Christian Schuetz

CYTO-X


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- Blut

      Brugger hatte alle Hände voll zu tun. Er wusste gar nicht, was passiert war. Eigentlich hatte er doch nur den „Sarah-Connor-Vergleich“ an Erik zurückgegeben, aber der war plötzlich erstarrt. Die Augen waren weit aufgerissen, die Lippen bewegten sich leicht und Brugger glaubte das Wort „Stolz“ leise heraus gehört zu haben. Er hatte den Arm um Erik gelegt, als er leicht zu Wanken begann und dann lief schon das Blut.

      Brugger blickte sich um und sah eine Box mit Kosmetiktüchern auf einer kleinen Kommode. Er musste Erik kurz loslassen, um die Box zu schnappen und schnell drei der kleinen Tüchlein rauszuziehen, doch er hörte ihn schon stöhnen: „Meine Nase!“

      Und dann sah er, wie Erik nach vorne kippte. Brugger bekam ihn irgendwie am Arm zu fassen und konnte verhindern, dass er mit dem Gesicht auf den Tisch aufschlug. Der Professor erschrak, denn Erik sah aus, als hätte ihm einer der Klitschkows einen Volltreffer auf die Nase gesetzt.

      Wo kam das ganze Blut her? Brugger riss gleich alle Tücher auf einmal aus der Box und drückte sie ihm ins Gesicht. Erik lag mittlerweile seitlich neben dem Tisch und Brugger ging die Düse. Erste Hilfe war nicht seine Stärke. Tochter und Ex-Frau waren Ärzte, aber seine medizinischen Fähigkeiten erstreckten sich darauf, Emma ein Pflaster auf ein aufgeschürftes Knie zu kleben und selbst dann hatte Karina meist gesagt, er hätte das nicht richtig gemacht. Abgesehen davon, dass das schon eine Weile her war. Zum Glück war der Boden gefliest!

       Ja toll, das hilft uns jetzt auch weiter! Brugger, konzentrier' dich!

      Die Tücher waren durchtränkt. Was nun? Brugger zog sich sein T-Shirt aus und ersetzte das rot-klebende Knäuel mit seinem Textil. Erik lag mit offenen Augen da, so dass es ihm einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter laufen ließ. Nicht liegen lassen! Das Blut rinnt sonst in den Hals runter!

      Er packte Eriks Arm und hievte ihn auf die Couch, in sitzende Stellung, den Oberkörper vorgebeugt. Brugger selbst saß daneben, um ihn zu stützen. Lange würde er nicht warten können, bevor er einen Arzt rufen musste. Das sah nicht nach einem normalen Nasenbluten aus. Brugger sah sich um, ob er ans Telefon käme, ohne Erik loszulassen, aber das würde nicht leicht werden.

      Er versuchte Eriks Position zu stabilisieren, Arme auf die Oberschenkel, vielleicht das blutige Shirt irgendwie zwischen den Beinen auf den Boden legen. Ihm kam der Gedanke an einen nassen, kalten Wickel.

       Wo gehörte der gleich wieder hin? In den Nacken? Was zuerst? Den Wickel oder gleich den Notarzt rufen?

      Zehn Sekunden später hätte der Professor selbst fast den Notarzt gebraucht. Aus dem Nichts schreckte Erik mit einem lauten Grunzen in die Senkrechte hoch. Brugger machte einen Satz von der Couch und spürte sein Herz fast stehenbleiben.

      „Ja, spinnst du? Mir so einen Schreck einzujagen?“

      Erik blickte ihn benommen an. Die Blutung hatte wohl aufgehört, aber beim Schnaufen durch die Nase blubberte es gruselig.

      „Sag was! Geht‘s wieder?“, wollte er von Erik wissen und der antwortete nur: „Ich weiß es jetzt!“

      Dann grinste er breit und dadurch wurde sein Anblick noch gruseliger. Sein Gesicht war blass und blutverschmiert. Er sah aus wie ein Zombie, der gerade Beute gemacht hatte.

      „Ist mir egal, was du weißt, wir gehen ins Bad! Du siehst furchtbar aus!“

      Brugger packte ihn am Arm und zog ihn in Richtung Bad. Erik wollte erst nicht gestützt werden, schien dann aber doch zu merken, dass ihm seine Beine nicht richtig gehorchten.

      „Wo kommt das ganze Blut her?“, fragte Erik noch halb benommen, als sein Blick auf den roten Kleenex-Batzen und das blutige Hemd fielen. Er tastete sich selbst ab und wunderte sich offensichtlich, dass er selbst noch ein Hemd anhatte.

