Christian Schuetz

CYTO-X


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eine solche Reise antreten könnten. Und Eriks gedachter Einspruch, dass dies für ihn doch gar nicht zutraf, wurde erweitert um den Hinweis, dass für einen Körper von etwa siebzig Kilogramm gerade einmal zwei Liter Cyto-X notwendig waren, um eine Zellwäsche erfolgreich durchzuführen.

      Beim Fehlen einer „Meyerschen Zellwaschvorrichtung“ reiche auch eine Blutwäsche, da sich das Cyto-X innerhalb des Körpers selbstständig reproduzieren würde, unter Zuhilfenahme der Substanz der existierenden alten Zellen.

      War der Prozess denn schmerzhaft? Unwohlsein und Gleichgewichtsstörungen wären wahrscheinlich, aber nach abgeschlossener Prozedur, gäbe es keine weiteren Symptome. Eine Zellwäsche wäre nach zwanzig bis achtzig Minuten abgeschlossen, je nach Entwicklungsstand des Apparates, bei einer altertümlichen Blutwäsche (wie charmant!) müsse man mit etwa sechs Stunden rechnen. Die Nachwirkungen würden jeweils nochmal solange andauern. Danach wäre der Körper bereit.

      Für die eigentliche Zeitverschiebung müsste der Körper dann durch Feldmodulatoren in den korrekten phasischen Zustand versetzt werden und energetisch mit der ankommenden Krümmungswelle synchronisiert werden. Der Körper verließe die Welle dann zu der festgelegten Zeit, an genau demselben Ort, an dem die Verschiebung gestartet wurde. Als Sicherheitshinweis folgte noch die Warnung, Ort und Zeit mögen so gewählt sein, dass sich dort keine soliden Gegenstände befinden sollten.

      Diese Warnung erzeugte schon ein wenig mehr Gänsehaut bei Erik. Woher sollte er wissen, dass er nicht in einer soliden Wand aus Stein landen würde? Und wenn diese Reisen öfter durchgeführt wurden, woher wussten die Reisenden dann wann und wo es sicher war zu landen?

      „Der Ziel-Zeitort wird anhand aller vorhandenen Aufzeichnungen und Daten sondiert“, erklärte das Neuro. Dazu wurden Fotografien und auch Satellitenbilder zu Hilfe genommen, ebenso wie Konstruktionszeichnungen von Gebäuden, die vielleicht nicht mehr existierten. „Ein Restrisiko besteht immer. Besonders bei mangelhaften Daten.“

      Reisen in die 1950er waren also riskanter und damit unwahrscheinlicher, als ins 25. Jahrhundert. Das schwächte Eriks Theorie vom zeitreisenden Vater etwas, widerlegte sie aber nicht. Das Neuro legte aber nach, dass Reisen in Zeiten vor der Erfindung von Satelliten oder gar der Fotografie durch die deutlich geringere Bevölkerungsdichte einfacher waren. Es blieb dabei, die Reise von Dr. Hermann Stolz hatte keinen allzu günstigen Ziel-Zeitort, um sich gleich mal der neu gelernten Begriffe zu bedienen.

      „Was passiert denn, wenn der Zeitreisende in irgendetwas landet?“

      Jede Form von soliden anorganischen Objekten wäre offensichtlich fatal. Vielen Dank für diese Bestätigung! Das beruhigt die Nerven.

      Kleinere Gegenstände anorganischer Natur könnten aufgrund der hohen energetischen Bilanz einer Zeitverschiebung weggeschleudert werden. Es wäre aber sehr schwierig die genaue Masse zu bestimmen, bis zu welcher ein Objekt beeinflusst würde. Bei organischen Gegenständen wäre es etwas anders. Erik wollte gerade Beispiele bringen und so erfragen, welcher Gegenstand wie reagieren würde, aber er wartete erst mal die Ausführungen für organische Stoffe ab.

      „Organisches Material wird neutralisiert!“

      Das war alles? Erik reichte diese Formulierung nicht. Sie klang so politisch korrekt für eine in Wahrheit eher schlimme Sache. Und damit lag er absolut richtig. Er bohrte nach und wollte genauere Beschreibungen und Erklärungen und er hätte dabei schwören können, dass das Neuro versuchte, ihm auszuweichen.

      Es schien fast so, als habe das Neuro ein wenig die Wertevorstellungen seines Schöpfers oder seiner Vorbesitzer mitgenommen und schämte sich dafür, erklären zu müssen, was passierte, wenn man dorthin reiste, wo bereits ein anderes Lebewesen stand, saß oder herumlag.

      Im Prinzip war es einfach und schrecklich zugleich. Man konnte sich leicht vorstellen, welche extremen Energien nötig waren, um einen Körper durch die Zeit zu schicken. Und wenn ein dermaßen geladener Körper sich nun einfach aus dem Nichts manifestierte, an einem Ort, wo sich schon etwas anderes Lebendes befand, dann gab es Verluste. Kollateralschaden sozusagen!

