. Zum einen, dass er diesen Erik Zsolt mochte. Wieso dieser junge Mann solch einen Weg im Leben eingeschlagen hatte, konnte er nicht sagen. Zumindest nicht nach so kurzer Zeit. Aber alles andere an ihm stimmte irgendwie. Und zum anderen, wusste er nun auch, warum seine Tochter sich in diesen Kerl verliebt hatte.

      Brugger nahm noch einen tiefen Zug von dieser herrlichen Luft und ging dann beherzt auf Erik zu, leicht davon amüsiert, dass er einen kleinen Schritt zurückwich, so als ob er einen Fausthieb erwartete.

      „Haben Sie mich gerade Arsch genannt?“, fragte Erik mit einem nervösen Lächeln.

      Brugger streckte die Hand aus. „Ja! Entschuldige! Ich pflege das aber nur zu Leuten zu sagen, mit denen ich per du bin. Erik, du kannst mich Brugger nennen!“

      Erik schlug ein, fragte aber etwas verwundert: „Nicht Arno?“

      Der Professor sah ihn streng an und zog die Brauen wieder hoch. „Niemand nennt mich Arno! Sogar für meine Frau war ich nur sehr selten Arno. Das passt nicht zu mir. Also was war jetzt mit meinen Grübchen?“

      Erik räusperte sich: „Frau Magnussen hat Sie ... dich heute aber auch immer Arno genannt!“

      Brugger schaute ihn erneut streng an und Erik konzentrierte sich lieber wieder auf das Problem mit den Grübchen: „Das wird dir gefallen! Da gibt es so kleine Elektro-Stimulationsgeräte. Das prickelt richtig und bleibt dann für etwa zehn bis zwanzig Stunden glatt. Faltenfrei! Wenn die das irgendwann dauerhaft hinbekommen, wird das der Renner im Beauty-Business! Und für den Rest nehmen wir Make-up. Ich kenne jemanden in Köln, der häufig fürs Fernsehen arbeitet. Vor allem freut der sich, wenn er mal wieder richtig gute Arbeit leisten darf und nicht für Billig-Produktionen ran muss.“

      „Also nach Frankfurt zurückfliegen, dann nach Köln fahren, dann weiter nach Luxemburg? Das ist ja richtiger Stress! Ist Euer Geheimkram immer so kompliziert?“

      „Na ja, wenn es um ein großes Projekt geht, dann habe ich ganz andere Ressourcen und lasse mir den Maskenbildner oder andere Spezialisten einfach kommen, aber hiervon darf niemand wissen! Außerdem habe ich eine gute Nachricht: Der Flug nach Frankfurt fällt aus!“

      „Warum das? Wie kommen wir dann nach Köln?“ Brugger war froh, dass es einen