      „D ... Danke!“, stammelte er noch geschwächt. „Stell dir vor, ich heiße gar nicht Zsolt!“

      Brugger rollte mit den Augen. Eine Beichte wollte er jetzt nicht hören. Außerdem war es kein Wunder, dass er einen falschen Namen benutzt hatte. Bei seiner Vergangenheit!

      Er stellte ihn ans Waschbecken und sagte ihm, er solle sich festhalten, nicht dass er noch umfiel und die Nase wieder zu bluten anfing. Erik lachte wieder grunzend, merkte aber dabei, wie verstopft seine Nase war und blickte in den Spiegel.

      „Heilige Scheiße!“, stöhnte er. „Wie schau ICH denn aus?“

      Brugger reichte ihm einen Waschlappen und Erik übernahm nun seine eigene Reinigung, während der Professor sich sein altes Shirt aus der Schmutzwäsche fischte. Er hatte nur für zwei Tage gepackt und brauchte für Luxemburg noch ein sauberes.

      Trotz allem atmete er jetzt fürs Erste tief durch. Er war sichtlich erleichtert, dass Erik in Ordnung zu sein schien. Wäre doch ein toller Ausflug geworden, wenn er Emma hätte sagen müssen: „Ja, schön war es in Norwegen! Übrigens ist dein Freund verblutet!“

      Brugger war gerade wieder in sein altes Shirt geschlüpft, da hörte er Erik plötzlich lachen. Er hatte sich das Gesicht sauber gewischt und betrachtete sich im Spiegel. Er war ziemlich blass, aber das fiel gar nicht auf, weil ihm das herzhafte Lachen etwas Sympathisches gab, das Brugger an ihm so noch nicht kannte. Andererseits war der Lachanfall ein wenig verstörend.

      „Ich hab Ungarisch völlig umsonst gelernt. Weißt du, wie schwer der Mist ist?“

      Woher sollte Brugger das wissen? Ungarisch brauchte man als Wissenschaftler so dringend, wie ein Fisch ein Fahrrad brauchte, aber natürlich steckte hinter dieser rhetorischen Frage etwas ganz anderes.

      Brugger begann plötzlich zu verstehen, was Erik ihm hatte sagen wollen. Das vorhin mit dem Namen war keine Beichte. Nur war der Groschen noch nicht gleich gefallen oder er wollte nicht fallen, weil der Schreck noch zu tief saß, den Erik ihm verpasst hatte.

      Er wartete erst mal ab, bis sich Erik beruhigt hatte. Das Lachen ging dann in einen Schrei über und er ließ seine geballten Fäuste so fest auf dem Waschbecken nieder, dass man die Verankerung knirschen hören konnte. Dann blickte er Brugger über den Spiegel an und sagte: „Komm, Brugger! Ich muss mich einloggen! Bringen wir es hinter uns!“

      Diese Version von Erik war Brugger lieber als die weinerliche Version zuvor. Trotzdem war ihm noch nicht alles klar. Hatte er irgendeinen Geistesblitz gehabt, der ihn physisch niedergestreckt hatte?

      Er folgte ihm zurück zum Pad, das immer noch auf dem Tisch lag und auf sie wartete. Auf den Fliesen breitete ein Blutfleck von der Größe eines Pizza-Tellers aus, aber Erik wischte bereits forsch über die Oberfläche und sagte dann: „Erik Stolz!“

      Es folgte das bekannte „Calibrating“ und „Kalibrierung abgeschlossen“, wobei sich Brugger nur kurz über die deutsche Sprach-Kalibrierung wunderte, denn schon stand da „Vorname des Vaters“. Erik antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Hermann!“

       Hermann Stolz? Nie gehört!

      Brugger würde gleich einige Erklärungen einfordern, aber zunächst wollte er die weiteren Fragen abwarten. Sicher gab es da gleich noch einiges Interessantes zu erfahren.

      „Temporale Relevanz 99,2 Prozent! Bitte warten!“

      „Das ist doch ...“, begann Brugger und musste dann doch noch Luft holen, bevor er weiter schimpfen konnte. „Da fragt mich das Drecksding die unmöglichsten Sachen und mir geht die Düse, dass ich nicht versehentlich was Falsches sage und bei dir reicht ein lausiger Vorname?“

      Erik zuckte nur mit den Achseln, schaute aber schon gebannt auf das Pad, in nervöser Erwartung, was nun passieren würde. Brugger war auch neugierig, aber er hasste es, so im Dunkel stehengelassen zu werden.

      „Und was ist jetzt los mit Erik Zsolt oder Erik Stolz? Und Papa Hermann? Würdest du mich endlich aufklären, was das soll?“

      Auf dem Pad leuchtete es grün. Vielmehr sah es aus, als würde im Innersten eine kleine grüne Kugel so grell glühen, dass die Strahlen das Gehäuse durchdrangen. Auch Brugger war nun still und blickte gebannt