      In Eriks Gehirn war dazu eine Art Grafik zu sehen. Ein Mensch innerhalb eines ovalen Kraftfeldes, das seinen Körper umschloss und wie eine Blase aussah. Eriks Verstand hatte um Beispiele gebeten, und das Neuro ging auf diesen Wunsch nun ein.

      Die Darstellung bewegte sich auf fortgeschrittenem Zeichentrickniveau. Ein weiteres Indiz dafür, dass gleich recht unschöne Dinge zu sehen sein würden. Zunächst beantwortete das Neuro die unangenehme Frage mit Pflanzen. Der Körper materialisierte sich im ersten Beispiel in einem Gebüsch, welches danach, innerhalb des ovalen Kraftfeldes, schlichtweg nicht mehr existent war. Es gab keine Asche oder andere Rückstände. Erik vermutete, dass die organischen Überreste die phasische Ladung abbekamen und sich somit für den Beobachter in Nichts auflösten.

      Das Neuro bestätigte Eriks Auffassung, verschwieg aber nicht, dass es dort noch ungeklärte Aspekte gab. Er schnaufte kurz durch und sprach das Neuro nun direkt an: „Na, los! Dann schick doch jetzt mal Klopfer in das Feld! Deshalb hast du doch auf Zeichentrickmodus geschaltet, oder?“

      Schon entstand das Bild eines Zeichentrick-Kaninchens und Erik bereute seinen Wunsch sofort. Zum Glück war es nicht DER „Klopfer“, sondern einfach nur ein Kaninchen in Zeichentrick-Format. Die Rechte von „Walt Disney“ waren wohl zu teuer gewesen!

      Noch während er witzelte, löste sich der Hoppelmann in Nichts auf. Unschön, aber wie erwartet. Erik brauchte aber noch ein Beispiel mit einem Tier, das größer war, als die ovale Blase. Dass das Neuro einen Elch wählte, lag wohl am Vorbesitzer Magnussen, aber er erfüllte den Zweck mehr als deutlich. Die Hinterläufe und ein Teil des Bauches verschwanden und er fand den nachgestellten Todeskampf des Tieres auch als Trickfilm nicht erbauend. Seiner Bitte nach Löschung kam das Neuro umgehend nach.

      Erik konnte sich nun denken, was geschehen würde, wenn sich am Ziel-Zeitort bereits eine andere Person befand. Ja, man musste sehr gründlich abklären, wo man landen wollte. Schnell war in seinen Gedanken das Bild eine Baums entstanden.

      Es war ein sehr unbewusstes letztes Beispiel, aber es zeigte, dass auch die Natur eine Chance auf Rache haben könnte. Der untere Teil des Baumstamms löste sich auf, wo die Blase auftauchte. Der obere Teil des Stammes raste senkrecht nach unten und zerquetsche das Zeichentrick-Männchen.

      Dies schien fast schon ausgleichende Gerechtigkeit zu sein. Erik spielte noch eine Weile mit Beispielen und sah das Männchen in Betonwänden oder Autos sterben, sah wie sich Möbelstücke teilweise auflösten und die metallischen Reste davon geschleudert wurden. Es war zwar beruhigend, in dem ovalen Kraftfeld grundsätzlich die bessere Ausgangslage zu haben, aber schön war das alles nicht.

      Erik wollte das Neuro bereits ablegen und schwimmen gehen, als ihm noch ein letztes Detail einfiel: „Diese ganzen Dinge passieren doch nur, weil das Cyto-X seine gesamte energetische Aufladung mit der es durch die Zeit gereist war, auf einen Schlag abgibt, oder?“, fragte er flüsternd. Irgendwie hielt er es für nötig, seine Gedanken zumindest leise auszusprechen und nicht einfach nur stumm zu denken.

      „Negativ!“ Eine fast schon liebenswert altertümliche Ausdrucksweise, musste Erik konstatieren. „Die Energie wird nicht abgegeben, nur die phasische Ladung. Der Körper braucht die Energie noch zur Rückreise.“

      Er legte die Stirn in Falten und spürte dadurch seinen neuen Kopfschmuck zum ersten Mal etwas unangenehm. Ein Zeichen, dass es wohl wirklich Zeit war, eine Pause einzulegen. Aber er sah nun bildlich vor sich eine längliche Schleife, so wie sie auch massenhaft in Bruggers Programm zu sehen waren. Erstaunlich, wie nahe der alte Fuchs mit seiner Analyse der futuristischen Wahrheit gekommen war.

      Der leuchtende Punkt, der sich nun auf der Schleife in Bewegung setzte, sollte den reisenden Körper darstellen. Der Punkt verließ an einer Stelle die Bahn der Schleife und bewegte sich sozusagen „Lot-senkrecht“ auf die gegenüberliegende Seite der Schleife zu.

      Es sah aus, als wäre dem Punkt der Weg über die gesamte Bahn zu lang und er kürzte einfach ab, aber Erik verstand schnell, dass diese „Abkürzung“ eine symbolische Darstellung des Aufenthalts des Körpers in der Ziel-Zeit war. Danach